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Carl-Eugen Eberle

Schutz der Privatsphäre - auf Kosten der Medien?

 
Carl-Eugen Eberle
Carl-Eugen Eberle
              
 

Schon immer standen die Berichterstattung in den Medien einerseits und der Schutz der Privatsphäre andererseits in einem Spannungsverhältnis: Gegen Bilder und Berichte aus dem Privatleben wehren sich die Betroffenen häufig unter Berufung auf ihre schützenswerte Privat- oder Intimsphäre. Streitigkeiten dieser Art beschäftigen die Gerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im Laufe der Zeit hat die Rechtsprechung speziell des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts aber differenzierte Regeln und Fallgruppen entwickelt, anhand derer die Grenzen der Berichterstattung relativ klar und verlässlich bestimmt werden können.

Neue Gesetzesinitiativen zum Schutz der Privatsphäre

Ungeachtet dessen wird neuerdings eine strafgesetzliche Regelung zum verbesserten Schutz der Intim- beziehungsweise Privatsphäre gefordert. Anlass hierzu geben vor allem technische Neuentwicklungen wie Handys mit Kamerafunktion, aber auch miniaturisierte und digitalisierte Videokamerasysteme, die heimliche Aufnahmen aus dem unmittelbaren Nahbereich von Betroffenen ebenso ermöglichen wie die unbefugte Verbreitung solcher Aufnahmen zum Beispiel über Internet. Die geltende Rechtslage untersage zwar das Verbreiten solcher Aufnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen und stelle es unter Strafe, nicht aber schon deren Herstellung (§§ 23, 33 KunstUrhG). Sodann sei zwar die heimliche Tonaufnahme strafbar, nicht aber die ohne Einwilligung des Betroffenen gefertigte Bildaufnahme (§ 201 Strafgesetzbuch). Eine solchermaßen diagnostizierte Strafbarkeitslücke solle deshalb durch einen neu einzufügenden § 201a Strafgesetzbuch geschlossen werden. Danach soll künftig bestraft werden, wer den persönlichen Lebensbereich (CDU-Gesetzentwurf1) beziehungsweise die Intimsphäre (FDP-Gesetzentwurf2) einer anderen Person dadurch verletzt, dass er sie unbefugt auf einen Bildträger aufnimmt oder eine so hergestellte Aufnahme (gegen den Willen der betroffenen Person – CDU-Entwurf) gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. Der FDP-Entwurf will sogar den bestrafen, der unbefugt die Intimsphäre einer anderen Person dadurch verletzt, dass er sie mit einem Bildaufnahmegerät oder anderen technischen Mitteln (schlicht) beobachtet. Ein vom Bundesrat unterstützter Gesetzentwurf des Landes Baden-Württemberg3 sieht die Bestrafung desjenigen vor, der von einer in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindlichen anderen Person unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt.

Die rechtspolitischen Motive für diese Gesetzesinitiativen sind angesichts der Missbrauchsmöglichkeiten aufgrund der neuen fototechnischen Entwicklungen durchaus nachvollziehbar. Doch machen neue Gesetze nur dann Sinn, wenn die bestehende Rechtslage nicht bereits ausreichenden Schutz gewährt. Außerdem darf der Gesetzgeber nicht über das Ziel hinausschießen und Grundrechte anderer – hier der Journalisten und Medienunternehmen – unverhältnismäßig einschränken.

Geltende Rechtslage bietet ausreichenden Schutz für Betroffene

Bereits nach geltendem Recht wird in § 33 KunstUrhG bereits die entscheidende, bezeichnenderweise auch in den Gesetzentwürfen besonders hervorgehobene Verletzung des Bildnisschutzes unter Strafe gestellt. Darüber hinaus bestehen für sämtliche sonstigen Formen des Persönlichkeitsschutzes Unterlassungs-, Schadensersatz- und Schmerzensgeld- sowie hinsichtlich gefertigter Aufnahmen Beseitigungs- und Vernichtungsansprüche, die auch sehr effektiv eingesetzt werden können. Gerade die Tendenz der neuesten höchstrichterlichen Rechtsprechung, im Falle schwerer Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Bildveröffentlichungen dem Betroffenen Schmerzensgelder bis in einen fünf- und sechsstelligen Bereich zuzuerkennen, ist bereits für sich geeignet, potenzielle Täter abzuschrecken und damit die erwünschte soziale Prävention zu bewirken. Selbst wenn das KunstUrhG gegen die Anfertigung von Bildnissen nicht unmittelbar schützt, so ist gleichwohl unter dem Aspekt des vorbeugenden Unterlassungsschutzes sogar noch zusätzlicher, aus dem KunstUrhG abgeleiteter Rechtsschutz gegeben. Der Einsatz und Vollzug schon vorhandener und zweifelsohne geeigneter Instrumentarien des geltenden Rechts sollte nach Maßgabe des Ultima-Ratio-Prinzips gegenüber der Schaffung neuer Gesetze klar im Vordergrund stehen.

Letzteres gilt umso mehr, als es gerade bei der Anfertigung von Bildnissen in einer erheblichen Anzahl von Fällen außerordentlich schwer fällt zu erkennen, ob tatsächlich eine Strafbarkeitsgrenze überschritten worden ist. Zumindest ist zu besorgen, dass es zu einer erheblichen Anzahl von unbegründeten Strafanzeigen kommt. Dazu werden nicht zuletzt die erheblichen Abgrenzungsprobleme angesichts der Unbestimmtheit der in den Entwürfen verwendeten Begrifflichkeiten (»persönlicher Lebensbereich«, »Intimsphäre«) beitragen. Dies gilt umso mehr, als diese Begriffe dem steten Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen unterliegen. Ähnliches gilt im Übrigen für die Merkmale, welche die Strafbarkeit begründen beziehungsweise (als Rechtfertigungsgründe) ausschließen (»berechtigte Interessen«, »Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen«). Es erscheint daher fraglich, ob die erwogenen Strafrechtsnormen überhaupt dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen beziehungsweise hinreichende Rechtssicherheit gewährleisten würden.

Unverhältnismäßige Beeinträchtigung journalistischer Freiheitsrechte

Erhebliche und meines Erachtens durchgreifende Bedenken gegen die drei Gesetzentwürfe bestehen aber vor allem im Hinblick auf die Arbeit von Pressefotografen, Kameraleuten und sonstigen Beschäftigten von Medienunternehmen.

Da die Medienfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz unstreitig die Informationsbeschaffung mit umfassen, kollidiert in allen diesen Konstellationen der in den Gesetzentwürfen hervorgehobene Persönlichkeitsrechtsschutz mit der im Verfassungsrecht gleichermaßen verbürgten Presse- beziehungsweise Rundfunkfreiheit. Soweit künftig bereits die Herstellung von Aufnahmen den Straftatbestand erfüllt, wiegt der damit verbundene Grundrechtseingriff umso schwerer, als hier mit dem Verbot der Beschaffung von visuellen Informationen einer der Kernbereiche der bild- und insbesondere fernsehjournalistischen Berichterstattung betroffen ist. In solchen Fällen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bekanntlich eine differenzierte Interessenabwägung zwischen den widerstreitenden Rechtsgütern vorzunehmen, die allen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen hat. Mit einem solchen differenzierten Abwägungsgebot ist eine derart vage abgefasste und damit außerordentlich weit greifende allgemeine Strafvorschrift schlechthin unvereinbar. Die Abwägung kann auch vor Ort kaum geleistet werden, allenfalls in einer gründlichen, rechtsdogmatisch geschulten Nachbetrachtung. Diese Abwägung vom Journalisten in seiner konkreten Arbeitssituation, das heißt im Moment, wo er die Aufnahme herstellt, zu verlangen, hieße, ihn zu überfordern.

Zwar möchten die Gesetzentwürfe den Interessen der Bildjournalisten Rechnung tragen, indem sie dem Straftatbestand entweder das Merkmal »unbefugt« hinzufügen oder die Strafe bei Vorliegen »berechtigter Interessen« ausschließen beziehungsweise die Wahrnehmung berechtigter oder überragender öffentlicher Interessen als Rechtfertigungsgrund benennen. Alle diese rechtstechnischen Bemühungen können jedoch den Eingriff in die Mediengrundrechte nicht auf das rechtlich zulässige Maß beschränken. Das Merkmal »unbefugt« entlastet den Bildjournalisten praktisch nur dann, wenn der Betroffene in die Bildaufnahmen einwilligt. Der Hinweis auf berechtigte Interessen vermag die nötige Rechtsgüterabwägung im Einzelfall nicht zu ersetzen, sondern veranlasst sie gerade. Dass sich der (Bild-)Journalist auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen muss, um bei seiner grundrechtlich geschützten Informationsbeschaffung der Bestrafung zu entgehen, ist unzumutbar.

Bei solcher Sachlage sollte von der Einführung eines (neuen) Straftatbestandes auf jeden Fall Abstand genommen werden. Sofern tatsächlich aus den eingangs erwähnten rechtspolitischen Gesichtspunkten und entgegen der klar dagegen sprechenden Argumente die Bildnisherstellung fortan unter Strafe gestellt werden sollte, so müsste meines Erachtens aus den zuletzt skizzierten Gesichtspunkten legislativ auf jeden Fall klargestellt werden, welche konkreten Sachverhaltskonstellationen von der Norm erfasst werden. Dies könnte beispielsweise durch die normative Forderung erfolgen, dass die Verletzung des persönlichen Lebensbereichs beziehungsweise der Intimsphäre eindeutig »aus der Art oder den Umständen, unter welchen die Herstellung der Aufnahmen erfolgt«, hervorgehen muss. Damit wären beispielsweise die krassen und sozial selbstverständlich unvertretbaren heimlichen und voyeuristischen Filmaufnahmen in Schwimmbädern, Arztpraxen, Toiletten oder Umkleidekabinen beziehungsweise von so genannten »Paparazzi« erfasst, die Tätigkeiten von seriösen Pressefotografen beziehungsweise Kameraleuten etc. hingegen ersichtlich ausgenommen.

Aber auch solche Konkretisierungen der viel zu weit gefassten Tatbestandsmerkmale in den Gesetzentwürfen können den Einwand nicht beseitigen, dass das strafbewehrte Verbot von Bildaufnahmen in den Kernbereich journalistischer und insbesondere fernsehjournalistischer Betätigung eingreift und zu einer schweren Behinderung grundrechtlich geschützter Medienbetätigung führt. Insoweit unterscheidet sich der vorgeschlagene Straftatbestand auch vom Verbot heimlicher Tonaufnahmen nach § 201 Strafgesetzbuch, der einen klar eingegrenzten und von jedem Journalisten in der praktischen Arbeit erkennbaren Ausnahmetatbestand betrifft. Die Breitenwirkung des vorgeschlagenen Verbots von Bildaufnahmen ist außerordentlich groß. Sie löst die »Schere im Kopf« des Bildjournalisten viel zu frühzeitig aus und führt letztlich zu einer Beschädigung der demokratischen und gesellschaftlichen Funktion der Medien insgesamt. Angesichts dessen sollte der Gesetzgeber von diesem Vorhaben Abstand nehmen.


1 BT-Ds. 15/361 v. 26.1.2003

2 BT-Ds. 15/533 v. 11.3.2003

3 BR-Ds. 164/1/03 v. 16.9.2003

 
 
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