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Susanne Müller

50 Jahre Kinderfernsehen - vom Kasperle zum Kinderkanal
Oder wie sich Kindheit und Kinderkultur verändern

 
Susanne Müller
Susanne Müller
              
 

Zum 1. Januar 2003 ist die Sendezeit des Kinderkanals um zwei Stunden bis 21 Uhr erweitert worden. Natürlich hat das schon im Vorfeld wieder die Kritiker auf den Plan gerufen: Müssen denn Kinder so lange und so spät fernsehen? Und: Diese ständigen Expansionsbestrebungen der Öffentlich-Rechtlichen sind nicht in Ordnung; 15 Stunden Kinderprogramm am Tag, 105 Stunden in der Woche – das gehört nicht mehr zur Grundversorgung.

Das ist Anlass genug, einen kleinen Blick in die Vergangenheit zu werfen, zumal das Fernsehen in Deutschland gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert hat und das ZDF bald 40 wird. Ich bin ungefähr so alt wie das deutsche Kinderfernsehen, Jahrgang 1952. Aber meine Kindheit war nicht vom Fernsehen geprägt: Einen Fernseher bekamen wir erst, als ich elf war. Natürlich hatte das Einfluss auf unser Leben und unser Freizeitverhalten: War der Abend früher von gemeinsamem Spiel und Gespräch bestimmt gewesen, so wurde jetzt doch häufiger gemeinsam ferngesehen. Woran erinnere ich mich? An Volkstheater mit Willy Millowitsch und Heidi Kabel, an Shows mit Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld und Robert Lembke. An die legendäre Tiersendung mit Bernhard Grzimek. An Sport (die Fußball-WM 1966!), an Serien wie »Lassie«, »Daktari«, »Sprung aus den Wolken«. Allen gemeinsam war: Diese Programme waren nicht ausgerichtet auf kleine differenzierte Zielgruppen. Es sollte ein Programm für alle sein, für die ganze Familie. Und das war es: Familiengespräch, Staunen, Lachen, Spannung, Mitraten. Streit um die Fernbedienung konnte es noch nicht geben, die war noch nicht auf dem Markt und wurde mangels programmlicher Alternativen auch nicht gebraucht. Ärger gab es bei uns nur, wenn ich vom Fernsehen ausgeschlossen wurde – bei den Durbridge-Krimis beispielsweise, das fand ich nicht in Ordnung, da habe ich mich dann an den Heizungsschacht gesetzt und »Das Halstuch« ferngehört statt ferngesehen.

40 Jahre später hat sich die Gesellschaft, hat sich das Fernsehen und haben sich die Fernsehgewohnheiten völlig verändert. Die traditionelle Familie ist in der Auflösung begriffen: Vater, Mutter, Kind(er) ist eher ein Auslaufmodell. Nur noch in jedem vierten Hauhalt lebt ein Ehepaar mit seinen Kindern unter einem Dach. Sonst: immer mehr Singles, Alleinerziehende, Paare ohne Kinder. Das verändert auch die Auffassungen vom Fernsehen. Natürlich war Kinderfernsehen immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Sicht des Kindes und der aktuellen pädagogischen Strömungen. Die Diskussion über die Wirkung dieses Mediums ist so alt wie das Fernsehen selbst.

Mitte der 50er Jahre hieß es noch, dass es pädagogischer Irrsinn sei, Kinder unter acht oder unter zehn Jahren fernsehen zu lassen. So wurde Ende der 50er Jahre entschieden, keine Programme mehr für kleine Kinder anzubieten und es gab nur so viel Kinderfernsehen, wie man den Kindern täglich höchstens zumuten sollte, so zum Beispiel Mitmachsendungen, Puppentheater und das Sandmännchen.

In den 60ern versammelten wir uns am seelenwärmenden Lagerfeuer der Serien, in denen kluge Tiere zum Freund und Helfer des Menschen werden, moderne Märchen aus einer anderen Welt – schließlich hatten wir keine Prärie, um auf schwarzen Hengsten hindurchzupreschen, kein Meer, in dem wir mit Delphinen schwimmen konnten und auch keine großen Farmen, die ein Collie hüten musste. Moral war reichlich in diesen Geschichten, aber nicht unbedingt ein pädagogisches Konzept. Die Serien waren ja auch nicht für Kinder gemacht. Und obwohl sie schnell zum »heimlichen« Kinderprogramm avancierten, waren auch die Familien begeistert. Genauso von den ersten Zeichentrickserien: wie beispielsweise »Tom & Jerry« oder »Schweinchen Dick«. Und wieder eine große Diskussion über Kinderfernsehen. Waren diese Serien nicht brutal und schädlich für die Kinder? Es muss wohl daran gelegen haben, dass die Erwachsenen sie selbst so gerne sahen, dass sie außerhalb der den Kindern zugedachten Nischen weiter gesendet wurden.

Ende der 60er begann eine neue Ära: Waren sich vorher Pädagogen, Ärzte und Wissenschaftler einig gewesen, dass Fernsehen Kindern (vor allem kleinen) schade, so wurde nach langer Diskussion nun das Gegenteil behauptet. Kompensatorische Erziehung war das Zauberwort – und Fernsehen sollte das Medium dafür sein. Kommunikatives Training und soziales Lernen sollten Chancengleichheit schaffen. Das ZDF stellte 1973 eine Neuinterpretation von Kinderprogrammen vor, die »Rappelkiste«, die die tradierten Normen in Frage stellte. Die 70er waren eine großartige Zeit – und es gab nie so viele unterschiedliche und miteinander streitende Auffassungen von Kinderprogramm wie in diesen Jahren. Im ZDF wurde Kinderfernsehen in zwei unterschiedlichen Redaktionen produziert – von der »Rappelkiste«-Gruppe und von der Redaktion Kinder und Jugend, deren Leiter Josef Göhlen war. Er plädierte für ein publikumsnahes Programm, das die emotionalen Erwartungen des Zuschauers erfüllt und dessen Neugierde befriedigt. Daraus entstanden Programme wie beispielsweise die Zeichentrickserien »Biene Maja«, »Heidi« oder »Wickie«, die heute noch erfolgreich sind – wenn sie im Kinderkanal abends um 18.30 Uhr zur besten Familienzeit laufen, erreichen sie oft ein größeres Publikum als manche Hervorbringungen der modernen Animationsindustrie. Die 30- und 40-Jährigen, die Eltern unserer heutigen Kindergeneration, erinnern sich mit Freude an diese Programme.

Und dann die 80er – Zeit des Wandels. In der ersten Hälfte war die öffentlich-rechtliche Welt noch in Ordnung. »Löwenzahn« entstand in einer Zeit, die geprägt war von einem starken ökologischen Bewusstsein. Der Moderator Peter Lustig ist für Jugendliche und junge Erwachsene heute Kult. Er hat ihnen erklärt, wie Natur und Technik funktionieren. In dieser Zeit war Kinderprogramm im ZDF noch recht gut platziert: werktäglich am späten Nachmittag mit einer Dreiviertelstunde und jeden Sonntag nach dem Mittagessen mit einer langen Strecke. In der zweiten Hälfte der 80er dann: kommerzielle Vervielfachung der Programmangebote für Kinder, schnell akzeptiert von der Zielgruppe, zumal diese großflächig zu attraktiven Sendezeiten ausgestrahlt wurden. Im gleichen Maß, wie die neuen Programme Zugewinne erzielten, verloren die öffentlich-rechtlichen Kinderprogramme Zuschauer – zumal die Sendungen in der sich verschärfenden Konkurrenzlage auf weniger attraktive Sendeplätze rutschten. Das ZDF trotzte mit dem Aufbau profilierter Sendungen: »logo!«, »Siebenstein«, »Achterbahn«, um nur einige Beispiele zu nennen.

Nach dem Ende der antiautoritären Zeit hatte sich das Bild von Kindern und Kindheit erneut gewandelt. Kinder sind aktiv, eigenständig, kompetent, sie werden nicht mehr als hilflose Opfer der Medien gesehen, sondern als aktive Konstrukteure ihrer Welt. Kinder verbringen sehr viel Zeit mit Gleichaltrigen – in Kindergarten, Schule, Hort und anderswo. Das hat Einfluss auf die Geschmacksbildung – die findet immer weniger in der Familie und immer mehr mit Freunden statt. Was aus dem Medienangebot brauchbar erscheint, wird zunehmend von den Kindern selbst verhandelt. Zwar stößt das Ergebnis nicht unbedingt auf die Zustimmung der Eltern – aber die partnerschaftliche Auffassung vom Umgang mit Kindern und die dadurch gewandelte Beziehung zu ihnen führt dazu, dass die Kontrolle gelockert, dass deren Wünschen und Willen mehr Raum gegeben wird. Kinder dürfen mitreden und mitbestimmen – und hier schließt sich der Kreis zum Markt: Sie entscheiden nicht nur darüber, was zur Befriedigung ihrer Wünsche benötigt wird, sondern sie werden sogar gehört, wenn es um Anschaffungen für die ganze Familie geht. Kein Wunder, dass privates Kinderprogramm boomte – in den Werbeinseln konnten die jüngsten Konsumenten perfekt angesprochen werden.

Auch wenn die Belange der Kinder in Deutschland eher selten politisches Leitmotiv sind – die Medien und insbesondere das Fernsehen geben immer wieder Anlass zur Diskussion der gesellschaftlichen Pflicht gegenüber den Kindern: Sie seien vor einer Überflutung mit Kaufanreizen durch Werbung und vor zu viel Gewalt im privaten Fernsehen zu schützen. In diesem Klima konnte die Gründung des Kinderkanals erfolgen. Seit sechs Jahren ist er nun ein zuverlässiger Partner der Kinder, mit seinem übersichtlichen und verlässlichen Schema, mit Kontinuität und Wiedererkennbarkeit kommt er ihrem Wunsch nach Orientierung entgegen. Und den Eltern auch, weil sie sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder an dem Programm keinen Schaden nehmen.

2002: über 30 frei empfangbare Kanäle in Deutschland, Angebote für die unterschiedlichsten Zielgruppen. Bei den Erwachsenen hat die Zeit, die sie fürs Fernsehen aufwenden, stetig zugenommen, bei den Kindern ist sie seit über zehn Jahren einigermaßen gleich geblieben: im Durchschnitt eineinhalb Stunden am Tag. Aber diese Zeit hat sich vor allem in den Abend verlagert – die Hauptsehzeit der Kinder beginnt um 18 und erstreckt sich bis 21.30 Uhr. Die verbringen sie aber nicht mehr so oft gemeinsam mit den Eltern auf der Couch vor dem Familienfernseher und vor Familienprogramm – Fußball-WM, Skispringen, »Wetten, dass ...?«, »Unser Charly«, »Wer wird Millionär?« und ein paar Spielfilme. Mehr fällt mir nur mit Mühe ein. Häufig laufen im Hauptabend auf vielen Sendern Programme, die für Kinder allenfalls mäßig geeignet sind. 25 Prozent aller Kinder in Deutschland – im Osten 50 Prozent – haben einen eigenen Fernsehapparat. Damit es keinen Kampf um die Fernbedienung gibt, geht man sich aus dem Weg. So vereinzeln die Familien vor ihren verschiedenen Bildschirmen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Immer noch ist die Familie einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Wir sollten sie pflegen. Dazu gehört auch, dass es Familienfernsehangebote gibt. Da die Familien gesellschaftlich in der Minderheit sind, ist verständlich, dass die Hauptprogramme andere Zielgruppen bevorzugt bedienen. Der Kinderkanal ist den Kindern verpflichtet – und damit auch ihren Eltern. Ich plädiere nachdrücklich für seinen Ausbau zu einem Familienkanal am Abend. Schon seit langem ist im KI.KA die halbe Stunde vor 19 Uhr Familienfernsehzeit, in der genauso viele Erwachsene zusehen wie Kinder. Mehr davon wäre doch schön, oder? Dazu braucht Der Kinderkanal neue Familienprogrammideen, angemessene Verbreitung und angemessene Mittel – und keinen Gegenwind. Ist es doch schöner, wenn Kinder und Eltern zusammen vor dem Fernseher kuscheln und über das reden können, was sie sehen, als wenn jeder für sich alleine glotzt.

 
 
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