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Gottfried Langenstein

Europa in der Medienkrise

 
Gottfried Langenstein
Gottfried Langenstein
              
 

Seit der Wirtschaftskrise der 20er Jahre hat es keinen so dramatischen Verfall der Aktienmärkte mehr gegeben wie in den vergangenen drei Jahren, und wir stecken heute in eben jener Wirtschaftslage, die man damals »The Great Depression« nannte. Das Volumen der vernichteten Vermögenswerte belief sich 1929 in den USA auf etwa 140 Milliarden Dollar, die Schätzungen der Verluste der letzten drei Jahre liegen bei 7,5 Billionen nur für die USA.

Im Aufschwung wie im Abschwung spielten Medien und Medientechnologiewerte eine besondere Rolle. Das aufkommende Internetzeitalter hatte zum Ende des Jahrtausends das Begreifen einer neuen Informationstechnologie zur hypertrophen Erwartungshaltung reifen lassen. Traumsummen wurden von jetzt auf gleich erwartet. Die Welt verwandelte sich in ein globales Multi-Media-Clondyke. Am Neuen Markt in Frankfurt, am Nouveau Marchée in Paris, an der NASDAQ in New York waren die Namen der neuen Medienunternehmen oft gerade erst gelistet, schon war ihr Kurs um das Vielfache gestiegen. Banken gewährten Kredite in Dimensionen jenseits aller realistischen Grundlagen. Weltweit summierten sich die Kreditlinien bald auf ein Vielfaches dessen, was die Medienmärkte an Erträgen über die Werbung, über Kabelerlöse oder sonstige Quellen erzielten.

Umso heftiger war der Zusammenbruch. Der französisch-amerikanische Medienkonzern Vivendi, zu dem Canal Plus gehört, meldete in diesem Jahr mit 23 Milliarden Euro den größten Verlust aller in Frankreich gelisteten Unternehmen. In Deutschland war die Insolvenz des Kirch-Konzerns ein Beben, das bald weit über die Konzerngrenzen hinaus spürbar wurde. Bertelsmann stellte die Aktivitäten der Broadband-Group ein und zieht sich aus der Internetschmiede Pixelpark zurück. Und die Deutsche Telekom meldet dieser Tage mit 24,6 Milliarden Euro Defizit im Jahr 2002 den größten Verlust ihrer Unternehmensgeschichte – und die »Volksaktie« begeht das Geschäftsjahr 2002 ohne Dividendenzahlung. In Erwartung des Internet- und Multimediabooms hatte auch die Telekom in Unternehmen und Projekte zu Preisen investiert, die nicht von tatsächlichen Erträgen gedeckt waren.

Hinzu kam die Versteigerung der UMTS-Lizenzen zu Extrempreisen, die dem Finanzminister von allen Erwerbern zunächst die Traumsumme von 50,8 Milliarden Euro einbrachte. Sie entzog jedoch auf Jahre hinaus den Telekom-Unternehmen die für Investitionen notwendige Liquidität und wird dem Fiskus in der Folge erhebliche Abschreibungen bescheren.

Die scheinbar unerschöpflichen Zuwachsraten der Medienunternehmen veranlassten die Rechteinhaber – und hier insbesondere die Sportverbände –, ihre Ansprüche gleichermaßen zu vervielfachen. 1980 kosteten die Rechte für die Fußballbundesliga noch umgerechnet 3,2 Millionen Euro, 1990 war der Preis auf 25 Millionen Euro gestiegen, in der Saison 2001/2002 erreichte er die luftige Höhe von 358 Millionen Euro. In England war die Steigerung noch dramatischer. Dort stiegen die Kosten für die Premier League von umgerechnet 21 Millionen Euro im Jahr 1990 auf 720 Millionen Euro 2001. Hinzu kommen die Anschlussverträge der Fußball-Weltmeisterschaft, die für die Jahre 2002 und 2006 von Kirch für 1,7 Milliarden Euro erworben wurden. Die Verteuerung der Sportrechte entzog den Fernsehunternehmen Jahr für Jahr wachsende Anteile ihrer Programmbudgets – mit der Folge von dramatischen Einschnitten bei den klassischen Fernsehgenres Fiction, Dokumentation und Reportage.

In Zeiten steigender Werbeeinnahmen waren diese Belastungen zumindest noch teilweise zu kompensieren, in Zeiten fallender Werbe- und Sponsoreneinnahmen werden die überzogenen Rechtekosten zur Strangulation für den Medienmarkt. Das dort entzogene Geld kehrt nicht mehr in den Medienkreislauf zurück. Es landet in den Vereinen und bei den Akteuren, die sich längst an jährliche Millionengagen gewöhnt haben. Die Liquidität fehlt den Medienunternehmen in Deutschland und in Europa, um die heimischen Medienstandorte wettbewerbsfähig zu erhalten.

Dies ist deshalb so elementar, weil auf der Bankenseite die vor dem Börsencrash noch gelebte extensive Freigiebigkeit nun umgeschlagen ist in äußerste Zurückhaltung bei der Vergabe von Krediten. Angesichts der zahlreichen Not leidenden Kredite sind die Banken gezwungen, ihre kritische Situation bei Besicherung von Neukrediten zu stabilisieren. Die neuen Eigenkapitalrichtlinien für Banken (Basel-II-Abkommen) haben zudem nachhaltige Folgen für die Kreditvergabe an kleinere und mittlere Unternehmen, die über kein Rating verfügen und – wie Medienunternehmen häufig – Zwischenfinanzierungen für die Projektentwicklung benötigen.

In dieser kritischen Phase stellen die Produktionsaufträge der öffentlich-rechtlichen Fernsehunternehmen einen essentiellen Stabilisierungsfaktor für die Produzentenlandschaft dar.

Krisen sind immer auch Zeiten, in denen nach Neuordnung gerufen wird. In der Tat muss man darüber nachdenken, wie Europa sich seine vielfältige Medien- und Produzentenlandschaft erhält. Dies ist eine medienökonomische, eine kultur- und bildungsrelevante und eine politische Frage. Medienökonomisch wird der Wettbewerb nicht einfacher werden. Während die erste Gründergeneration privater Fernsehunternehmen in der Regel jeweils auch dem gleichen Kulturraum entstammte und sich diesem verpflichtet sah, sind internationale Medientycoons wie Rupert Murdoch oder Prinz Al-Walid von solchen Bindungen frei. Dies hat Folgen sowohl für die Neigung, Produktionsaufträge auch lokal zu platzieren als auch für die standortgebundene Versteuerung von Erträgen. Globale Player verdanken ihre herausragende Wettbewerbsfähigkeit dem geschickten Ausnutzen von unterschiedlichen fiskalischen und investorischen Rahmenbedingungen, und man darf nicht davon ausgehen, dass sie dies beim Erwerb deutscher oder europäischer Fernsehsender oder Produktionsfirmen anders handhaben würden. Ein internationaler Investor muss die globale Verwertung seiner Rechtebestände im Blick haben, und das wird langfristig nicht ohne Folgen für die Spiegelung unserer eigenen Kultur in den Medien bleiben.

Die Medienkrise kann mittelfristig auch zu einer politischen werden. Die Krise der RAI im Lande Berlusconis, die französische Sonderausgabe der Sun, die Murdoch angesichts des Irak-Konflikts kostenlos in Paris verteilen ließ und die den französischen Staatspräsidenten als Wurm auf dem Titelblatt darstellt, zeigen, dass die Medientycoons die diskreten Räume von Banken und Investmentclubs verlassen haben und auf dem politischen Parkett offen mitspielen wollen. Für die europäische Balance – im Europäischen Rat hat jedes Land eine Stimme – wäre die Dominanz eines globalen Investors in den Fernsehunternehmen mehrerer europäischer Länder nicht ohne Folgen für die demokratische Kultur unseres Kontinents. Ausgewogenheit und Vielfalt der Meinungen wären in Gefahr. Vor diesem Hintergrund gewinnen die öffentlich-rechtlichen Fernsehunternehmen im Sinne des Amsterdamer Protokolls für die Sicherung der pluralen Meinungsbildung in Europa neue Bedeutung. Ein gemeinsames Europa ist nur denkbar, wenn die Vielfalt der Stimmen der Länder und Regionen auch unverfälscht und in hinreichender Breite zum Ausdruck kommt.

 
 
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