ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2002  
ZDF Jahrbuch
Programmbouqet und Beteiligungen
Gottfried Langenstein
Engelbert Sauter
Heiko Holefleisch
Wolfgang Bergmann
Susanne v. Oertzen-Röll/Andrea Windisch
Susanne Müller
Bodo H. Hauser
Alexander Coridaß
Reinhold Elschot
Ernst Elitz

Heiko Holefleisch

ARTE vermessen

 
Heiko Holefleisch
Heiko Holefleisch
              
 

Die Staatskassen sind leer, Kommunen bankrott, der Sozialstaat auf dem »Prüfstand«, die Kulturetats der Länder und Gemeinden werden zur Abbruchhalde. In einer der reichsten Volkswirtschaften ist Ende 2002 Katerstimmung ein Euphemismus. Nichts ist mehr sicher, nichts bleibt, wie es war. Schon längst mussten städtische Museen sich daran gewöhnen, ohne Ausstellungsetats auszukommen, nur hatte ihnen niemand gesagt, dass auch noch die privaten Sponsoren fernbleiben werden. Kämmerer leihen sich notgedrungen teures Geld, der Tod der Theater in einer der blühendsten Theaterlandschaften der Welt rafft weitere Häuser dahin. Kultur hat offenbar keine Lobby.

Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen läutet zwar niemand länger das Totenglöckchen, doch ist seine wiedererlangte Vitalität manchen Gegnern nun erst recht ein Dorn im Auge. Die Krise der kommerziellen Anbieter fest im Visier, lenken sie den Blick in die geschröpften Geldbeutel und attackieren über Gebühr. Im politischen und publizistischen Streit über die Legitimität der Rundfunk- und Fernsehgebühren sowie über deren Erhöhung und Aufschlüsselung war in der Vergangenheit zwischen fairem Kommentar und interessengeleiteter Kampagne gelegentlich schwer zu unterscheiden. Auf der Suche nach den kleinen gemeinsamen Nennern ist die Ausdünnung des kulturellen Angebots immer eine der ersten Optionen, provoziert sie doch vermeintlich den geringsten öffentlichen Aufschrei. Ein Verlust an Kultur scheint am ehesten verwindbar, schmerzfrei, folgenlos. Als wolle man die Lektion der großen Kriege und Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts, der großen sozialen Verwerfungen leugnen, die sich – bei aller Verkürzung – stets auch auf kulturelle Verwahrlosung gründeten: Sprachlosigkeit, Identitätskrise, Realitätsverlust, Xenophobie bahnen den Weg in die Barbarei. Lustvoll und schöpferisch das Fremde begreiflich zu machen und damit vertraut und gelegentlich das allzu Vertraute verstörend befremdlich, ist die wesentliche, friedensstiftende Leistung kultureller Interaktion.

Beide unverzichtbaren Säulen öffentlich-rechtlichen Kulturfernsehens sind daher nicht grundlos grenzüberschreitend. Während 3sat den Dialog der deutschsprachigen Nationen führt und den Europäern gebündelt deren herausragende Kulturprogramme präsentiert, hat ARTE sogar die Aufgabe, als erster und bislang einziger bilingualer Sender mit seinem Programm europäische Sprach- und Kulturräume zu verbinden. ARTE war von Anfang an als Nucleus eines möglichen europäischen Kulturfernsehens gedacht. ARTE war von Anfang an ein Stück Vision, Utopie. Und ARTE bewegte sich damit ganz und gar im Leitstrahl derer, die am 22. Januar 1963 mit dem Elysée-Vertrag die deutsch-französische Freundschaft auf den Weg brachten und ein vereintes Europa fest im Blick hatten. Adenauer und de Gaulle waren von der historischen Notwendigkeit und vom Sog ihrer Idee überzeugt. 40 Jahre später forderten anlässlich des Jahrestags dieses Elysée-Vertrags der französische Staatspräsident Chirac und der deutsche Kanzler Schröder in ihrer gemeinsamen Erklärung dazu auf, den Kulturkanal ARTE unter Wahrung seiner deutsch-französischen Identität für Europa zu öffnen. Exemplarisch ist der Kultur damit erneut sehr deutlich zuerkannt und auch abverlangt, ihren besonderen, unersetzlichen Beitrag zur Annäherung der Völker Europas, zur lebendigen Begegnung der Menschen zu leisten.

ARTE hat die Reihe seiner internationalen Koproduktionspartnerschaften durch Vereinbarungen mit der BBC und der schwedischen SVT auf mittlerweile neun erweitert. Das ARTE-Programm, von Nordafrika bis Norwegen, von Osteuropa bis Spanien über ASTRA 1C empfangbar, wird mittlerweile als herausragendes Kulturangebot in Belgien, Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Schweden, Österreich, Polen, Estland, Litauen, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Rumänien und Bulgarien in die dortigen Kabelnetze eingespeist. ARTE hat seine Sendezeit in den Nachmittag ausgedehnt und beabsichtigt, irgendwann rund um die Uhr auszustrahlen. In der Europa-Stadt Straßburg bezog ARTE unterdessen unmittelbar neben dem Europäischen Parlament und dem Europarat sein eindrucksvolles neues Haus.

Die Forderungen sind somit formuliert, die Ansprüche hoch, die Bedingungen nicht die schlechtesten. ARTE genießt einen blendenden Ruf, seine Programme (beispielsweise mit Absender Mainz, Paris, Straßburg oder Hamburg) heimsen auf Festivals immer wieder bedeutende Preise ein; in den gut zehn Jahren seines Bestehens hat der Sender durch sein ungewöhnliches Programm die Feuilletons erobert. ARTE kann sich seiner Sache sicher sein. Aber auch seines Publikums? In Deutschland erlangt das Programm einen durchschnittlichen Marktanteil von 0,7 Prozent. Den eigenen Anstrengungen und Hoffnungen zum Trotz, hat der Sender in der gemessenen Zuschauergunst in beiden Ländern nicht wesentlich zugelegt. Wie stark also ist ARTE in den Köpfen und Herzen einer kulturell interessierten, engagierten, prägenden Öffentlichkeit dann wirklich verankert? Sich unter dem schützenden Schirm der Politik im Schatten der deutsch-französischen Freundschaft gemütlich einzurichten, ist Sache der ARTE-Macher nicht. Zu leidenschaftlich, zu besessen sind sie, sie wissen von ihrem Auftrag und ihrem Privileg. Doch fürchten sie auch, dass die Zurückdrängung der Kultur vor ARTE nicht halt macht. ARTE, lange als Anti-Fernsehen von denen gefeiert, die das Medium an sich verschmähen, bleibt allein schon durch die Zweisprachigkeit exotisch und spröde. Die Internationalität seiner filmischen Angebote, seine Formatierungen und Erzählweisen sind zwar Markenzeichen, aber selten leichte Kost. Eine Schemareform soll den Zugang erleichtern, die Anmutung/Habillage wird erneuert, Sendeformate werden auf Herz und Nieren geprüft – manchmal scheint es, dass kein Stein auf dem anderen bleibt.

Jeder Fußballer weiß es: Die Wahrheit ist auf dem Platz. ARTE wird dann weiter gewinnen können, wenn jede Sendung für sich in Anspruch nimmt, dem medialen Zeitgeist gerade nicht nachzurennen, wenn sie durch Originalität, durch Unverwechselbarkeit besticht, den Zuschauer ernst nimmt, ihn fesselt und überrascht, ihn gelegentlich aufrüttelt oder sogar verstört. Also kein weicher Paradigmenwechsel, sondern knallharte Kultur, intelligent und unterhaltsam, weist den Weg zu einem Sender, der in Zeiten wie diesen immer wichtiger wird. Für das ZDF, Europas größten Fernsehsender, ist dieses komplementäre kulturelle Programm mit seinem deutsch-französischen Fundament, den europäischen Perspektiven und der internationalen Produktivität so bereichernd, wie es das ZDF und seine ARTE-Mitarbeiter mit ihrem Profil und ihren Programmerfolgen für das deutsch-französische Flagschiff ARTE sind.

Bleibt die Frage, mit welchen Ziffern vor oder hinter dem Komma ein Programm wie ARTE sich denn vollends und auf Dauer legitimieren würde: 0,8 oder 1,0? Wie erfolgreich dürfte ARTE denn im öffentlich-rechtlichen Spektrum werden? Lassen wir die Quote also das sein, was sie ist: Ansporn, aber nicht das Maß aller Dinge.

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2003
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika