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Peter Kaadtmann

Das andere Olympia
Die Paralympics von Turin

 
Peter Kaadtmann
Peter Kaadtmann


Sestriere zwischen Idylle und Wintersportkommerz
Sestriere zwischen Idylle und Wintersportkommerz


Kameramann Jan Depken bei Fahraufnahmen mit Martin Braxenthaler, dreifacher Goldmedaillengewinner im alpinen Skilauf
Kameramann Jan Depken bei Fahraufnahmen mit Martin Braxenthaler, dreifacher Goldmedaillengewinner im alpinen Skilauf
 

Der silbergraue Würfel mit der abgedunkelten Glasfront Richtung Süden passte nicht so recht in das Tourismusidyll des Marktplatzes von Sestriere. Und doch hatte sich der Bürgermeister des Wintersportortes hilfreich gezeigt, als es darum ging, einen geeigneten Standplatz für den offensichtlichen Stilbruch zu finden. Dass dies dennoch mit kaum durchschaubaren, geradezu umständlichen Genehmigungen verbunden war, ist Wesen einer für uns Deutsche wenig verständlichen italienischen Bürokratie.

Im Februar war Sestriere Austragungsort einiger der alpinen Ski-Wettbewerbe bei den Olympischen Winterspielen von Turin gewesen. Typisch das verkastelte Ambiente aus wenigen freistehenden, geschmacklich angepassten Gebäuden und der Vielfalt moderner, gewöhnungsbedürftiger, auf Tourismus ausgerichteter Zweckbauten.

Fiat-Chef Agnelli schuf sich hier vor Jahrzehnten für sich und die Seinen ein ureigenes Skiparadies, das von Turin aus in kurzer Zeit erreicht werden konnte. Nur langsam geht Sämtliches, was der Familie einst das sportliche Vergnügen leichter machte, in den Besitz der Gemeinde über.

Der silbergraue Würfel war für ARD und ZDF das Behelfsstudio für die Paralympics, in dem die Sendungen moderiert und Gäste interviewt wurden. Mit einer wirklich nutzbaren Fläche von weniger als zehn Quadratmetern erfüllte es gerade Minimalanforderungen. Regisseure, Kameramänner und Beleuchter sahen sich herausgefordert, dieser besseren Abstellkammer dennoch einen Hauch von Größe und Perspektive zu geben. Dabei half der weitwinkelige Kamerablick durch die abgetönten Scheiben auf den Marktplatz und den Hausberg im Hintergrund.

Die Paralympics sind die Olympischen Spiele der Menschen mit Behinderung. Seit Seoul 1988 werden sie immer am Olympiaort etwa zwei Wochen nach der Schlussfeier ausgetragen. Bei den Winterspielen ist die Zahl der Sportarten vergleichsweise gering: Ski alpin, Ski nordisch mit Langlauf und Biathlon, Schlitten-Eishockey und Rollstuhl-Curling (im Vergleich dazu umfasst das Programm der Olympischen Winterspiele 15 eigenständige Disziplinen). So waren nicht mehr als 477 Athletinnen und Athleten am Start (Olympische Spiele 2006). An eine Ausweitung des Sportangebots wird immer wieder gedacht, um die ohnehin vorhandenen olympischen Anlagen ein zweites Mal nutzen zu können. Aber dazu müssen sich erst Rodler, Bobfahrer, Eiskunst- oder -schnellläufer finden und sich in ausreichender Verbandsstärke beim International Paralympic Committee (IPC) registrieren lassen.

Sestriere hatten ARD und ZDF gemeinsam mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) als Standort ausgesucht, weil in Turin lediglich die Eishockeywettbewerbe ausgetragen wurden, winterliches Flair Ende März aber nur noch in den Bergen zu erwarten war. Wir hatten uns nicht getäuscht. Während in Turin die ersten Straßencafés öffneten, sorgte frischer Neuschnee und tagelang wolkenloser Himmel für optische Hochgenüsse.

ARD und ZDF berichten seit Sydney 2000 in größerem Umfang von den Paralympics. Die Gesamtsendedauer ist, bezogen auf die Olympischen Spiele, allerdings noch verschwindend gering. Aber ein Anfang ist gemacht. Im ZDF ist damit auch ein Wechsel der Redaktion verbunden. Jetzt wird das Ereignis von der Hauptredaktion Sport fachlich betreut. Die Wettbewerbe sind rein leistungsbezogen, die Athleten fühlen sich zu Recht als Spitzensportler und kaum noch als Menschen, die allein über leichte sportliche Betätigung Lebensfreude und Mobilität zurückgewinnen wollen. Und wenn Training und Wettkampf unter nahezu gleichen Bedingungen ablaufen wie bei Nichtbehinderten, darf die journalistische Begleitung nicht abweichen.

Im Wintersport sind wir im ZDF seit Salt Lake City einen Schritt weitergegangen: Die Berichterstattung wird in die erfolgreichen Übertragungen von den Weltcupwettbewerben integriert. Sie erhält damit ein attraktives Programmumfeld mit bekannt hohen Quoten, mehr noch: Die Paralympics werden damit als gleichrangig verstanden. Das kommt nicht zuletzt den Athleten entgegen, die sich Nichtbehinderten als ebenbürtig und ernster genommen fühlen können, da sie ausschließlich nach ihrer erbrachten Leistung bewertet werden – negative Kritik eingeschlossen, wenn erhoffte Ergebnisse ausbleiben. Das individuelle Behindertenschicksal rückt in den Hintergrund. Es spielt allenfalls eine Rolle beim Leistungsvergleich. Allerdings wurden die bisher starken Differenzierungen in sportliche Klassen je nach Behinderungsgrad aufgegeben. Statt dessen gibt es nur noch die Gruppen der Stehenden, Sitzenden und Blinden. Die Unterschiede innerhalb dieser Gruppe – wie etwa die Zahl fehlender Gliedmaßen oder der Umfang der Sehbehinderung – werden durch eine Prozentualregelung aufgehoben. So läuft etwa beim alpinen Skilauf die Uhr bei stärker Behinderten einfach um festgesetzte Werte langsamer ... Folglich werden für die Zuschauer an den Strecken oder am Bildschirm die Wettbewerbe um vieles attraktiver: Die Startfelder sind erheblich größer und manchmal merkt man wirklich kaum, ob die Uhren langsamer ticken. Ein weiterer Umstand ist verblüffend: Alle Teilnehmer starten in gleichen Mannschaftstrikots wie die Olympiateilnehmer. Unterschiede in den Bewegungsabläufen sind jetzt nur bei näherem Hinsehen oder generell bei den Sitzenden auszumachen. Stärker kann eine Angleichung kaum ausfallen!

Im Prinzip erübrigt sich damit ein übermäßig sensibler Umgang mit den Athleten. Schließlich handelt es sich nicht um Kranke (wie oft unüberlegt gesagt wird), sondern um selbstbewusste Menschen, die lediglich durch ihre Behinderung andere Start- beziehungsweise Wettkampfvoraussetzungen haben. Auffällig ist allerdings, dass sie durch ihr oft höheres Alter und ihre Lebensgeschichte reifer und abgeklärter erscheinen sowie sich Journalisten gegenüber weitaus offener geben.

Stark zur »Entkrampfung« hat außerdem Matthias Berg beigetragen. Der herausragende ZDF-Experte ist durch Contergan geschädigt worden. Mit seinen eigenen Einschränkungen geht er problemlos, zuweilen entwaffnend selbstironisch um. Wie kein anderer versteht er es, sportlich relevante Aspekte zu erklären, das komplizierte Regelwerk zu entwirren und aus eigener Erfahrung innere Befindlichkeiten der Teilnehmer zu offenbaren. Als mehrmaliger Paralympics-Sieger im Sommer und Winter oder etwa als Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbands leistet er im Hintergrund und vor der Kamera unschätzbare Dienste.

ARD und ZDF hatten in Sestriere eine eigene technische Zone eingerichtet. Rund 200 Meter Luftlinie vom provisorischen Studio entfernt, getrennt durch einen Häuserblock, an dem sämtliche Kabel einfach vorbeigezogen wurden, waren in Containern die Büros, Aufzeichnungsgeräte, ein Teil des Schnitts und die Sprachaufnahme untergebracht. Rund 70 Personen stellten das bisher größte Kontingent, das jemals für Winterspiele im Einsatz war. Weltweit lieferten die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten im Verbund mit PHOENIX und dem Rundfunk das umfangreichste Programmangebot. Ein kleiner Ü-Wagen des NDR mit Satelliten-Sende- und Empfangsanlage machte uns unabhängig vom internationalen Fernsehzentrum (IBC) im fernen Turin. Erleichtert wurde die Wahl des eigenen »Subzentrums« durch das erstmals gelieferte, den Sommerspielen vergleichbare Bildangebot mit mehreren Kameras, Zeitlupen und grafischer Unterstützung, das wir uns vom IBC überspielten. Dieses Signal war Grundstock aller Berichte, die dann aber durch eigene EB-Bilder mit Interviews, besonderen Einstellungen oder erklärenden Berichten ergänzt wurden. Wie sonst auch konnten damit deutsche Aspekte besonders hervorgehoben werden.

Trotz aller Fortschritte bei der fernsehtechnischen Aufbereitung der Wettkämpfe entstanden grundsätzliche Probleme und Kosten, die für Peking 2008 vermieden werden sollen. In Zukunft wird der Hostbroadcaster der Olympischen Spiele zugleich der verantwortliche Fernsehsender der Paralympics sein.

Insofern kann man für die Sommerspiele entscheidende Veränderungen erwarten. Der Ehrgeiz der Chinesen, in allen Belangen vor der Welt zu glänzen, wird sich positiv auswirken: Neben einer seit Jahren akribisch vorbereiteten sportlichen Elite erwarten wir zugleich ein noch nie da gewesenes Bildangebot von vermutlich allen Wettkampfstätten. Die Planungen sind auf etwa 4 000 Athleten ausgerichtet, die in 21 Sportarten mit insgesamt 471 Entscheidungen antreten werden. Durch die Zeitverschiebung können wir in Deutschland bis17 Uhr über alle Wettbewerbe des Tages berichten, die am Ort spätestens gegen 23 Uhr beendet sein dürften. Entsprechende Sendezeiten vorausgesetzt, wird das weitere Interesse an den Sommer-Paralympics mit einer reizvollen Vielzahl an Wettbewerben wecken. Verdient ist es allemal.

Steigende Zuschauerzahlen
Allein bei den Winterspielen verbesserte sich der absolute Wert von Turin gegenüber Salt Lake City um 160 000. Fallend sind allerdings die Marktanteile. Dank großflächigen Übertragungen von Eröffnungs- (live) und Schlussfeiern im Dokumentationskanal PHOENIX hat sich die Sendedauer mehr als verdoppelt.

 
 
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