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2006  
ZDF Jahrbuch
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Markus Schächter

Der Transformationsprozess hat begonnen
Weichenstellung auf dem Weg in die multimediale Spur

 
Markus Schächter
Markus Schächter
 
 

Im Jahr 2006 hat die zweite digitale Welle irreversible Konturen angenommen. Der Übergang der elektronischen Medien in die digitale Welt besitzt dabei die Dramatik und Dynamik, die Durchschlagskraft und Veränderungsmacht eines fundamentalen Paradigmenwechsels. In den nächsten fünf Jahren, in denen sich hierzulande der analoge »Switch off« vollziehen soll, dürfte sich in manchen Bereichen technologisch mehr verändern als in fünf Jahrzehnten zuvor. Die heutigen Unterschiede zwischen Fernsehen und Internet, zwischen TV-Netzen und Datennetzen werden immer weiter verschwinden. Über beide Verbreitungswege werden sowohl lineare wie nichtlineare Programme und Dienste verbreitet werden.

2007 wird dabei ein Jahr wegweisender Weichenstellungen und zukunftsträchtiger Entscheidungen. Und die nächsten Jahre insgesamt werden vorrangig im Zeichen einer weitgehenden Transformation der Programm- und Unternehmensstruktur stehen. Für diese Metamorphose des ZDF wird Anfang 2007 ein längerfristiger Masterplan zur Anpassung an die Anforderungen der digitalen Welt bis ins Jahr 2012 erstellt – quasi ein Fahrplan für die entscheidende Weichenstellung und den weiteren Weg in unsere mediale Zukunft: Auf ihm müssen die derzeit drei Spuren des klassischen Fernsehens, der heutigen Digitalkanäle und des künftigen Internet-Fernsehens auf eine multimediale Großspur gebracht werden. Über sie muss das ZDF gewissermaßen alle Plattformen anfahren können, um mit einem technisch diversifizierten Angebot jedweden Nachfrager zu erreichen: live oder auf Abruf, lean backward oder lean forward oder mobil unterwegs.

Auch das Nutzungsverhalten unserer Zuschauer wird sich logischerweise transformieren: Das lineare Echtzeit-Fernsehen wird an ein und demselben Gerät mit nur einer Fernbedienung kombinierbar sein mit nichtlinearem Abruffernsehen und dem kompletten Internetangebot. Dies erfordert von den Anbietern eine besondere Auffälligkeit im Sinne der Auffindbarkeit, um in den Fluten von Programmen, Audios und Videos, Clips und Spots, Plots und Blogs, Bits und Bytes und deren Links nicht unterzugehen. Die Überlebensmaxime der Zukunft lautet daher nicht einfach »Dabeisein«, sondern »Gefundenwerden«. Sie beinhaltet dreierlei: zum einen, wie ein Leuchtturm herauszuragen aus der Flut von Angeboten; zum zweiten, mit dessen publizistischer Leuchtkraft eine Orientierungsgröße für die Gesellschaft zu bilden; und zum dritten, auch selbst den Überblick und die Orientierung zu behalten, wie und wo, sprich: an welchem Endgerät, wir unsere Zuschauer künftig erreichen.

Die größer gewordene Medienlandschaft mit ihrem Verdrängungswettbewerb war lange Zeit so etwas wie ein Bedrohungsszenario: Sie wird bevölkert und zunehmend beherrscht von neuen Konkurrenten aus der Weltliga großer Finanzinvestoren, die das Medium Fernsehen lediglich als neues Geschäftsmodell verstehen wollen. Die verschärfte Gefahr einer Überfremdung des Mediums wird für die Öffentlich-Rechtlichen allerdings auch zu einer besonderen Chance: Je deutlicher ein ausschließlicher Unternehmergeist die Szene dominiert, desto mehr steigt der eigene Unternehmenssinn: unsere ureigene publizistische Aufgabe. Und folgerichtig steigt damit auch die entsprechende Nachfrage an uns und unsere eigentliche Domäne: Die Öffentlich-Rechtlichen verfügen seit jeher über die zukunfts- und wettbewerbsentscheidende Schlüssel-Ressource des »Contents«. So hat das ZDF über Jahre und Jahrzehnte in seinen Eigen- und Auftragsproduktionen jene Inhalte thesauriert, die den meisten Quereinsteigern fehlen.

Dabei müssen auch wir radikal umdenken, wie wir künftig mit unseren Inhalten umzugehen haben: Wie werden sie hergestellt oder bestellt, differenziert und modifiziert, wie gebündelt und verteilt, um sie auf den unterschiedlichen Vertriebswegen nutzungsspezifisch an den Zuschauer zu bringen? Eine Antwort wird man schon jetzt geben können: In der neuen, vernetzten und verlinkten Welt mit ihren fast unbegrenzten Nutzungsoptionen können wir unseren Zuschauern künftig ein deutlich komplexeres, reichhaltigeres und tiefergehendes Angebot zugänglich machen, als wir es wohl je in unserer Programmgeschichte als Einkanalsender haben anbieten können. Um dies auch in der Programmpraxis umsetzen zu können, bedarf es einer eigenen, sehr differenzierten Content-Strategie.

Inhalte alleine sind dabei noch kein hinreichendes programmliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz. Es kommt maßgeblich auf die Qualität der Inhalte an. Das Stichwort lautet »Markenprogramm«. Und auch dabei reicht es nicht, lediglich als Dachmarke gegenüber anderen Dächern hervorzuragen: Auch die einzelnen Programm-Marken müssen in einer qualitätsorientierten Formatpflege leuchten. Nur mit einer konsequent durchstrukturierten und -deklinierten Markenphilosophie beziehungsweise -strategie haben wir eine Chance, gegenüber den Angeboten der Konkurrenz bei den Nutzern der Zukunft gefragt zu sein.

Das Programmjahr 2006 belegt mit seiner Dichte an Premium-Angeboten, dass wir diesem Qualitätsanspruch an uns selbst nachgekommen beziehungsweise ein Stück näher gekommen sind. Auch 2006 hatte das ZDF wieder das umfangreichste Volumen an Informationssendungen aller deutschen Vollprogramme und ist, trotz dieses gewagten Programmprofils, nach Marktanteilen ein guter Zweiter hinter der ARD und vor RTL geworden. Insbesondere bestätigen die wichtigsten Wettbewerbe, dass, vor aller Quote, die Qualität stimmt. Beim Deutschen Fernsehpreis hatte das ZDF in den wichtigsten Kategorien eine quasi historische Alleinstellung zu verzeichnen: Gerade im hart umkämpften Sportjahr mit Olympischen Winterspielen und Fußball-Weltmeisterschaft wurde das ZDF zum Sender mit der überzeugendsten Sport-Präsentation gewählt; Claus Kleber erhielt die Auszeichnung für die beste Informationssendung; im fiktionalen Bereich ragte der Mehrteiler »Dresden« als Fernsehfilm des Jahres heraus. Hinzu kommen andere Auszeichnungen wie der renommierte Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für »Frontal 21« oder der begehrte International Emmy Award für eine Musikdokumentation von ZDF und ARTE über Daniel Barenboim sowie eine zeitgeschichtliche Dokumentation von ZDF und BBC über »Hiroshima«.

Diese programmliche Bilanz ist ein bemerkenswerter Befund gerade am Ende eines Sportjahres, an dessen Anfang die Befürchtung stand, dass der Sport alles dominiere. Den Erfolg im Rücken, können wir ebenso selbstbewusst wie zukunftssicher nach vorne schauen und den immer härteren Wettbewerb auf unsere Weise annehmen. So werden wir auch im Jahr 2007 bewusst und gezielt weiter in unsere profilierte Markenqualität investieren: in den drei Schlüsselbereichen der Information, der Dokumentation und der Fiktion, sprich: des Fernsehfilms. Den Raum für solche Investitionen haben wir durch strikte Sparmaßnahmen geschaffen, die uns in den letzten Jahren aus der Babylonischen Gefangenschaft einer strukturellen Unterfinanzierung geführt haben. Der Grundsatz des konsequenten Konsolidierungskurses hieß und heißt: Gespartes Geld auf die Investitionsstrecke des Programms zu bringen, um unsere Zukunftsfähigkeit durch innovative Anstrengung und individuelle Profilierung zu festigen, denn das Programm ist und bleibt die »raison d‘être« unseres Unternehmens.

Bei dieser Zukunftsvision ermutigt uns aufgrund der technologischen Veränderungen noch eine andere Chance: ein Zugang zur Jugend, der unsere Zukunft gehört. Während klassisches Fernsehen die junge Generation längst schon nur schwer erreicht, können die neuen Distributionswege auch zu jenen Nutzern führen, mit denen wir uns – wie die meisten öffentlich-rechtlichen Informationssender in Europa – seit geraumer Zeit schwertun. Wir müssen daher, anders als bisher, auf junge Menschen zugehen und mit ihnen gehen. Würden wir sie dauerhaft nicht mehr erreichen, würden wir sozusagen mitreißen am Generationenabriss. Unser Programm- und Gesellschaftsauftrag zielt auf Zusammenhalt: Ein Programm, das von der Gesamtgesellschaft finanziert wird, muss auch für die Gesamtgesellschaft erreichbar sein. Im Blick auf dieses Ziel der Integration ergibt sich künftig, bei aller Individuation der Nutzung, eine neue, ganz eigene Chance.

In dieser Perspektivik und Programmatik wäre es deshalb widersinnig, wenn uns eine prohibitive Ordnungspolitik den Weg in die Zukunft der Neuen Medien verstellen würde. Kehren wir noch einmal zum Bild der Weiche und damit der Schiene zurück: Der digitale Zug fährt auf zwei Schienen. Man kommt nicht voran, wenn man nur die kommerzielle Schiene immer weiter ausbaut und dabei die gesellschaftliche Schiene vernachlässigt. In dem Maße, in dem die Kommerzialisierung des Medienmarktes zunimmt, steigt auf der Gegenseite die Verantwortung für die Mediengesellschaft, steigen Rolle und Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Seite als publizistischer Herzkammer des öffentlichen Diskurses.

Fazit: Das öffentlich-rechtliche Angebot ist die ebenso bewährte wie belastbare Konstante im elementaren Strukturwandel der Gesellschaft von morgen. Seine Kontinuität stellt sicher, dass die digitale Flut nicht die gesellschaftlichen Grundwerte mit hinwegspült, dass Medienwirtschaft und Mediengesellschaft sowohl parallel als auch synchron laufen. Die derzeitige Weichenstellung bestimmt nicht nur den Weg unseres Mediums, sondern den weiteren Weg unserer Gesellschaft, die in Zeiten des Umbruchs mehr denn je nach Orientierung sucht – weil ihr Leben nicht auf Schienen läuft ...

 
 
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