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2009  
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Gottfried Langenstein, Direktor Europäische Satellitenprogramme

Kultur und Information im digitalen Raum
Ein deutsch-französischer Vergleich

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Gottfried Langenstein
Gottfried Langenstein







 Neu sind die Sehgewohnheiten. Die junge Internetgemeinde lebt mit einem anderen Zugang zur Welt, einem von Ereignissen und Auffälligkeiten geprägten Horizont.

Auffälligkeit ist die neue Währung. Das Sammeln von Pageviews auf den eigenen Seiten ist zwar ein gremienrelevanter Berichtsgegenstand, etwas, worauf man gerne stolz ist, aber für die Relevanz des Angebots ist es ein immer weniger bedeutsamer Umstand.

Während die ältere Generation noch den planerischen Vorstellungen von Regelterminen in einem Programmschema folgt, sind die mit dem Internet aufgewachsenen Generationen mehr von den wechselseitig ausgetauschten Auffälligkeiten geleitet. Fernsehen als Event, als multimedial gestütztes Ereignis. »24 Stunden Berlin« war hierfür der Paradefall.

Der Fernseher als großes Schaufenster, das sowohl aus dem Netz als auch über die Fernbedienung angesteuert wird. Events, die man nicht mehr nur betrachtet, sondern an denen man teilnimmt.

In einem Seminar bei ARTE befragten wir Bruno Patino zu diesem Problem. Bruno Patino hatte seinerzeit das interaktive Angebot von Le Monde aufgebaut und war langjähriger Präsident von Le Monde Interactive. Heute ist er Direktor von France Culture. Er berichtete, wie radikal sich die Webwelt von der Nutzung klassischer Internetseiten hin zu partizipativen Netzwerken gewandelt hat. Für ihn gibt es hierzu zwei Schlüsselerfahrungen: Bei dem Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001 war erstmals das Internet zu einem gleichwertigen Nachrichtenlieferanten im Vergleich zum Fernsehen geworden. Weltweit verfolgten die Menschen immer und immer wieder die verstörenden Bilder der heranfliegenden Flugzeuge und die in sich zusammenstürzenden Türme. Der Ansturm auf die Seiten von Le Monde, France Television und TF1 war so überwältigend, dass die Server zeitweise ihren Dienst versagten. Ebensowenig haben wir die Bilder von Neda vergessen, dem iranischen Mädchen, das am 20. Juni dieses Jahres, von Geheimdienstpolizisten angeschossen, auf den Straßen Teherans vor den Augen der Welt verblutete. Wieder war es das Internet, über das sich die Bilder verbreiteten, aber dieses Mal mit einem elementaren Unterschied. Während sich bei dem Attentat auf das World Trade Center der Ansturm des Informationsinteresses noch auf die klassischen Internetseiten von BBC, CNN, TF1 und Le Monde gerichtet hatte, waren es diesmal die partizipativen Netzwerke. Über 80 Prozent des in Frankreich gemessenen zusätzlichen Datenverkehrs, der durch die Bilder über Nedas Tod verursacht wurde, lief nicht mehr über die klassischen Webseiten, sondern über YouTube, Facebook, MySpace und Twitter.

Die Nutzer des Webs informieren sich gegenseitig, senden sich Bilder und Filme, bevor das erste Nachrichtenunternehmen – sei es eine Zeitung oder ein Fernsehsender – darauf reagieren kann. Und diese Information gewinnt ein überragendes Gewicht.

Fernsehen hat sich darauf einzustellen. Die Aufzählung von Informationen hat ihre Bedeutung weitgehend eingebüßt. Gefragt ist die Vertiefung durch eine Person, der man vertraut, deren Urteil man als überlegt schätzen gelernt hat. Themenabende und vertiefende Dokumentationen sind gleichermaßen ein solcher Weg und stehen deshalb in besonders hohem Kurs. Es ist die Einordnung, das Gewichten des Gesehenen. Die emotionale Reaktion aufnehmen und ihr dann das richtige Maß geben. Sonst gerät die Gesellschaft zunehmend in einen plebiszitären Populismus ohne langfristige Orientierung und ethische Rangordnung.

Und im Gegenzug kann Fernsehen seine Reichweite und Bedeutung bei jüngeren Generationen nur halten, wenn es sich in der notwendigen Breite auch im Internet aufstellt. Hier hat Frankreich eine ganz andere Tradition. Während man in Deutschland die Hauptsorge auf feingesponnene Beschränkungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Rahmen des Drei-Stufen-Tests richtet, erwartet die Medienpolitik in Frankreich eine Vorreiterrolle des Rundfunks in den neuen Medien und ermuntert gerade die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sich in besonderem Maße zu engagieren. Das hat mit der längeren Erfahrung mit interaktivem Verhalten der Bürger zu tun. Während in Deutschland erst über das Internet interaktives Handeln eingeübt wurde, waren die Bürger Frankreichs über das System MiniTel schon seit den 80er Jahren gewohnt, Konzertkarten, Bahntickets und Restaurantreservierungen über einen interaktiven Terminal zu bestellen. Deshalb wird die Internetentwicklung auch wesentlich offensiver begrüßt und der Rundfunk zu innovativem Handeln ohne Einschränkung aufgerufen. Die Präsenz auf Twitter, YouTube und MySpace wird hier ebenso für selbstverständlich gehalten wie die Bereitstellung von Fernsehinhalten im Netz.

Sorge hingegen bereitet Frankreich die Aushöhlung des Urheberrechts durch das Internet. Es geht hier sowohl um die umstrittene Haltung von Google, Bücher als E-Books im Netz anzubieten, als auch um sonstige illegale Downloads von Kulturwerten, wie Filme, Videos, Musik und Fotografien.

Die Unruhe über die ungeregelte Rechtenutzung und die zunehmende Piraterie im Internet hat in Frankreich zu einer verschärften rechtlichen Regelung geführt. Am 22. September 2009 hat das französische Parlament das Gesetz »Hadopi« gebilligt. Nach dem Senat stimmte auch die Nationalversammlung dem entsprechenden Gesetzesentwurf der Regierung mit 258 gegen 131 Stimmen abschließend zu. »Hadopi« ist die Abkürzung für »Haute autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur Internet« und damit die Bezeichnung für die neue Behörde, die die missbräuchliche Nutzung von Rechten im Internet überwachen soll.

Das Gesetz sieht vor, Wiederholungstätern illegaler Downloads den Internetanschluss bis zu einem Jahr zu sperren. Der Betroffene erhält zunächst zwei Abmahnungen. Werden nach den Abmahnungen weiter Musik, Filme oder andere geschützte Werke illegal heruntergeladen, wird vor Gericht Anklage erhoben. Neben der Sperre drohen für Raubkopien Geldbußen von bis zu 300 000 Euro und eine zweijährige Gefängnis­strafe. Seit Beginn des Jahres 2010 müssen Raubkopierer mit den ersten Abmahnungen rechnen.

Es mag rigide anmuten, was hier in Frankreich geschieht. Das Internet ist weltweit zu Recht zum Symbol der Freiheit der Information geworden. Insofern wollen dem der Aufklärung verpflichteten Blick Regelungen zunächst nicht gefallen. Aber wer sich klar macht, dass im Jahr 2009 der Erlös von Google in Deutschland und Frankreich bereits einen Wert von 1,5 Milliarden Euro überschritt, der ahnt, dass wir uns hier in einem radikalen Umbruch der ökonomischen Bedingungen nicht nur der Verlage, sondern der Kulturwelt insgesamt befinden. Wenn Europa sich hier nicht entschieden aufstellt, werden dem kulturellen Raum Zug um Zug die ökonomischen Grundlagen entzogen.
 
 
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