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2009  
ZDF Jahrbuch
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Daniel Fiedler, Koordinator 3sat

25 Jahre 3sat
Ein Plädoyer für Kontinuität, für Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen 92 Jahre alten Turnschuh

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Daniel Fiedler
Daniel Fiedler



Was haben Chucks und 3sat wohl gemeinsam?
Was haben Chucks und 3sat wohl gemeinsam?


Katrin Bauerfeind erkundet zum 3sat-Jubiläum »Deutschland von A bis Z«
Katrin Bauerfeind erkundet zum 3sat-Jubiläum »Deutschland von A bis Z«
 Der durch Marquis Converse erfundene Basketballschuh »Chuck Taylor Allstar« ist ein bemerkenswerter Schuh mit ebenso bemerkenswerten Eigenschaften. Seit 1917 hat er sich in seiner Form und in seinem Aussehen nicht wirklich verändert, und dennoch ist es der Firma Converse gelungen, in 92 Jahren mehr als 600  Millionen Paar davon zu verkaufen. Dieser Schuh hat es geschafft, alle Jahre wieder in Mode zu kommen. Vier Generationen sind nun schon mit ihm groß geworden und kennen den Schuh als Kultobjekt. Sie sind mit ihm durch dick und dünn gegangen, sind von seinen positiven Eigenschaften überzeugt und lieben auch seine Schwächen. Jeder, der einmal Chucks sein Eigen nannte, wird wissen, dass es äußerst unangenehm sein kann, mit diesen Schuhen von einem plötzlichen Sommergewitter überrascht zu werden, denn wenn dieser Schuh eines nicht ist, dann ein Gummistiefel. Schnell saugt sich der Stoff mit Wasser voll, die Füße werden klatschnass und kalt, und schon nach einigen Minuten beginnen die Dinger, auf peinliche Weise bei jedem Schritt ein unangenehmes Quietschgeräusch von sich zu geben.

Ein Fernsehkanal ist zwar alles andere als ein Turnschuh, aber der Blick auf die Markenkontinuität der Chucks lohnt den Vergleich. Märkte verändern sich stetig, der TV-Markt zurzeit besonders. Die Digitalisierung schreitet rasant fort, für das Jahr 2012 wird der analoge Switch-off erwartet, sodass die Unterscheidung zwischen Digitalkanälen und herkömmlichen Fernsehkanälen wegfallen wird. Das Netz katapultiert sich gerade in die dritte Phase seiner Entwicklung, in der Bewegtbildangebote in gleichwertiger Qualität neben das Fernsehbild treten werden. In der Konsequenz wird das Netz zum vierten Ausspielweg des Rundfunks. Die Konkurrenz für den Rundfunk wird dadurch wesentlich größer, denn in der globalisierten Welt des World Wide Web tummeln sich Tausende von Content-Anbietern. Und dabei wird gelten: Der passive Zuschauer wandelt sich immer stärker zum aktiven User. Und umso jünger der User, desto selbstverständlicher akzeptiert und nutzt er diese neue Vielfalt als Standard. Für einen kulturell ausgerichteten Fernsehkanal wie 3sat, der mit seinen 25 Jahren ja auch noch jung ist, in Fernsehjahren gerechnet aber längst zu den Etablierten gehört, stellt sich – wie für alle anderen – auch die Frage: Wie begegnen wir diesen Veränderungen? Ist Kultur nicht ein Thema, das in den neuen Medienwelten unterrepräsentiert ist und deshalb keine Zukunft verspricht bei der Positionierung eines TV-Kanals? Müssen wir unseren Programm-Mix entscheidend verändern und auf Erfolg versprechende Genres wie etwa Unterhaltung oder Sport setzen und somit dem »Vollprogramm mit kulturellem Schwerpunkt«, wie 3sat ja staatsvertraglich definiert ist, eine neue Richtung geben?

Bei der Beantwortung dieser Fragen kommen die Chucks wieder ins Spiel. Kann man von dem 92-jährigen Veteranen der Sportschuhindustrie etwas lernen? Nur weil erboste Käufer nach Regengüssen fluchend bei der Firma Converse angerufen haben, wurde der Schuh nicht in der Angst, bald Konkurs zu gehen, panisch verändert. Im Gegenteil, die Macher der Chucks wissen sehr wohl, wie wichtig Kontinuität, Verlässlichkeit und Authentizität ist. Es ist die normalste Sache der Welt, nicht alles zu können. Was der eine als Schwäche ansieht, kann bei genauer Betrachtung eine Markeneigenschaft sein, die Glaubwürdigkeit symbolisiert und damit die Lebensversicherung für ein Produkt darstellt. Dies ist keinesfalls ein Plädoyer für Stillstand. Auch Converse hat in seiner 92-jährigen Firmengeschichte unzählige Veränderungen in der Gesellschaft sowie alle möglichen modischen Trends durchlebt. Die Macher der Chucks würden aber nie ihr Produkt bis zur Unkenntlichkeit verbiegen oder vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Glaubwürdigkeit, das kann man von dem alten Turnschuh lernen, ist eines der wichtigsten Attribute von Erfolg.

Jubiläen sind Anlässe, darüber nachzudenken, wo man steht und wie es weitergehen soll. Wie bei den Chucks wird es auch in den kommenden Jahren für 3sat Phasen geben, in denen andere vielleicht angesagter oder erfolgreicher scheinen als der Kultur- und Wissenschaftssender von ZDF, ORF, SRG und ARD. Nur deshalb legen wir bei 3sat weder die Hände in den Schoß, noch schütten wir das Kind mit dem Bade aus. 3sat hat sich in den vergangenen Jahren ein umfangreiches, gründliches und an seiner Tradition orientiertes Modernisierungsprogramm auferlegt.

3sat steht seit Jahren für ein anspruchsvolles Programm, das Kultur aus erster Hand präsentiert. Theater, U- wie E-Musik, Tanz, Literatur und Filmkunst haben hier ihre erste Adresse. Gesendet werden nicht einfach Konserven, sondern exzeptionelle Programme auf der Höhe der Zeit. Unsere Neuproduktionen sind die Highlights der Saison und werden in einer Bildschirmqualität umgesetzt, die internationale Standards setzt. Donizettis »Lucrezia Borgia« mit Edita Gruberova in der Titelrolle ist nicht eben nur irgendein Mitschnitt einer Opernaufführung aus dem Münchner Nationaltheater, sondern die herausragende Inszenierung einer Opernrarität mit einer Besetzung, wie es sie für dieses Werk so zurzeit nirgendwo gibt. »Shine a Light« ist eben nicht nur irgendein Popmusikfilm, sondern Martin Scorceses Eröffnungsevent der Berlinale 2008, das 3sat zusammen mit dem ZDF in Erstausstrahlung erworben hat und das eine Reihe von Musikdokumentarfilmen einläutete, um die uns die Branche beneidet.

Modernisierung als Alltagsarbeit, nicht als kurzatmige Maßnahme, ist die Devise bei 3sat. Die prägenden Sendermarken wie »Kulturzeit« und »nano« haben vor kurzem ein Relaunch erfahren, der sie von der Magazineintönigkeit der 90er Jahre befreit hat. Neue Sendermarken wie »scobel« – das Format der dritten Kultur, wurden etabliert.Damit haben wir einem medialen Verknüpfungspunkt der immer wichtiger werdenden Verbindung von Kultur und Wissenschaft Rechnung getragen. Neben der Kultur haben wir die Wissenschaft mit »nano«, »hitec«, »wissen aktuell« und »neues« als zweite tragende Säule im 3sat-Programm ausgebaut. Das redaktionelle Know-how, das wir hier in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, sucht in der deutschen Fernsehlandschaft seinesgleichen.

Im Jahr 2010 wollen wir mit der Philosophie ein weiteres kanalprägendes Feld besetzen. Anerkennung findet 3sat auch mit seiner Schwerpunktprogrammierung: Mit den inzwischen sprichwörtlichen 3sat-Thementagen und den Schwerpunktwochen bündeln wir öffentlich-rechtliche Programmvielfalt, kreieren Öffentlichkeit für ein bestimmtes Thema und lenken den medialen Scheinwerfer auf Momente oder Sichtweisen, die sonst im Geflimmer unterzugehen drohen. Im August 2009 hat 3sat anlässlich des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren mit der Programmwoche »Nie wieder Krieg?« die Raison d´être der Bundesrepublik infrage gestellt und vergessene und verleugnete Kriege der Gegenwart ins Bewusstsein unserer Zuschauer gerückt. Programminnovation drückt sich bei 3sat aber auch in neuen und ungewöhnlichen Formaten aus, mit denen wir Fernsehen weiterentwickeln: »Fisch für 2« ist eine Gesprächssendung, bei der geangelt und deshalb so gut wie nicht geredet wird und bei der man doch mehr über den Gast erfährt als in den omnipräsenten Talkshows. »Bauerfeind« ist die TV-Heimat des Internetstars Katrin Bauerfeind, in der sie popkulturellen Phänomenen auf der Spur ist und die Sendung selbst per Mausklick steuert.

Veränderung geschieht bei 3sat aus der Kontinuität heraus. Einschalten, um nicht abzuschalten, war von jeher unsere Devise. Diesen Leitsatz beherzigen wir bei allen Programmreformen, bei allen Innovationen und bei der Gestaltung unserer Standards. Nur so werden wir unsere Zuschauer auf unserem Weg mitnehmen und auch neue Zuschauer von unserem Weg überzeugen können.

Die sich verändernde Medienwelt verleitet dazu, sich täglich neu zu erfinden und neuen Trends hinterherzulaufen. »Wir müssen ins Internet« oder »Wir müssen was für die Jungen tun« sind Standardsätze, die auf öffentlich-rechtlichen Senderfluren geflüstert werden. Das ist alles richtig, nur darf man dabei nicht vergessen, woher man kommt und wer man ist. Remember the Chucks. Das Maß der Veränderung, dem wir uns unterwerfen, orientiert sich nicht allein an der momentanen Marktlage. Wichtiger ist es, die Bögen der Tradition in die Zukunft zu spannen.
 
 
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