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2004  
ZDF Jahrbuch
Programmbouquet und Beteiligungen
Engelbert Sauter
Susanne Müller
Irene Wellershoff
Simone Emmelius
Alexander Coridaß
Alexander Kähler
Jutta Lieck-Klenke
Ernst Elitz

Alexander Coridaß

Ich sage nur: »China, China, China ...«
Erfahrungen und Perspektiven im Mediengeschäft mit China

 
Alexander Coridaß
Alexander Coridaß
              
 

1. Historie

Bereits Ende der 80er Jahre hat das ZDF zusammen mit ARD-Vertriebseinheiten eine erste Roadshow in Peking veranstaltet und vor Ort deutsches Programm präsentiert. In der Folge hatte zunächst die ZDF-Abteilung Programmvertrieb, ab 1993 der Bereich Vertrieb von ZDF Enterprises regelmäßig an den Programm-Märkten in Shanghai und Chengdu teilgenommen. Die Messen wurden dabei mit eigenen Ständen bestückt, die entweder zusammen mit dem damaligen Bavaria-Vertrieb oder aber in alleiniger Verantwortung betrieben wurden. Neben diesem durchgängigen Messe- Engagement erfolgten in einzelnen Jahren zusätzliche Besuche in China. Schließlich kam es im Rahmen der Geschäftsbeziehungen zu zahlreichen Visiten chinesischer Delegationen im ZDF.

Dieser letztgenannte Aspekt macht deutlich, dass die Vertriebsbeziehungen mit China auch einen unternehmenspolitischen Aspekt hatten: Die Abgabe von Programmen diente auch und gerade jenseits von wirtschaftlichen Erwägungen einer angestrebten dauerhaften »politischen« Beziehung zu chinesischen Sendern.

Hauptpartner waren zu dieser Zeit das staatliche Zentralfernsehen CCTV, daneben schwerpunktmäßig die südostchinesischen Provinzsender Shanghai TV und später Oriental TV sowie eine Reihe weiterer Provinzstationen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre sind neue Käufer hinzugekommen: (halb-)private Zwischenhändler sowie Verwerter von Videorechten.

Insgesamt haben das ZDF und ab 1993 ZDF Enterprises in einem Zeitraum bis etwa Mitte der 90er Jahre im Programmvertrieb nach China sicherlich über 600 Stunden Programm aller Genres – Dokumentationen, TV-Movies, vereinzelt Kinderprogramm, insbesondere aber Serien – abgesetzt. Die von Horst Tappert gerne erzählte Anekdote, nach der er häufig von freudestrahlenden Chinesen angesprochen worden sei, kann durchaus der Realität entsprechen, denn neben anderen Krimiserien war auch in China vor allem »Derrick« ein stark nachgefragtes Produkt.

2. Zwischenfazit

Trotz positiver Eckwerte – früher Markteintritt, langjährige Beziehungen, akzeptable Brutto-Lizenzpreise – ergab ein Resümee gegen Ende der 90er Jahre ein letztlich enttäuschendes Ergebnis der bisherigen Vermarktungsaktivitäten. Verantwortlich für diesen ernüchternden Befund waren im Wesentlichen die folgenden Gründe:

Die direkten Kosten waren zu hoch

Der Aufwand für die Beschickung der Messen, das heißt die Entsendung von Mitarbeitern, die Konzeption und Herstellung von Broschüren, Katalogen und sonstigem Informationsmaterial, Standmieten, Materialversand, Gastgeschenke, Einladungen, Agenten-Provisionen etc., fraßen einen zu großen Teil der Brutto-Erlöse auf – falls diese überhaupt eingingen, was trotz unterschriebener Verträge nicht durchgängig garantiert war.

Die Abwicklung der Geschäfte war schwierig und aufwändig

Hierzu zählten zunächst bürokratische Hindernisse vielfältiger Art. Jedes Programm musste durch die Zensur, die nach vorab nicht bekannten und auch nach ihrer Entscheidung nicht erläuterten Maßstäben verfuhr. Aber auch die Kunden selbst verursachten zu komplexe und Ressourcen bindende Verfahren: Waren schon für ihre Kaufentscheidung viele Gespräche, Kontakte, das Versenden von umfangreicherem Ansichtsmaterial etc. erforderlich, so benötigte man nach dem grundsätzlichen Ja häufig Wochen und Monate zur Unterschrift unter Verträge und dann noch weitere erhebliche Zeiträume zur Zahlung der vereinbarten Lizenzsummen.

Häufig lagen die Sendebänder darüber hinaus sowohl beim Versand als auch bei der Rücksendung lange beim chinesischen Zoll; teures Leihmaterial kam nicht selten in einem Zustand zurück, der eine weitere Verwendung für andere internationale Kunden ausschloss und zu entsprechenden Abschreibungen führte.

Es konnten keine tragfähigen, langfristigen Geschäftsbeziehungen aufgebaut werden

Vermeintliche Kenner der chinesischen (Geschäfts-)Mentalität und vor allem Chinesen selbst erklären immer wieder, Geschäfte mit Partnern in China erforderten den vorausgehenden Aufbau einer vertrauenswürdigen Beziehung, die von den ausländischen Geschäftspartnern erhebliche Investitionen in Kontaktaufbau, Kennenlernen spezifischer Strukturen, Pflege von Beziehungen, kurz: in Zeit und Geld, erfordern. Dieser Rat wurde zunächst sehr sorgfältig befolgt. Der Vertrieb konnte sich jedoch letztlich des Eindrucks nicht erwehren, dass es auf chinesischer Seite unter den Partnern, insbesondere den Provinz-TV-Sendern, Absprachen gab, nach denen der Anbieter geradezu systematisch »weitergereicht« wurde. Dies bedeutete: Kaum waren Beziehungen zu einem Sender aufgebaut und ein, zwei Verträge abgeschlossen worden (die von diesem Vertrag umfassten Programme dürfen bekanntlich von den eigentlichen Vertragspartnern an alle anderen chinesischen Provinzsender weitergegeben werden), waren die bisherigen Partner nicht mehr ansprechbar. Dafür aber tauchten andere Interessenten mit vergleichbaren Aufgaben und Kaufabsichten auf, die freilich nun ihrerseits die erneuten Anstrengungen des Verkäufers in den Aufbau einer Partnerschaft – von Essenseinladungen bis zu Preisnachlässen – erwarteten …

In besonderem Maß frustrierend war die Erkenntnis, dass in Aussicht gestellte und entsprechend prognostizierte Preiserhöhungen nicht durchzusetzen waren. Im Gegenteil: Als im Laufe der 90er Jahre immer neue europäische und amerikanische Programmvertriebe in den chinesischen Markt eintraten, verlangten die chinesischen Käufer, dass die Lizenzpreise gesenkt wurden. So konnte also der zunächst erzielte Stundenpreis von 800 bis 1 000 US- Dollar nicht nur nicht erhöht, sondern dieses Preisniveau nicht einmal gehalten werden. Unter Hinweisen auf die neuen Angebote versuchten chinesische Käufer, den Preis bis auf 250 US-Dollar zu senken, wenn nicht sogar kostenlose Programmabgaben gefordert wurden (dies vor dem Hintergrund, dass in der Tat zahlreiche europäische, US- und lateinamerikanische Distributoren ihre Programme kostenfrei oder über Barter-Konstruktionen gegen die Übertragung von Werbezeiten-Vermarktungsmöglichkeiten abgaben).

Aufgrund der geschilderten Umstände stellte ZDF Enterprises zunächst die kostenträchtige regelmäßige Messeteilnahme ein, reduzierte darüber hinausgehende Reisen nach China und kam nicht mehr allen Bitten um Versendung von Ansichtsmaterial etc. nach. Nach wie vor existiert natürlich ein Programmvertrieb nach China, der sich jedoch strikt an der Rentabilität des jeweiligen Geschäfts orientiert und mit »strategischen Perspektiven« und ähnlichen Verheißungen außerordentlich nüchtern umgeht.

3. Perspektiven?

Freilich wäre es ganz und gar unklug, aus diesen Erfahrungen heraus den chinesischen Markt für medienwirtschaftliche Geschäftsbeziehungen abzuschreiben. Vielmehr kann und muss aufgrund einer sorgfältigen Analyse eine Konzentration auf die Geschäftsfelder erfolgen, die ein »Win-win«-Potenzial haben. Dabei ist zunächst von der Erkenntnis auszugehen, dass klassisches europäisches Produkt insbesondere im fiktionalen Bereich für Asiaten im Allgemeinen und Chinesen im Speziellen nur eine geringe Attraktivität hat. Während im Gegensatz zu einer gerne genutzten antiamerikanischen Rhetorik (»China und Europa müssen gegen die kulturelle Dominanz der USA zusammenarbeiten«) sich US-Formate, -Kanäle und insbesondere -Spielfilme einer außerordentlich großen Beliebtheit bei den Fernsehverantwortlichen erfreuen, ist etwa die klassische deutsche beziehungsweise europäische Fernsehserie kaum noch absetzbar, zumal sie im Wettbewerb mit dem umfangreichen Programm-Output aus Korea, Japan und anderen asiatischen Staaten steht, der den Sehgewohnheiten und Mentalitäten chinesischer Zuschauer eher entspricht. Der klassische Programmverkauf wird sich daher bis auf Weiteres auf hochwertige Einzelverkäufe beschränken, für die jeweils ein vernünftiges Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag gefunden werden kann.

Daneben zeigt die Platzierung des »Wetten, dass …?«-Formats in einem CCTV-Kanal, dass durch innovative Kooperationen überraschende Programmerfolge möglich sind. Die Fernsehrechte an der Show hatte ZDF Enterprises an Dolce Media verkauft. Dieses Unternehmen wiederum verfügt über hervorragendes Know-how und exzellente Kontakte im Bereich der werbetreibenden Industrie. So konnte das Format bei CCTV untergebracht und die als Gegenleistung vom Sender zur Verfügung gestellte Werbezeit in einer Weise vermarktet werden, wie sie aufgrund der anderen Schwerpunktsetzung für ZDF Enterprises nicht möglich gewesen wäre. ZDF Enterprises hat somit einen stattlichen Lizenzpreis erzielt, trägt nicht das erhebliche Risiko von Werbezeiten-Verkauf und Produktionskosten-Zuschüssen, profitiert im Erfolgsfall darüber hinaus an Beteiligungserlösen und konnte schließlich noch eine Art Bestsellerklausel verhandeln. Hier konnten also zwei Unternehmen ihre jeweiligen Kernkompetenzen bündeln und somit ein innovatives Geschäftsmodell entwickeln und umsetzen.

Ein weiteres und weites Feld voller neuer Möglichkeiten ergibt sich im Bereich der dokumentarischen Koproduktion. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die chinesische Geschichte nicht nur zahlreiche Stoffe von spezifisch deutsch-chinesischem, aber auch globalem Interesse bereithält, sondern dass die chinesischen Film- und Fernsehmacher im Bereich Kamera, Schnitt, story telling etc. auf einem Niveau angelangt sind, das sich ohne Weiteres mit dem ihrer westlichen Pendants messen kann. Ganz zu schweigen ist in diesem Zusammenhang von technischen Faszilitäten und der Hardware, deren Qualität – nicht zuletzt im HDTV-Bereich – bei westlichen Partnern zuweilen durchaus Minderwertigkeitsgefühle hervorrufen kann.

Chinesische Partner haben daher viel zu bieten, wenn es um Planung und Durchführung interessanter Koproduktionen geht. Hier können wir nun wiederum dann doch von dem sehr positiven Ruf von ZDF und ZDF Enterprises profitieren, der in den vergangenen Jahren im Reich der Mitte aufgebaut wurde. Professionelle Gespräche auf vielen bis hin zu höchsten Ebenen über generelle Fragen der Zusammenarbeit sowie konkrete Projekte haben bereits stattgefunden und werden sowohl in Rahmenverträge als auch in Vereinbarungen zu einzelnen Koproduktionen umgegossen werden.

»Wer zu stark zieht, zerreißt das Seil«, sagt ein traditionelles chinesisches Sprichwort, und ein anderes: »Über sein Ziel hinauszuschießen ist ebenso schlimm, wie nicht ans Ziel zu kommen«. Der aus diesen Weisheiten sprechende Realitätssinn ist stets angebracht, wenn es um (Medien-)Geschäfte mit China geht. ZDF Enterprises wird daher Kräfte dort sparen, wo sie nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen und im Gegenzug sich ganz auf die Projekte konzentrieren, die einen echten und nachhaltigen Vorteil für alle Beteiligten versprechen.

 
 
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