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Irene Wellershoff

»Siebenstein« – ein Programm mit Geschichte und Geschichten

 
Irene Wellershoff
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Siebenstein (Henriette Heinze), der Koffer und Rudi bewundern den Flaschengeist
Siebenstein (Henriette Heinze), der Koffer und Rudi bewundern den Flaschengeist


Siebenstein und der Musiker Tom (Richy Müller) haben Spaß an der Musik
Siebenstein und der Musiker Tom (Richy Müller) haben Spaß an der Musik


Siebenstein, Rudi und der Koffer träumen von einem Urlaub in der Südsee
Siebenstein, Rudi und der Koffer träumen von einem Urlaub in der Südsee


Der Koffer ist über das Chaos in Siebensteins Küche nicht erfreut
Der Koffer ist über das Chaos in Siebensteins Küche nicht erfreut
              
 

Rudi, Siebenstein und der Koffer sind umgezogen! Frau Siebenstein wird nun von der Schauspielerin Henriette Heinze gespielt! Vieles ist anders geworden. Und um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.

18 Jahre ist es schon her, da grübelte ich über einem Konzept für eine neue Vorschulserie. Markus Schächter, damals Redaktionsleiter von Kinder und Jugend, hatte mir den Auftrag gegeben, eine Sendung für jüngere Kinder zu entwickeln.

Eine Sendung, in der Geschichten erzählt werden, sollte es sein. Das war mir schon bald klar, und in einem Trödelladen voller Gegenstände mit Geschichten sollte sie spielen. In einem Laden, der eine kleine vertraute Welt umschloss, aber gleichzeitig offen war für alle möglichen Kunden – vom Nachbarskind bis zum Märchenprinzen. Wohnen sollte dort eine eigenwillige Frau, der Zeit mehr bedeutete als Geld. Sie sollte einen frechen Raben haben, denn die klugen, mythischen Hexenbegleiter faszinierten mich schon seit meiner Kindheit. Aber wer sollte der Dritte im Bunde sein? Klar war nur, dass es neben Mensch und Tier ein belebter Gegenstand sein sollte, stellvertretend für alle anderen Gegenstände des Ladens. Aber welcher? Eine Bratpfanne? Ein Klavier? Oder ein Butterbrot, wie es Karl-Heinz Käfer, Regisseur der ersten Stunde, vorschlug?

Zufällig wollte ich damals in Wiesbaden einen Koffer kaufen. In einer Ecke entdeckte ich ein klassisches Modell mit Lederecken. »Da haben Sie sich ja unseren Ladenhüter ausgesucht«, grinste der Verkäufer. Einen Moment war ich pikiert und zweifelte an meinem Geschmack. Aber dann war mir blitzartig klar: Ein Ladenhüter im wörtlichen Sinn war genau das, was wir suchten. Und bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass der Koffer sogar ein Gesicht hatte: Schnallenaugen, eine Griffnase und einen breiten Mund. Ein Koffer hat auch Charakter, denn er hat viel gesehen von der Welt. Natürlich kaufte ich den Koffer. Und unser Ladentrio war komplett. Ende 1988 wurde »Siebenstein« zum ersten Mal gesendet.

Markus Schächter prophezeite, dass »Sieben- stein« die Fernseheinsteigersendung des ZDF für die 90er Jahre würde. Das schien mir damals etwas vermessen, doch es zeigte sich, dass er vorausschauend gewesen war.

Bald wurden Frau Siebenstein, Koffer und Rudi von den Kindern geliebt, Tausende von Briefen und Bildern, seit einigen Jahren auch E-Mails, erreichten die Redaktion und waren unser größter Ansporn. Außerdem erwies sich das einfache Konzept, eine Dreiecksfamilie, ein Laden, viele Kunden und Geschichten, als außerordentlich flexibel. Die Autoren, unter ihnen Paul Maar, Kirsten Boie, Gudrun Mebs, Jo Pestum und Cornelia Funke, um nur einige zu nennen, füllten das Konzept mit Leben. Die Schauspielerin Adelheid Arndt (Siebenstein) und die Puppenspieler Werner Knoedgen (Rudi) und Thomas Rohloff (Koffer) entwickelten ihre Charaktere weiter. Der Aktionsradius der Puppen erweiterte sich immer mehr. Bald saß Rudi nicht nur auf der Sessellehne, sondern auch draußen auf dem Rasen. Er lernte zu fliegen, sogar zu schwimmen und zu tauchen und mit Siebenstein zu tanzen. Der Koffer konnte eines Tages gleichzeitig Skateboard fahren und reden, und keiner wunderte sich darüber, weil man einfach nicht mehr darüber nachdachte, dass es sich eigentlich um Puppen handelte.

Als mich einmal ein älteres Kind auf einer Veranstaltung fragte, woraus Rudi gemacht sei, und ich anfing, etwas vom Schaumstoffkörper zu erklären, sprang ein kleiner Junge empört auf und schrie: »Der ist nicht aus Schaumstoff! Der ist echt!«

Unauffällig, aber stetig veränderte »Siebenstein« mit den Jahren seine Form. Die Handlung im Laden mit Rudi, Koffer und Siebenstein war zunächst als Rahmen für die Bildergeschichten, Zeichentrickfilme und Tierdokumentationen gedacht, gewann aber im Laufe der Zeit an Gewicht. Die Drehbücher waren schließlich doppelt so lang wie anfangs, weil die Geschichten temporeicher wurden.

Zu Beginn des nächsten Jahrzehnts war der Laden zu eng geworden. Auf 98 Quadratmetern hatten wir sozusagen auf jedem Quadratmeter zwei Folgen gedreht und sechs Räume simuliert, in denen tagsüber gedreht und nachts umgebaut wurde. Am Ende platzte der Laden aus allen Nähten und die Kameraleute hatten jede Perspektive gefilmt.

Der Abschied vom alten Laden war dennoch schwer wegen seiner authentischen Atmosphäre – und die Suche nach einem neuen noch schwieriger. Moderne Ladenräume in ausreichender Größe haben keine Atmosphäre. Wir wollten schon aufgeben, als uns eine ehemalige französische Militärkirche mit einem riesigen quadratischen Raum angeboten wurde. Hier wurde der Siebensteinladen neu und fantasievoll aufgebaut.

Auch die Struktur der Sendung wurde überarbeitet. Der Koffer hatte schon oft angefangen, von seinen Weltreisen zu berichten, aber leider war nie Zeit, ihn ausreden zu lassen. Jetzt darf der Koffer erzählen. In Form eines Zeichentricks sieht man, wie er einst mit den Kimbern die Alpengletscher herunterrutschte, mit Seeräuberinnen die Karibik unsicher machte oder während des holländischen Tulpenfiebers im 17. Jahrhundert die kostbaren Zwiebeln aufbewahrte. Diese Geschichten zum Staunen und Lernen beruhen alle auf sorgfältiger historischer Recherche. Nur dass der Koffer immer dabei war, bleibt seine Behauptung (Bücher: Götz Brandt; Produktion: Jürgen Egenolf Productions). Zum Abschluss jeder Folge wird Musik gemacht, manchmal zusammen mit den Kunden des Ladens. So singt Daniela Ziegler als Opernsängerin mit Rudi ein Duett. Auch andere bekannte Schauspieler kommen gerne mit Gastrollen in den Laden, wie Richy Müller als Trödelmusiker und Otto Sander als Kammerdiener des Weihnachtsmanns.

Über die Jahre hat sich auch ein Wachwechsel im Team von Siebenstein vollzogen. Die Produzenten von studio.tv.film, Wolfgang und Gerda Mann, gingen in den Ruhestand, ihnen folgte Albert Schäfer. Statt Götz Brandt und mir bilden nun Ina Günther und Katrin Pilz die Redaktion von »Siebenstein«. Augenfällig für die Zuschauer ist der Wechsel in der Besetzung von Frau Siebenstein. Nach vielen Jahren, in denen Adelheid Arndt Siebenstein auf sanfte und verträumte Art verkörperte, stellt Henriette Heinze die Trödelchefin nun lustig und verschmitzt dar. Das entspricht der Entwicklung der Sendung zu mehr Tempo, Effekten und Komödie. Insgesamt ist die Struktur der Sendung geschlossener, einfach »siebensteiniger«.

Aber eines bleibt gleich: Die kleine Familie aus Mensch, Tier und Gegenstand, die den Kindern immer wieder zeigt, dass man in einer Familie zusammenleben kann, selbst wenn die Familienmitglieder ganz verschieden sind. Und dass ein kleiner frecher Rabe auch dann geliebt wird, wenn er auf seinen Entdeckungsreisen ins Leben hundert Vasen zerbricht.

Gleich bleibt auch, dass man bei »Siebenstein« lachen, träumen und lernen kann – und das ist schließlich das Wichtigste.

 
 
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