ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2004  
ZDF Jahrbuch
Programmbouquet und Beteiligungen
Engelbert Sauter
Susanne Müller
Irene Wellershoff
Simone Emmelius
Alexander Coridaß
Alexander Kähler
Jutta Lieck-Klenke
Ernst Elitz

Engelbert Sauter

20 Jahre 3sat – anders rückblicken

 
Engelbert Sauter
Engelbert Sauter


Peter Voß (SWR), Armin Walpen (SF DRS), Gottfried Langenstein (Direktor ESP), Monika Lindner (ORF) und Markus Schächter
              
 

Vor 20 Jahren, am 1. Dezember 1984, startete 3sat – manchmal habe ich mich seither gefragt, ob das Jahr 1984 – das Jahr der orwellschen Visionen – wohl Zufall war?

Damals – man muss nicht nur Jüngere ab und zu daran erinnern – da existierten noch Ost und West, gab es den Eisernen Vorhang, der auch die ganz normale Kommunikation verhindern sollte, war von Globalisierung noch nicht die Rede. Und da gab es diese neue Satellitentechnik, die den »free flow of information« über – zum Teil willkürlich gezogene – staatliche Grenzen ermöglichte.

Welche Möglichkeiten und Chancen diese Technik bot, hatten wir bei 3sat schnell begriffen. Hier war ein Fenster entstanden, das Einblick und Ausblick nach beiden Seiten gewähren konnte; und dies nicht mit Programmen ideologischer Indoktrination, sondern dem allerwichtigsten, was Menschen verschiedener Nationalität verbinden kann und verbinden sollte: mit kulturellen Angeboten.

Tatsächlich fanden die 3sat-Angebote schnell Zuschauer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Neben zahllosen Briefen und Dankschreiben aus Israel gab es enge Kontakte zu Menschen und Ins- titutionen im Osten Europas, in Polen, der Tschechoslowakei, in Ungarn und der DDR. In diesen ersten 3sat-Jahren war 3sat häufig als Produzent von Live-Ereignissen in Theatern und Konzerthäusern in den genannten Ländern unterwegs. Eine Geschichte kann dabei die spezifische Aufgabe und Verantwortung von 3sat in der damaligen Zeit verdeutlichen:

In Berlin lernte ich Robert Satanowski kennen, einen hoch gebildeten Mann, der als Assistent für Felsenstein und von Karajan gearbeitet hatte. Er war zu dieser Zeit Generalintendant und Generalmusikdirektor des Teatr Wielki in Warschau. Satanowski erzählte mir die Geschichte von Meister und Margarita. Einer der führenden Komponisten der DDR, Rainer Kunad, war von der DDR-Führung beauftragt worden, den Stoff des Romans von Michael Bulgakow für eine Oper umzusetzen. Als das Werk schließlich fertiggestellt war, untersagte die DDR-Führung die Uraufführung. Hintergrund war, dass zu diesem Zeitpunkt Bulgakow, der in seiner Frühzeit unter dem Schutz von Stalin gestanden hatte, als kritischer Künstler in der Sowjetunion nicht mehr geduldet und demnach auch in der DDR nicht mehr aufführbar war.

Satanowski kannte Kunad, hatte das Werk am Staatstheater Karlsruhe bereits aufgeführt und wollte eine Inszenierung an seinem Teatr Wielki in Warschau organisieren. Satanowski war damals Mitglied des Sejm, des polnischen Parlaments, und hatte außerdem als ehemaliger Kommandeur einer polnischen Partisaneneinheit im Zweiten Weltkrieg (bei direkter Unterstellung unter Nikita Chruschtschow) einige Freiheiten. Für den Fall, dass ihm das gelänge, sagte ich zu, dass 3sat diese Aufführung live aus Warschau übertragen und so die Oper via Satellit doch noch in die DDR bringen werde. So geschah es, und 3sat überwand mit einer großen Oper die Grenzen der Politik.

Parallel verstärkten wir auch die Kontakte zum Fernsehen der damaligen DDR, Stichworte sind hier die mehrstündige Liveübertragung des Festzugs zur 750-Jahrfeier aus Ostberlin und die Übertragung der Oper »Graf Mirabeau« aus der Staatsoper Unter den Linden aus Anlass des 200. Jahrestags der französischen Revolution 1789. Diese Kontakte führten schließlich dazu, dass 3sat am 9. November 1989 als einziges westliches Programm live die Nachrichtensendung »AK Zwo« des Deutschen Fernsehfunks (DFF) ausstrahlte. Die Aufnahme des DFF in das Konsortium von 3sat im Jahre 1990 war dann nur der logische und konsequente Ausbau eines Partnerprogramms, das sich von Anfang an als offenes europäisches Fenster verstanden hatte.

Heute, nach 20 Jahren 3sat und über zehn Jahren europäischer Veränderungen, gibt es keinen Eisernen Vorhang, kein ideologisch zweigeteiltes Europa mehr, sondern ein größer gewordenes Europa mit vielen neuen Mitgliedsstaaten. Und dennoch hat sich die Aufgabenstellung eines Programms wie 3sat nicht überholt. Heute gilt es zwar, keinen Eisernen Vorhang mehr zu überwinden. Aber die Veränderungsprozesse in einem gemeinsamen Europa und in einer Gesellschaft, in der integrative Elemente fehlen und die Verfolgung von Einzelinteressen immer bestimmender wird – Stichworte sind Globalisierung, das Gefälle zwischen Arm und Reich, zwischen Süd und Nord, zwischen Religionen und Kulturen, zwischen Arbeitsplatzbesitzenden und Arbeitslosen, zwischen Jungen und Alten, Gebildeten und Suchenden –, erfordern dringender denn je ein weiterhin weit geöffnetes kulturelles Fenster.

3sat hat dies begriffen: Bildung und Wissenschaft, Wissen und Kultur, das sind die Koordinaten, an denen 3sat sein Programm ausrichtet. Dafür stehen Sendungen wie »Kulturzeit«, »nano« und neuerdings auch das 14-tägliche Denk-Magazin »delta«, das in Filmbeiträgen und interdisziplinärem Dialog grundlegende Fragen unserer Zeit erörtert.

3sat stellt sich den Herausforderungen einer Gesellschaft, die in den demografischen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungsprozessen und einer immer unübersichtlicher werdenden Kommunikationsflut Orientierung und Standpunkte sucht. Für das 3sat-Programm heißt das, mit allen Mitteln des Fernsehens Neugier und Interesse für Kultur und Wissen zu wecken und durch Seriosität und Verlässlichkeit seiner Angebote, verbunden mit Frische und Lebendigkeit seines »Outfits«, zu dem zu werden, was 3sat sein will: eine offene Plattform für Kultur und Wissen, Wissenschaft und Bildung im deutschsprachigen Raum. Das heißt auch, dass das Programm nicht elitär und ausgrenzend sein darf, sondern – ganz in der Tradition der 20 Programmjahre – mit Sorgfalt und Qualität Service und Rat für viele Lebensbereiche anbietet.

In einem Festakt aus Anlass der 20 Jahre 3sat hat ZDF-Intendant Markus Schächter die künftige Aufgabenstellung von 3sat wie folgt beschrieben: »Als Kulturprogramm des deutschsprachigen Raums spielt 3sat eine wichtige Rolle. Ein Europa ohne kulturelle Identität und ohne Spiegelung der kulturellen Kraft seiner Regionen ist nicht zukunftsfähig. Die Einigung Europas ist zuallererst eine kulturelle Aufgabe und dabei kommt den Medien eine wesentliche Rolle zu. 3sat als länderübergreifendes Programm übernimmt in diesem Verständnis seit 20 Jahren eine Vorreiterrolle – dies soll auch zukünftig so bleiben.«

Ein hoher Anspruch gewiss – in die 3sat-Sprache übersetzt: anders fernsehen!

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2005
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika