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2003  
ZDF Jahrbuch
Programmbouquet und Beteiligungen
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Gottfried Langenstein

Herausforderung für die Kultur Europas im globalisierten digitalen Markt

 
Gottfried Langenstein
Gottfried Langenstein
              
 

Die ehrgeizigen Erwartungen von einem schnellen Umstieg auf digitales Fernsehen, die noch zur Jahrtausendwende gehegt wurden, hatten sich zunächst nicht erfüllt. Die Rezession brachte die digitale Entwicklung vorübergehend fast zum Stillstand. Man darf sich aber nicht täuschen, der digitale Umstieg im Fernsehbereich kommt, wir sind bereits mitten darin. Das zeigen das stark steigende Interesse an digitalen Flachbildschirmen und der Ausbau wie die große Akzeptanz des digitalen terrestrischen Fernsehens beispielhaft. Nach Auskunft der CEA (Consumer Electronics Association) wird sich das Verkaufsvolumen von Plasmaschirmen für das Fernsehen in den nächsten zwölf Monaten verdoppeln. Angesichts des erwarteten digitalen Booms steigen traditionelle Computerfirmen wie Dell, Gateway und Hewlett-Packard in das Fernsehgeschäft ein. Spätestens zur Fußball-WM 2006 wird ein wesentlicher Teil des Markts zu digitalen Empfangsformen umgeschwenkt haben, und nach dem Willen der Bundesregierung soll im Jahr 2010 der letzte analoge Übertragungsweg im Fernsehen abgeschaltet sein.

Das digitale Fernsehen wird mehr sein als ein technischer Sprung. Es ist die endgültige Öffnung des deutschen Medienmarkts, und das mit erheblichen Auswirkungen. In der analogen Welt gab es für den internationalen Investor nur die Möglichkeit der Beteiligung an Kanälen, die im Markt etabliert waren. Für eigene Kanäle waren die Grenzkosten zu hoch und die Reichweiten zu gering. Ein analoger Transponder kostete zwischen fünf und sechs Millionen Euro, ein digitaler nur eins bis zwei Millionen Euro. Analoge Kanäle sind im deutschen Kabel fest vergeben und zahlenmäßig beschränkt, das digitale Kabel wird, je nach Ausbaustufe, zwischen 80 und 120 Programmen Platz bieten. Wer die Vorstöße internationaler Medieninvestoren auf dem europäischen wie dem deutschen Markt verfolgt, ahnt, dass der anstehende Verteilungskampf der digitalen Fernsehmärkte nicht mehr unter jeweils nationalen Playern ausgefochten werden wird. Mit General Electric als Käufer von Vivendi Universal und damit einer Beteiligung von 48,8 Prozent an Canal Plus, mit Haim Saban als Käufer von ProSiebenSat.1 und mit der schon etablierten Dominanz von Murdoch im englischen Pay-TV sind die privaten Säulen des dualen Systems in den großen europäischen Ländern schon zum Teil in der Hand internationaler Player. Die billigen digitalen Verteilwege werden ihnen den direkten Weg zum Zuschauer erheblich erleichtern.

Was bedeutet das für den deutschen Medienmarkt, für Kultur und Produzenten? Zunächst wird ein Teil des wirtschaftlichen Aufkommens an Werbegeldern und Sponsoring nicht mehr an deutsche Medienunternehmen gehen, sondern die Bilanzen internationaler Player stärken. Wirtschaftlich sind Global Player dem lokalen inländischen Medienunternehmen langfristig immer überlegen. Erträge sind bei virtuellen Gütern (Rechten) in einer internationalen Holding immer so steuerbar, dass sie dort anfallen, wo sie steuerlich am günstigsten gestaltet werden können. Dies wird sicher nicht Deutschland sein.

Während die lokalen europäischen Medienunternehmen – öffentlich-rechtliche wie private – in der Regel eng auf ihren Kulturraum bezogen waren und produzierten, fehlt beim Global Player eine solche kulturelle Einbettung und Intention. Wer hofft, dass Unternehmer wie Saban oder Murdoch ein Interesse haben, die deutsche Kultur- und Produzentenlandschaft zu fördern, geht fehl. Ihr Erfolgskonzept ist ein anderes und per se nicht an regionalen Kulturräumen orientiert.

Die Verwandlung der klassischen Kaufhäuser in unseren Innenstädten zu »Outlet«-Stationen der großen Marken führt uns exemplarisch vor, was wir im digitalen Medienzeitalter erleben werden. Der Wert des regionalen Kulturprodukts wird hinter dem zunehmenden Entscheidungsfaktor »Globale Verwertbarkeit« und der Durchsetzung von Marken zurücktreten. Das hat einmal Folgen für das Entstehen von Produktionen, es wirkt aber auch in die Gestaltung der einzelnen Produktion selbst hinein.

Der Autorenfilm, der Dokumentarfilm, die Reportage mit der besonderen Handschrift, das sind aus diesen Gründen schon heute eine immer seltener werdende Spezies. Gesucht werden Produkte mit einheitlicherem Gesicht und größerer Schlagzahl: genießbare Leichtigkeit in allen Genres. Unterhaltungsformate reisen um den Globus, und Andy Warhols Suppendose als Kunstwerk wird zur Chiffre für unbedeutende Figuren ohne Leistungsgeschichte, die allein wegen ihrer hemmungslosen Bereitschaft zur Selbstdarstellung in einer sinn- und bezugslosen Medienmaschinerie zu Stars erklärt werden können. Die Vermarktung als Erfolgskriterium und nicht die inhaltliche Substanz des Vermarkteten? Aber wollen wir das für uns und unsere Kulturlandschaft wirklich?

Welches Europa wünschen wir uns für das Jahr 2015: ein von globalen Bedürfnissen einheitlich geschliffenes, oder ist nicht gerade die kulturelle Vielfalt des Kontinents sein größter Reichtum? Und wie können wir uns diesen bewahren, wenn wir das stärkste Medium »Fernsehen« vollständig an Eigner abgetreten haben, die bei ihren unternehmerischen Entscheidungen die Sorge für die jeweilige Kultur nicht mehr im Blick haben?

Hier kommt auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Verantwortung in neuer Dimension zu: Sicherung von Qualität, Plattform für das Charaktervolle, Auftraggeber und Förderer einer lebendigen europäischen Filmkultur, Bühne der gesellschaftlichen, geistigen und wissenschaftlichen Reflexion, Agora des politischen und sozialen Diskurses und Sicherung der Pluralität durch ein breites wie in die Tiefe gehendes Informationsangebot, und nicht zuletzt Spiegel der Kultur und ihr Anreger zugleich.

Bei der Konzeption seiner Programmfarben für die digitale Welt wird sich das ZDF auf diesen Auftrag besinnen müssen. Mit seinem gemischten Angebot aus Hauptprogramm, Partner- und Digitalkanälen ist das ZDF dabei auf dem richtigen Weg. Kinderprogramm, Kultur, Wissenschaft, Theater, Dokumentation und Information sind Kernaufgaben, die sich schon heute in den Partner- und Digitalkanälen spiegeln. In 3sat, ARTE, dem Kinderkanal, PHOENIX und seinem digitalen Bouquet ZDFvision leistet das Haus mit vergleichsweise geringen Mitteln hier Beachtliches.

Wir müssen aber auch auf die weitere Gestaltung des europäischen politischen und ökonomischen Umfelds achten.

Die USA, in Europa häufig als Hort des freien Welthandels gepriesen, sind bei der Frage der Medien unverblümt und mit Überzeugung protektionistisch. Die FCC-Regulation § 310 – einst zu Zeiten des Ersten Weltkriegs gegen Überfremdung eingeführt – hat heute noch Bestand und verhindert, dass sich Ausländer mit mehr als 20 Prozent an amerikanischen Medienunternehmen beteiligen können. Im Land der großen wirtschaftlichen Freiheit hat man bei den Medien die wirtschaftliche, kulturelle und politische Einflussnahme sehr wohl im Blick.

In Deutschland und vielen Ländern Europas hingegen kennt man keine solche Regularien. Man geriert sich sogar fast verschämt, wenn man zugeben wollte, dass man den eigenen Kulturraum schützen will. Nur Frankreich hat hier eine traditionell entschiedenere Position – zu Recht, wie ich meine. Und wir brauchen zweierlei: die Fähigkeit, mit unseren europäischen kulturellen Leistungen am Weltmarkt zu bestehen und Schutzzonen für das, was der radikale Wettbewerb sonst gnadenlos wegspülen würde.

»L’exception culturel«, die Kultur als Ausnahme von den Spielregeln der World-Trade-Order, ist deshalb die europäische Schlüsselposition, die es zu verteidigen gilt, will man nicht mit der Europäischen Rundfunkordnung im Räderwerk der nächsten Gatt-Runden zermahlen werden. Damit schützen wir nicht nur die Kultur im klassischen Sinne, sondern auch die demokratische Kultur Europas, die maßgeblich auf dem Prinzip des Pluralismus ruht.

 
 
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