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2002  
ZDF Jahrbuch
Schwerpunkte des Jahres
Markus Schächter
Dieter Stoltes Verabschiedung
Thomas Euting
Giselher Suhr
Heiner Gatzemeier
Jürgen Schmelzer/Berthold Tritschler

Dieter Stoltes Verabschiedung

"Für mich geht etwas zu Ende, nicht für Sie"

 
Dieter und Petra Stolte zwischen den Laudatoren Kurt Beck, Johannes Rau und Konrad Kraske
Dieter und Petra Stolte zwischen den Laudatoren Kurt Beck, Johannes Rau und Konrad Kraske




Ein Bild des Freundes Gustavo – Geschenk der Kollegen
Ein Bild des Freundes Gustavo – Geschenk der Kollegen








Ehrung für ein Lebenswerk
Ehrung für ein Lebenswerk
              
 

Mit einem heiter fröhlichen Mitarbeiterfest am 13. und einer offiziellen Verabschiedungsfeier mit vielen Gästen aus dem öffentlichen Leben und der Welt des Fernsehens am 14. März 2002 ist die insgesamt 20-jährige Amtszeit Professor Dr. h.c. Dieter Stoltes als Intendant des ZDF – am Vortag von Markus Schächters Amtsantritt – zu Ende gegangen. Nachfolgend Zitate aus den bei der Verabschiedung gehaltenen Reden, aus denen sich ein Kaleidoskop des Wirkens und der Persönlichkeit des scheidenden Intendanten ergibt.

Gemeinwohl

… Wenn Sie, lieber Herr Stolte, etwas versprochen haben, haben Sie es gehalten, verlässlich, offen, mit der Fähigkeit zum Zuhören, mit einer eigenen Position, die nicht zur Disposition stand; aber mit der Bereitschaft, den anderen zu hören, den Kompromiss zu suchen, nicht den faulen Kompromiss, sondern den, der trägt. Dabei ist nun ein Lebenswerk entstanden, das Sie heute aus der Hand geben; ein Lebenswerk, wir haben es an vielen Stellen und in den letzten Tagen oft sehen und hören können, das sich wahrlich sehen lassen kann. …

Sie haben diesem Haus seine und Ihre Prägung gegeben. Wer die Bilder in Erinnerung hat, auch die Bilder aus der Zeit, in der Sie als Assistent von Professor Holzamer hier anfingen, der ist bewegt von dem, was jetzt vor unser aller Augen ist und was uns täglich begleitet. Haben Sie Dank auf dem Weg in die Welt, für Ihr Engagement, für die Bereitschaft, Identität zu stiften, für das Eintreten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk …

Ich bin gekommen, um ein Wort des persönlichen Dankes zu sagen und um nach draußen deutlich zu machen, dass wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu dem gehört, was neben dem Gegenüber von Staat und Kirche, neben starken Gewerkschaften und der Tarifpartnerschaft unseren Staat in den ersten fünf Jahrzehnten seines Bestehens hat stabil sein lassen. Ich glaube, dass wir einen solchen Schatz hüten müssen, auch in einer sich verändernden Welt.

Was kommt, was war, was bleibt, Herr Schächter? Sie kommen. Stolte geht. Was bleibt, ist der Auftrag, den eine wache Bürgerschaft gibt und ist der Versuch, diesem Auftrag gerecht zu werden mit einem gemeinsinnorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Interessen nicht verleugnet, aber bündelt, der Gegensätze nicht ausklammert, aber offen legt und deutlich macht, und der den Weg zum Konsens immer wieder sucht. Mein Wunsch an Sie ist, dass Sie in diesem Punkt in die Fußstapfen Dieter Stoltes treten können, dem wir alle von Herzen dankbar verbunden sind. Er hat immer Parteizäune niedrig gehalten und er hat das nie verwechselt mit dem Verzicht auf eigene politische Überzeugung; die hat er auch nie versteckt und verleugnet. Ich wünsche mir solche Menschen an vielen Orten.

Johannes Rau, Bundespräsident

Kooperation, Konsens, Kollegialität

… Wenn wir heute gemeinsam Dieter Stolte verabschieden, so erfüllen uns hohe Anerkennung, aufrichtiger Dank, großer Respekt und – das sage ich für mich persönlich – uneingeschränkte Bewunderung. Dass ein Mann fast vier Jahrzehnte im Dienste des ZDF stand und 20 Jahre lang dessen Intendant war, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht wiederholen. Aber dass Dieter Stolte diesen einmaligen Weg gehen konnte, ist wahrhaftig kein Zufall: Der Mensch Dieter Stolte mit seinen hohen intellektuellen und moralischen Qualitäten und das Amt mit seinen gewaltigen, ganz spezifischen Anforderungen fügten sich fast nahtlos ineinander, und je länger er dem ZDF diente, desto mehr kam man in Versuchung zu sagen, er war das ZDF. Das kann nun leicht missverstanden werden und klingt dann nach Autokratie, ja, nach Usurpation. Aber das wäre ganz unzutreffend. Dieter Stolte war vom ersten bis zum letzten Tag seiner Amtszeit ein starker, ein selbstbewusster und ein bestimmender Intendant; aber er war zugleich um Kooperation, Konsens und Kollegialität bemüht. Er hat Talente und Begabungen nicht unterdrückt, sondern gesucht und gefördert, und es ist kein Zufall, dass es in den letzten Monaten zwar lange Zeit – zu lange Zeit! – keine Einigung über Stoltes Nachfolge gab, dass über Lösungen aus dem Hause oder von außen gestritten wurde, dass es aber bei allen Meinungsverschiedenheiten nie Streit darüber gab, unter Stoltes führenden Mitarbeitern gäbe es wahrhaftig mehr als nur einen, der für seine Nachfolge qualifiziert sei. Das kann nicht die Bilanz eines ichbezogenen Alleinherrschers sein!

Will man die Leistung des Intendanten Dieter Stolte in ihrem ganzen Umfang ermessen, muss man sich daran erinnern, dass das ZDF bei seinem Amtsantritt vor 20 Jahren seinen unumstrittenen, gesicherten Platz neben der ARD hatte und dass es nicht mehr als erste tastende Versuche mit Kabelpilotprojekten gab. In Stoltes Amtszeit fiel also die weitgehende Liberalisierung der Fernsehmärkte und die Etablierung des dualen Systems mit allen tiefgreifenden Konsequenzen, die sich daraus ergaben. Und ebenso fiel in seine Amtszeit die Wiedervereinigung unseres Landes, mit der aus der Elf-Länderanstalt ZDF eine 16-Länderanstalt wurde. Während das Erste eine ernste Herausforderung war und blieb und das ZDF bis heute vor kaum lösbare Probleme stellte, sich damit aber zugleich Stoltes strategische Meisterschaft erwies, hat er die Wiedervereinigung – für ihn, der prägende Jahre seiner Kindheit in Thüringen verbracht hatte, wie für alle Patrioten die Erfüllung eines Traumes! – als eine einmalige Chance verstanden. Die Landesstudios in den fünf neuen Ländern und das Hauptstadtstudio in Berlin, aber auch das Engagement des ZDF für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche sind bleibende Zeugnisse dafür, wie Stolte diese Chance wahrgenommen hat. …

Wenn der Fernsehrat drei Anläufe gebraucht hat, um sich mit der erforderlichen Drei-Fünftel-Mehrheit auf einen Nachfolger für den Intendanten Dieter Stolte zu verständigen, mag das nicht zuletzt den Grad seiner Unentbehrlichkeit gezeigt haben. Trotzdem hat sich der Fernsehrat damit nachhaltigem Unverständnis und herber Kritik ausgesetzt, wobei vor allem die mangelnde Konsensfähigkeit getadelt wurde. Der Fernsehrat hat das ernst zu nehmen und er tut es. Trotzdem habe ich manches an der Kritik der letzten Wochen als unberechtigt empfunden, weil sie die Arbeit des Fernsehrats ausschließlich an einer einzigen Wahlentscheidung gemessen hat.

Dr. Konrad Kraske, Vorsitzender des Fernsehrates

Soziales und kulturelles Engagement

… Ich möchte zwei weitere Aspekte herausgreifen. Es ist deutlich, dass das Zweite Deutsche Fernsehen insbesondere auch unter Ihrer Verantwortung sich der sozialen Dimension unseres Zusammenlebens immer verpflichtet gefühlt hat. Das, was beispielhaft mit der Aktion Mensch verbunden ist, ist ein Zeichen dafür, dass eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt, wenn sie entsprechend geführt ist, wenn sie entsprechend positioniert wird, für das Zusammenleben der Menschen und damit für die Menschlichkeit unter uns Wichtiges, Entscheidendes zu leisten vermag. Und in ähnlicher Weise gilt dies auch für die von Ihnen gelebte und praktizierte Verantwortung für die kulturelle Dimension unseres Zusammenlebens. Ihr Einsatz für die Dresdner Frauenkirche ist zu Recht bereits genannt worden, Ihr Einsatz für den Speyerer Dom sei hinzugefügt. Ich freue mich sehr darüber, dass Sie uns alle gebeten haben, heute nicht mit Geschenken zu kommen, sondern ein Geschenk, das der Menschheit übergeben worden ist, aus diesem besonderen Anlass lebendig und anschaulich und nutzbar zu halten, nämlich den Speyerer Dom.

Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Vorsitzender des Verwaltungsrates

Ein populärer Machtmensch

… Lassen Sie mich vorweg sagen: Für ARD-Verhältnisse ist das Aufgebot an politischer und gesellschaftlicher Prominenz außerordentlich. Angesichts von so viel Bedeutung und Aufmerksamkeit wird verständlich, warum sich der arme Fernsehrat so plagen musste. …

Alle Welt fragt sich, was macht das ZDF ohne Dieter Stolte? Aber nach unserem Verlust fragt niemand. Was macht die ARD, was machen wir ohne Dieter Stolte? Zwei Jahrzehnte war er uns ein wichtiger Bezugspunkt, zwei Jahrzehnte spielte er in unseren strategischen Überlegungen eine maßgebliche Rolle. Jetzt soll das vorbei sein. Das macht uns ärmer.

Was Dieter Stolte für den deutschen Rundfunk und auch für das Land geleistet hat, ist hier bereits überzeugend gewürdigt worden. Er hat seinen Sender – bei ihm kann man das mit dem Possessivpronomen so sagen – zu einer Größe von internationalem Rang gemacht. Wir hatten unsere Händel mit ihm. Nicht wenige. Das kann bei vitalen und konkurrierenden Unternehmen nicht ausbleiben, aber wir alle haben größte Achtung vor seiner Persönlichkeit und seinem Lebenswerk.

Lieber Herr Stolte, in Ihrer 20-jährigen Amtszeit haben Sie stürmische Perioden durchgemacht. Ihre frische, vom Wetter gegerbte Hautfarbe zeigt, dass Ihnen öfter ein strammer Wind ins Gesicht blies. Aber Sie haben sich nie unterkriegen lassen. Sie haben Ihren Sender auf Kurs gehalten. In der deutschen Medienlandschaft nehmen Sie einen herausragenden Platz ein. Diese Position ist für die Geschichte gesichert. Als Ihre politischen Lieblingsfiguren haben Sie im FAZ-Fragebogen Cäsar und Bismarck genannt. Ich finde das klasse. Nicht dieses opportunistische »Mutter Theresa« oder »Mahatma Gandhi«, sondern ein klares Bekenntnis zu zwei populären Machtmenschen. …

Ich habe gerne mit Ihnen zusammen gearbeitet, auch wenn wir manchmal nicht einer Meinung waren. Aber man konnte etwas mit Ihnen bewegen. …

Fritz Pleitgen, ARD-Vorsitzender

Europäische Integration

… Die Wichtigkeit Deutschlands im modernen Europa kann kaum zu hoch eingeschätzt werden. Die Geschichte des Landes, so schmerzvoll sie auch ist, verbreitet ein Licht der Hoffnung, das Wege und Mittel aufzeigt, mit denen die Prinzipien der Einheit in Vielfalt in der Praxis umgesetzt werden können. Diese Leistung Deutschlands ist zu einem nicht unwesentlichen Teil den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten des Landes zu verdanken.

Auch die Europäische Rundfunkunion bekennt sich mit Hochachtung zu diesen gemeinsamen Werten. Wir glauben, dass das Prinzip der Einheit in Vielfalt Kern einer jeden europäischen Union zu sein hat. Wir sind uns einig, dass soziale Vielfalt und kultureller Pluralismus wesentlich für echte bereichernde Lebensqualität sind. Es ist unsere Auffassung, dass es bei Konvergenz auch um Achtung der Divergenz gehen muss. Jeder politische und ökonomische Prozess, der sich der Schaffung von allseitigem Frieden und Wohlstand verschreibt, verlangt auch als Unterbau gegenseitigen Respekt. Das ist das einzige Fundament, auf dem sich eine haltbare und solide Struktur gemeinsamer Verpflichtungen aufbauen lässt. Demokratie, Freiheit und Gleichheit sind Werte, die niemals als Selbstverständlichkeiten vorausgesetzt werden können. Man muss sie sich Tag für Tag in einer Herausforderung nach der anderen immer wieder aufs Neue verdienen. Das Bewusstsein dieser Tatsache spiegelt sich auch in den vielen Beiträgen wider, die Professor Stolte und das ZDF zur Integration der öffentlichen Rundfunkgesellschaften Europas zu einer starken Union geleistet haben. Sie, Herr Professor Stolte, haben geholfen, das Fundament für eine Entwicklung zu legen, welche dem öffentlichen Rundfunk eine lichte Zukunft verspricht. Dafür können Sie unserer Dankbarkeit gewiss sein. …

Arne Wessberg, Präsident der European Broadcast Union (EBU)

Unternehmenskultur

… Wir Personalräte konnten aus der Nähe immer wieder Ihr ausgeprägtes Geschick beobachten, mit dem Sie auch widerstrebende Interessen in den Aufsichtsgremien des Senders und in der Politik austarierten und damit so manche Klippe für unser Unternehmen umschifft haben. Nach außen haben Sie stets mit großem Engagement und unermüdlichem Einsatz die Interessen des ZDF vertreten und Sie sind in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit der eigentliche Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geworden. Sie haben mit großer Seriosität den Wert und die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere Gesellschaft immer wieder deutlich gemacht und damit einhergehend das ZDF als einen unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Medienlandschaft etabliert.

Und wir haben Sie meist als einen Intendanten erlebt, der mit großer Offenheit auf die Personalratsvorstellungen einging und Sie ließen sich auch von Argumenten überzeugen, ohne sich zurückzuziehen auf die Frage, ob wir in dieser oder jener Frage ein Mitsprache- oder Mitbestimmungsrecht haben.

Ihre Leitlinie im Zusammenwirken mit den Personalvertretungen war die Kooperation, und damit konnten selbst in Krisenzeiten weitgehend konfliktfreie Lösungen mit starker sozialer Prägung gefunden werden. Damit haben wir im ZDF eine innere Unternehmenskultur geschaffen, die auch nach außen strahlt und damit den Sender und seine Mitarbeiter schützt gegen äußere Einflussnahmen und gegen interessengeleitete Kritik-Attacken. …

Edgar Rößler, Personalratsvorsitzender

Ermöglicher von Kreativität und Phantasie

… Als wir uns dann endlich begegneten, hat mich als erstes Ihre Bescheidenheit beeindruckt. … Da war einer, der die Aufgabe ernster nahm als sich selbst, der sich nicht als Amtsinhaber fühlte, sondern das Amt als nur geliehen betrachtete und sich selbst als Primus inter Pares. Freilich schloss diese Bescheidenheit ein beeindruckendes Auftreten, eine beinah fürstliche Aura nicht aus, weshalb ich, als ich den »Großen Bellheim« drehte und Mario Adorf an seine Rolle als Unternehmenschef heranführen musste, öfter an Sie gedacht und Ihr Vorbild durchaus für diese Rolle benutzt habe. Milde Selbstironie und tiefer Ernst, hohe intellektuelle Kapazität, Respekt vor der Aufgabe und der einem übertragenen Verantwortung, ein Menschenkenner und ein Ermöglicher.

Später dann habe ich als eine Ihrer herausragenden Eigenschaften Ihre Verlässlichkeit kennen gelernt. Nie hatte man bei Ihnen das Gefühl, nach einer mündlich getroffenen Vereinbarung noch etwas schriftlich fixieren zu müssen. Es war in der Tat auch nie notwendig. Welch ein Beispiel in einer Zeit, in der Meinungen so schnell wechseln wie die Windrichtung, das Gerechte so gern ins Selbstgerechte mutiert, das wägende Urteil, wenn es denn opportun erscheint, in den Verdammungsspruch. Diese Verlässlichkeit, die Sie vermitteln, hat Ihre Amtszeit geprägt, und ich denke, auch dieses ganze Haus hier. Unsere Arbeit ist angreifbar, unsere Irrtümer und Fehler sind weithin sichtbar. Da ist es schön, Rückendeckung zu haben. Immer waren Sie voller Interesse an den Plänen, Überlegungen, Problemen und Verzweiflungen eines Filmemachers, neugierig auf die Stoffe, die ihn bewegten. Manchmal mussten Sie und Hans Janke wuchernde Träume beschneiden, Kühnheiten erträglich machen, Verrücktheiten ausgleichen und in die Realität des möglichen Etats bannen. Aber wenn Sie sich zu einem Projekt durchgerungen hatten, dann unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter bei dem Risiko. Dabei sind Sie in der Lage, wie ein dramatischer Autor das Wesen der anderen Seite zu sehen und ihre Argumentation zu begreifen, auch wenn Sie eine andere Meinung vertreten. Bei Erfolgen blieben Sie in der Regel abseits. Aber wenn der Film polarisierte, wenn es Kritik hagelte, dann waren Sie zur Stelle, durchaus nicht unkritisch, aber immer solidarisch. Man spürte Ihre Rückendeckung. …

Für die Kommerziellen geht es ökonomisch um Quoten um jeden Preis, für die Öffentlich-Rechtlichen gesellschaftlich um Menschen um jeden Preis, hat Dieter Stolte geschrieben. Wir alle wissen, dass Phantasie im Stande ist, Welten zu öffnen und helfen kann, die Schwere des Lebens zu ertragen und zu bewältigen. Aber wie das Wunder des alltäglichen Lebens beschreiben? Wie erzählen von den Schwächen der Menschen, ihrer Verführbarkeit, ihren Sehnsüchten und Ängsten? Möglichst einfach und unmittelbar und unverfälscht und ohne falsche Rücksichtnahme – klar! Aber im Leben wird nun mal nicht in jeder Minute geschossen, eine Liebeserklärung gemacht, und man sagt auch nicht alle paar Sekunden ein paar gescheite Sachen. Die Menschen essen, trinken, schlagen sich durchs Dasein, reden recht häufig dummes Zeug, und während sie das tun, fügt sich ihr Glück und zerschlägt sich ihr Leben. Vermutlich sind wir alle, Programmverantwortliche und Programmmacher, in diesem Beruf, weil wir uns nach etwas Unerfülltem sehnen. Weil wir vielleicht an einem kaum gedachten, nie ausgesprochenen Heimweh kranken nach einer anderen Welt, in der Schönheit und Gerechtigkeit und Toleranz neben Aufgeschlossenheit und Wohlstand ihren Platz haben. …

Bescheidenheit, Verlässlichkeit, eine stille, zähe Kraft und Beharrlichkeit – erklären sie das Geheimnis Ihrer Besonderheit? Ein Intendant dreht keinen Film, gestaltet keine Nachrichtensendung und denkt sich keine Witze für Unterhaltungsshows aus. Er muss den Intentionen seiner Mitarbeiter nachspüren, Ausgleich schaffen zwischen seinen eigenen Vorstellungen, den Programmbedürfnissen, den Visionen derer, die es gestalten, den wirtschaftlichen Zwängen und den Zuschauererwartungen. Dieser Ausgleich macht, wenn er denn gelingt, das Profil eines Senders aus. … Für viele, für sehr viele, waren Sie nicht nur ein Begleiter bei der Arbeit, sondern auch ein selbstverständlicher, kluger, verlässlicher Begleiter im Leben. …

Dieter Wedel, Regisseur, Autor und Produzent

Wertekompass

Aus Dieter Stoltes Abschiedsrede

… Ich war gerne Intendant dieses Hauses – das Haus wurde und war mein Leben. Es hat über die Länge der Zeit mehr von mir Besitz ergriffen – keineswegs umgekehrt – als normal und vielleicht auch gut ist. Meine Entscheidung, nicht noch einmal für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung zu stehen, war daher nicht zuletzt die innere Konsequenz eines Prozesses, zum richtigen Zeitpunkt loszulassen.

Meine Damen und Herren von Fernsehrat und Verwaltungsrat, ich danke Ihnen für Ihr Verständnis gegenüber meiner Entscheidung. Sie haben mir damit mehr Respekt erwiesen, als Sie vielleicht ahnen: Sie haben mir die Freiheit gelassen, mein Leben noch einmal neu zu gestalten, mich einer neuen Herausforderung zu stellen. Ich danke Ihnen aber vor allem für die lange Zeit einer stets sachbezogenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Mag nach außen auch der Intendant in Erscheinung getreten sein, ordnungsgemäßes Handeln war immer nur durch das Zusammenwirken aller drei Organe möglich. Diese Zusammenarbeit war über 20 Jahre intakt und von vielen politischen Gremien bewundert, teilweise beneidet worden.

An dieser positiven Gesamtbilanz ändert auch die Tatsache nichts, dass ich die Begleitumstände bei der Regelung meiner Nachfolge als irritierend wahrgenommen habe. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass auch hier – wie so oft im Leben – die Zeit vergessen lässt, was die Situation einzelnen Menschen zugemutet hat.

Ich danke des Weiteren meinen Wegbegleitern von der ARD: Auch hier gilt, dass zuweilen die einzelne Situation über die Grundkonstellation insgesamt hinwegtäuschen kann. Wider den gelegentlichen Anschein waren Sie mir, liebe Kollegen, in einem härter gewordenen Wettbewerb Partner und Mitstreiter, natürlich auch Konkurrenten, jedoch keine Rivalen und schon gar keine Gegner. Die ARD ist die ältere Schwester des ZDF, und wir sind eine Familie mit allen Gemeinsamkeiten und allen Unstimmigkeiten. An unserem gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Grundkonsens gab es nie einen Zweifel, denn nur gemeinsam konnten wir die Widerstände, die sich aufbauten, bezwingen.

Zu guter Letzt, aber nicht zuletzt, gilt mein Dank Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen des ZDF. Was wäre ein Feldherr ohne Heer, ein Kanzler ohne Volk, ein Dirigent ohne Orchester, ein Theaterintendant ohne Ensemble, und was wäre ein Fernsehintendant ohne seine Mitarbeiter? Er wäre nichts! Lassen Sie sich also nicht beirren; stellen Sie sich hinter Ihren neuen Intendanten, und geben Sie ihm Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung, die er in den nächsten Jahren für den gemeinsamen Erfolg braucht. Gemeinsam werden Sie es schaffen! Das ist keine optimistische Abschiedsfloskel, sondern eine aus eigener Lebenserfahrung gewonnene Gewissheit.

Worin aber kann der Erfolg des ZDF in der Zukunft gründen? Meine Antwort ist klar: Er kann es nur in der Unverzichtbarkeit und Unverwechselbarkeit des Programms – kurz: in dessen Qualitätsprofil. Gewiss, Medien leben davon, dass sie gelesen, gehört und gesehen werden. Aber die Öffentlich-Rechtlichen überleben nur, wenn sie sich im Markt unterscheiden, das heißt: wenn sie ihr gemeinwohlorientiertes Profil bewahren. Die Reduzierung ihres Erfolgs auf die bloße Quote wäre daher gefährlich und verhängnisvoll und für das ZDF am Ende auch tödlich. Die theoretisch leicht formulierte – allerdings praktisch nicht leicht umzusetzende – Schlüsselaufgabe lautet daher nach wie vor: Qualität und Quote müssen zusammenkommen. ...

Öffentlich-rechtliche Anstalten beziehen ihre Existenz und ihren Antrieb aus ihrer Orientierungs-, Bildungs- und Beratungsfunktion für die Gesellschaft. Sie dienen darin dem einzelnen Menschen wie auch der Gesellschaft insgesamt, dienen also keinem Selbstzweck. Ohne die Einlösung dieser Aufgabe wären ARD und ZDF überflüssig. ...

Heute kann ich bilanzieren: Das ZDF ist ein kraftvolles, kreatives, in seinen geistigen Strukturen intaktes Unternehmen. Vom Zeitgeist nicht angekränkelt, erfüllt es konsequent seine Programmaufgabe. Auch seine innere Organisation ist intakt, indem sie mit ihren Service- und Cost-Centern modern strukturiert ist und in großer Effizienz ihre Leistungen erbringt. Die Finanzen des ZDF sind dabei nicht üppig, aber geordnet, denn wo gibt es im Vergleich zur freien Wirtschaft Unternehmen, die von sich sagen könnten, dass alles, was sie besitzen, bezahlt ist?

Die gewiss größte und kostbarste Ressource des ZDF sind jedoch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit kritischem Engagement haben sie den notwendigen Umbau zu einem modernen Programmunternehmen angepackt und mitgestaltet. In diesem Zusammenhang danke ich vor allem der Personalvertretung des Hauses als unermüdlichem Katalysator und sachkundigem Moderator aller erforderlichen Prozesse. …

Meine Damen und Herren, es gehört zu den Grunderfahrungen unseres Lebens, dass wir auf Dauer nicht als Einzelne glücklich sein können. Wir beziehen unser Glück aus einem fortlaufenden Prozess des Gebens und Nehmens, der auch andere daran teilnehmen lässt. Unter Ihnen sind viele, die mich auf diese Weise als Gebende begleitet und gefördert haben. Ich danke Ihnen allen in welcher Funktion oder Rolle auch immer: ob als Wegbereiter oder Wegbegleiter, als Mitstreiter oder Herausforderer, als Ratgeber oder Förderer, als Lehrer und Wegweiser, als Beobachter, Mahner oder auch Kritiker oder schlichtweg als Freunde. ...

 
 
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