Anke Scholten, ZDF-Olympia-Programmchefin
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Ein britisches Sommermärchen – so könnte man die Olympischen Spiele in London aus Sicht des Gastgebers beschreiben. Stimmungsvolle Wettbewerbe in beeindruckender Kulisse, begleitet von einem begeisterten Publikum. Und auch für das ZDF waren diese Sommerspiele ein voller Erfolg.

Nach der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine folgte nur wenige Wochen später das programmintensivste Projekt der Hauptredaktion Sport, die Olympischen Spiele in London. 302 Entscheidungen in 26 Sportarten, verteilt auf 16 Wettkampftage – so schlicht die olympische Formel auch lautet, so komplex war die Aufgabenstellung. Die Gemeinschaftsproduktion mit der ARD stand dieses Mal unter der Federführung des ZDF, Gesamtteamchef war Sportchef Dieter Gruschwitz.

Die Planungen hatten schon mehr als zwei Jahre zuvor begonnen. Sparzwänge und die Vorgabe einer limitierten Teamstärke hielten die Planungsgruppe, bestehend aus Kollegen von Redaktion, Produktion und Technik, dazu an, vieles zu hinterfragen und neu zu überdenken. Am Ende dieses Prozesses stand ein Konzept, das puristischer war als in der Vergangenheit, vielleicht hier und da auch weniger exklusiv und flexibel, aber den Fokus immer auf das Wesentliche gerichtet hatte: die olympische Vielfalt.

Schon immer haben ARD und ZDF in der Vorbereitung und Durchführung von Olympischen Spielen eng zusammengearbeitet. Aber die Verkleinerung des ARD/ZDF-Olympiateams um fast 170 Personen im Vergleich zu Peking ließ sich nur durch enges Zusammenrücken realisieren. Ein Großteil der Kollegen von Produktion und Technik arbeitete durchgängig für beide Sender. Auch in der Redaktion wurde Personal geteilt, so beispielsweise bei den Funktionen Regie und MAZ-Redaktion. Ein Maximum an Synergie wurde jedoch bei den Reportern erzielt. So kommentierten bis zu 20 ZDF-Reporter an ARD-Sendetagen für das gemeinsame Livestreaming-Angebot von ARD und ZDF, an ZDF-Sendetagen kamen dann die ARD-Kollegen zum Einsatz.

Sportarten, deren Existenz vielen Menschen zuvor kaum bekannt ist, rücken in den Fokus und faszinierten Millionen Zuschauer vor den Fernsehern. Diese Vielfalt abwechslungsreich ablichten, die richtige Mischung finden zwischen den großen olympischen Kernsportarten wie zum Beispiel Leichtathletik und Schwimmen, und den so genannten kleinen Sportarten – das war ohne Zweifel eine unserer spannendsten redaktionellen Aufgaben in London.

Doch vor dem Wettbewerb steht die Vorbereitung, so auch für uns Fernsehmacher. Die ersten ARD/ZDF-Techniker begannen ihre Arbeit vor Ort im Internationalen Fernsehzentrum (IBC) Mitte Juni. Studio, Regie und Schaltraum – die Herzstücke aus technischer Sicht – und dazu noch diverse andere Arbeitplätze mussten eingerichtet werden. Eben all das, was benötigt wird, um mehrere hundert Stunden Programm vor Ort sendefertig zusammenzustellen. Und da das Olympiaprogramm zwar im IBC konfektioniert wird, der Sport aber »draußen« stattfindet, wurde auch an einigen Sportstätten eigene Technik installiert, so beispielweise beim Schwimmen, Rudern und Reiten sowie bei der Leichtathletik. Ein Großteil des technischen Equipments wurde direkt von der Fußball-EM aus Warschau nach London gebracht und für einen weiteren Dauereinsatz installiert.

Die Zusammenarbeit mit dem Organisationskomitee gestaltete sich in der Vorlaufphase schwieriger als je zuvor bei Olympischen Spielen. Vor allem die Kollegen von Produktion und Technik wurden schwer geprüft, denn die Sicherheitsauflagen und Vorschriften nahmen in London eine Dimension an, die so niemand erwartet hatte. So musste beispielsweise jeder Mitarbeiter, der vor Ort in London zum Team gehörte, vor der Einreise eine schriftliche Sicherheitsprüfung ablegen. Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, wurden auch die strengen Auflagen gelockert, und die Zusammenarbeit mit den britischen Kollegen gestaltete sich als sehr angenehm und deutlich entspannter, als man das zuvor erwarten durfte.

Am 27. Juli war es dann, nach langen Monaten der Vorbereitung, endlich so weit. Die Übertragung der Eröffnungsfeier war der Auftakt zu rund 120 Stunden »ZDF Olympia live« aus London. Die Feier – ein beeindruckendes Spektakel, bei dem sich London als lässige Metropole mit viel Humor präsentierte, kam auch bei den deutschen Fernsehzuschauern an. Mit 11,46 Millionen Zuschauern in der Spitze und einem Marktanteil von 43,5 Prozent stieß der Olympiaauftakt auf großen Zuspruch und schraubte die Erwartungen für die folgenden Wettkampftage in die Höhe.

Danach folgten im täglichen Wechsel mit der ARD noch acht Sendetage, jeweils 15 Stunden, nur unterbrochen von den Nachrichtensendungen. Dreh- und Angelpunkt der Berichterstattung war das Olympiastudio im IBC. Von dort führten Michael Steinbrecher und Rudi Cerne durch die langen Wettkampf- und Sendetage, begrüßten zahlreiche Gäste und schalteten zu den Außenstellen, wo die Reporter und Moderatoren ganz nah am Geschehen waren. Erstmals bei Olympischen Spielen wurde im deutschen Fernsehen auch der Zusammenhang von Sport und Psychologie in den Mittelpunkt gerückt. Dazu holte das ZDF den bekannten Sportpsychologen Hans Dieter Hermann in sein Team, der schon zahlreiche Athleten betreut hat und seit Jahren psychologischer Betreuer der Fußballnationalmannschaft ist. Das ZDF beleuchtete in einer täglichen Rubrik, welchen Stellenwert die mentale Kraft eines Athleten hat. Aktuelle Fälle, aber auch bekannte Momente aus der Vergangenheit wurden aufgegriffen und erläutert. Der Athlet als Mensch und nicht als Maschine stand im Mittelpunkt.

Aber trotz aller begleitenden Berichterstattung – das Herzstück Olympischer Spiele ist immer der Livesport. Und so standen natürlich die Ereignisse in den Hallen und Stadien im Mittelpunkt der Berichterstattung. Rund 80 bis 90 Prozent der Sportberichterstattung lief im ZDF live, der Rest folgte in zeitnahen Zusammenfassungen, wenn mehrere wichtige Entscheidungen zeitgleich stattfanden. Die olympische Vielfalt stand immer im Mittelpunkt. Ein Zahlenspiel:

Kein anderes Sportereignis ist so vielfältig wie Olympische Sommerspiele, bei keinem anderen Sportereignis findet so viel attraktiver Sport zur gleichen Zeit statt. Oder anders gesagt: Bei keinem anderen Sportereignis ist die Kunst des Weglassens so gefragt wie hier. Um den Zuschauern dennoch so viel Olympia wie möglich zu bieten, wurde ein umfangreiches Online-Livestreaming angeboten.

Insgesamt wurde die Berichterstattung des ZDF in der Presse durchweg positiv gesehen, als abwechslungsreich, kurzweilig und kompetent bewertet. Eine zu Beginn der Spiele aufkeimende Kritik, es würde mehr aufgezeichnet als live gesendet, konnte mit Livewerten von mehr als 80 Prozent entkräftet werden. Auch in einer repräsentativen Umfrage unter den Zuschauern gab es überwiegend gute Noten für die olympische Berichterstattung. 73 Prozent der Befragten werteten die Sendungen als gut oder sehr gut, vor allem die Machart und Kompetenz wurde gelobt und erzielte Werte von über 90 Prozent.

Schaut man insgesamt auf diese Sommerspiele zurück, bleibt für uns als Programm-Macher das schöne Gefühl, dieses Ereignis erfolgreich übertragen zu haben. Aber es bleibt noch viel mehr. Besondere Momente, die wir denen zu verdanken haben, um die es beim weltgrößten Sportereignis ging: den Athletinnen und Athleten. Keiner wird den Fechtkrimi mit Britta Heidemann so schnell vergessen, ebenso wenig wie den Sieg des Ruder-Achters, der Hockey-Herren oder des Beachvolleyball-Duos.

Unzählige nationale und internationale Beispiele könnte man auflisten. Diese besonderen Momente lassen sich nicht vorhersagen, schon gar nicht programmieren. Aber genau das macht die Faszination Olympia aus.

Anke Scholten
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Die Regie am Tag vor der Eröffnungsfeier