Antje Pieper, Leiterin ZDF-Studio Rom
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Zwischen Luxusjacht und Eurobonds
Die Krise in Griechenland und Italien

Griechenland und kein Ende. Längst hat die Krise das südliche Euro-Land fest im Griff, genauso wie Italien. Während sich die Fachleute über Eurobonds und Fiskalunion die Köpfe heiß reden, erkundet Antje Pieper, als Korrespondentin zuständig für die Berichtsgebiete Rom und Athen, die Stimmung in den betroffenen Ländern und hilft, Unverständnis und Vorurteile abzubauen – eine wichtige Aufgabe in der derzeit äußerst aufgeheizten Situation.

Man kann schon fast die Uhr danach stellen: Wenn Generalstreik in Griechenland ist, eskalieren stets gegen 14 Uhr Ortszeit zunächst friedliche Demonstrationen. Eine Handvoll Randalierer liefert sich Straßenschlachten mit der Polizei. Für die Korrespondenten heißt das oft: kein Durchkommen mehr über den Syntagmaplatz, Tränengas überall. Doch meist ist das Ganze spätestens nach zwei, drei Stunden wieder vorbei. Schon ein paar Querstraßen weiter bekommt man kaum etwas mit von den Auseinandersetzungen. Trotzdem erhalte ich immer wieder besorgte Anrufe: »Kann man überhaupt noch nach Griechenland fahren?«. Ja, man kann. Das sei auch an dieser Stelle noch einmal betont. Natürlich gibt es sie, die »Merkel raus!«-Plakate auf Demonstrationen und Nazifahnen, die demonstrativ verbrannt werden. Doch für diese Aktionen schämen sich viele Griechen. Von einer generellen Deutschland-Feindlichkeit jedenfalls wird kein Tourist etwas spüren. Im Gegenteil: Die Griechen waren und sind überaus gastfreundlich.

Zwar wird manchmal wütend ins ZDF-Mikro geschimpft – doch eher über die allgemeine Situation. Die meisten Griechen wissen sehr wohl, dass ihre eigenen Politiker jahrelang Misswirtschaft betrieben haben. Nur, dass der eingeschlagene Sparkurs das Land aus der Krise bringt, diese Hoffnung haben inzwischen viele nach fünf Jahren Rezession verloren. Über 90 Prozent der Menschen halten die Sparmaßnahmen für ungerecht, ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen. Aus dem Ausland wird kaum investiert, Griechen selbst bekommen so gut wie keinen Kredit von der Bank.

»Was machen die denn eigentlich mit unseren Milliarden, wo versickern die denn?«, so fragen mich viele Deutsche. »Von den Milliarden sehen wir doch gar nichts – das geht doch nur für die Rückzahlung der Schulden drauf«, antworten die Griechen. »Bisher habt ihr doch nur Kredite gegeben!«. Und so reagieren die Griechen auch äußerst empfindlich, wenn deutsche Touristen fragen, ob sie überhaupt noch für das Bier oder das Souvenir zahlen müssten, sie hätten Griechenland doch schon genug Geld gegeben.

Unverständnis abbauen – eine wichtige Aufgabe als Korrespondentin in einer zunehmend aufgeheizten Situation. Doch bei allem Verständnis für die Griechen mit kleinem und mittleren Einkommen, die extrem unter Steuererhöhungen und Lohnkürzungen leiden, kann man auch nicht die Augen verschließen vor den Missständen: Noch immer werden Strukturreformen zu langsam umgesetzt und Steuern hinterzogen. Bürokratie und Verwaltung sind eine Dauerbaustelle. Immerhin – inzwischen bekommt man selbst für einen Kaugummi eine Quittung – das gibt es in Italien noch nicht.

Zu Beginn der Griechenlandkrise sollte ich einen Bericht machen zum Thema: Wie steht es um Italiens Wirtschaft? Drohen griechische Verhältnisse? Ich weiß noch, wie beleidigend die Italiener allein die Frage empfunden haben. Das könne man doch überhaupt nicht vergleichen! Inzwischen starren auch die Italiener jeden Tag auf den »spread«: Die Bezeichnung für den Risikoaufschlag für italienische Anleihen im Vergleich zu deutschen ist zum festen Vokabular geworden, Bestandteil jeder Nachrichtensendung. Der »spread« hat es sogar geschafft, den scheinbar unverwüstlichen Silvio Berlusconi aus dem Amt zu fegen.

Doch ist durch den Wechsel zu Mario Monti wirklich alles gerettet? Vieles hat er geändert, angefangen beim Regierungsstil: Er verzichtet auf sein Gehalt, die Anzahl der berühmt-berüchtigten »macchine blu«, der Dienstwagen rund um Regierungssitz und Parlament, hat deutlich abgenommen. Stil und Humor sind eingezogen, wo andere Witze erzählten. Italien ist wieder ein ernstzunehmender Partner in Europa. Das als abfällig empfundene Lächeln Merkels und Sarkozys bei einer gemeinsamen Pressekonferenz über Berlusconi ist vielen Italienern noch immer schmerzlich in Erinnerung. Doch auch hier sieht man: Steuern sind schnell erhöht, Sparmaßnahmen verabschiedet, doch Strukturreformen dauern. Und: Im Frühjahr 2013 wird in Italien gewählt. Mario Monti wird im Moment nur geduldet – von der Berlusconi-Partei PDL, der Mitte-Links-Partei PD und einem kleineren Parteienbündnis in der Mitte. Inzwischen wünschen viele, dass die Technokratenregierung bleibt. Das Misstrauen gegenüber den bisherigen Politikern ist weiterhin groß – genährt von immer neuen Korruptionsskandalen. So feierten Regionalpolitiker in Latium mitten in der Krise dekadente Togapartys, verprassten Parteigelder für Luxusautos und -jachten, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei einem Zusammentreffen mit italienischen Politikern am Tag der Deutschen Einheit fragt eine Kollegin den Vorsitzenden der Mitte-Links-Partei PD, warum – wenn die ganze Welt so glücklich ist mit Monti – der Ministerpräsident nicht einfach bleiben könnte. Die empörte Antwort lautete: Wollt ihr uns die Wahlen verbieten?

Auf meine Nachfrage, was man denn tun könne, um aus der Krise zu kommen, heißt es oft als Erstes, Deutschland müsse sich bewegen. Zu viel stehe auf dem Spiel. Wer soll denn all die deutschen Autos sonst kaufen? Auf die Rückfrage: »Und Italien?« heißt es häufig, Italien mache doch schon alles. Die Reformbaustellen wie Bürokratie und öffentliche Verwaltung lässt man da gerne unter den Tisch fallen. Und dass Gerichtsprozesse oft zehn Jahre dauern, verschreckt weiterhin so manchen ausländischen Investor – ganz abgesehen von der Korruption. Einen »spread« gibt es eben nicht nur bei den Zinsen, sondern auch bei der Diagnose der Krisenursachen.

Mario Monti warnt stets vor der Gefahr, dass Europa in Nord und Süd zerfallen könnte. Eine Befürchtung, die übrigens auch in Italien selbst nicht unbekannt ist. Als publik wurde, dass Abgeordnete in Sizilien 15 000 Euro im Monat verdienen, der Pressestab des sizilianischen Regionalpräsidenten fast so groß ist wie der von Obama und die waldarme Insel sich mehr Forstarbeiter leistet als Südtirol, war die Wut groß – vor allem im Norden Italiens. Viel Unverständnis hat sich angestaut, viel zu tun also für eine Korrespondentin in Rom und Athen.

Antje Pieper