Michael Opoczynski, Leiter der Hauptredaktion Wirtschaft, Recht, Soziales und Umwelt
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Der Euro – unser Schicksal
Wie das ZDF über die Euro-Krise berichtet

Der Euro konnte im Jahr 2012 seinen zehnten Geburtstag feiern. Ein richtiges Geburtstagsfest mit Glückwünschen von Eltern und Verwandten wurde es nicht. Aber auch das Ende der Gemeinschaftswährung – wie manche vorhergesagt hatten – wurde nicht beschlossen. Der Euro lebt. Mit ihm verbindet sich Europas Schicksal.

Im Sommer 2012 wird er abgebaut. Der Euro. Das meterhohe Euro-Emblem direkt vor dem Terminal am Flughafen Frankfurt muss weg. Jahrelang konnten ihn alle sehen, die aus dem Ausland einflogen: Der Euro, in Frankfurt zuhause. Jetzt ist er weg – und das hat nach zehn Jahren einen erheblichen Symbolwert. Auch, wenn der Flughafensprecher abwiegelt, das Denkmal sei marode gewesen. Also, rein physisch, versteht sich.

Vielleicht ist es schon vergessen, jetzt nach zehn Jahren, aber er hatte keine leichte Geburt, der Euro. Mit der schwierigen Schwangerschaft und den Geburtswehen von damals erklären die Kritiker die Probleme von heute.

Gibt es einen Zusammenhang? Zwischen dem Fall der Mauer und der Abschaffung der Deutschen Mark? Kann man sagen, dass damals die starke deutsche Währung geopfert wurde, um die Zustimmung der europäischen Staatschefs zur Wiedervereinigung zu bekommen? Es heißt: »Mitterrand wollte damals das gemeinsame Geld und wehrte sich nicht gegen die deutsche Einheit« (Kurt Kister); bei Kohl sei es umgekehrt gewesen.

Beim Gipfel von Maastricht 1991 wird beschlossen, dass acht Jahre später eine gemeinsame Währung Wirklichkeit werden soll. Es gibt keine politische Union, keine gemeinsame Finanz- oder Sozialpolitik, kein gemeinsames Wirtschaften. Aber es soll ab dem 1. Januar 1999 diese Währung namens Euro, dann ab 1. Januar 2002 das gemeinsame Geld mit Euro und Cent, geben.

Viele haben damals gewarnt – in der Partei Helmut Kohls, in der CSU, auch in der SPD. Der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping sieht 1995 die Gefahr, die Deutsche Mark »für irgendeine Idee aufzugeben«. Da sieht sich der Euro-Befürworter Helmut Schmidt provoziert. Er verfasst einen flammenden Appell pro Euro und zwingt die SPD zu einem Parteitagsbeschluss zugunsten der europäischen Währung. Auch in CDU und CSU gibt es Widerstand. Peter Gauweiler spricht vom »Esperanto-Geld«. Er wird ruhiggestellt mit dem Beschluss, dass kein Land in der Währungsunion sich über drei Prozent hinaus neu verschulden dürfe. Von Theo Waigel kommt die Bekräftigung: »Drei Komma null heißt drei Komma null!«. Schon im Jahr 2002 werden viele Länder die Hürde reißen. Auch Frankreich und Deutschland verstoßen gegen diese Regel. Niemand wird sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Damals, sagen Kritiker, begann die Zügellosigkeit, die in die Euro-Schuldenkrise führte. Doch zunächst startet der Euro 2002 in seine Ära als Bargeld. Der Tausch Mark gegen Euro gelingt reibungslos. Es gibt eine kurze Schwächephase im Verhältnis zum Dollar. Dann hebt der Euro ab und gewinnt an Außenwert. Seine Geburtshelfer hoffen auf eine glänzende Zukunft.

Zehn Jahre später. An einem sommerlichen Samstag werde ich auf dem Mainzer Wochenmarkt angesprochen: »Sie müssen es doch wissen! Also frage ich Sie: Soll ich mein Geld in die Schweiz bringen?«. Eine Frage wie ein Überfall. Das also bewegt die Menschen. Nein, Sie müssen Ihr Geld nicht in die Schweiz bringen. Klare Antwort. Aber bin ich vorschnell? Was, wenn die Eurozone zerbricht? Dann werde ich mit meiner selbstsicheren Antwort zur Verantwortung gezogen.

Zehn Jahre später gerät die Berichterstattung des ZDF über den Euro in den Krisenmodus. Die Titel der Sendungen sprechen für sich: »Ist unser Geld noch sicher?«, fragt Peter Hahne in seiner Sendung »Was passiert mit dem Euro?«. »Schicksalsjahre einer Währung« (»ZDF-History«). »Zum Euro verurteilt?« (»ZDF log in«). Oder am 12. September live aus Karlsruhe, das »ZDF spezial« über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Stabilitätsmechanismus. Eine Entscheidung, die den Weg zum Gesetz über den ESM öffnet, die vorübergehend Euphorie bei den Euro-Befürwortern auslöst und Erleichterung bei den meisten politischen Parteien.

Einerseits liefern wir Nachrichten, Kommentare, Erklärungen und Diskussionen in kurzen Abständen. Die Zuschauer sollen über den Ernst der Lage informiert werden: Der Euro steht auf der Kippe und mit ihm die Wirtschaft der Euro-Länder, letztlich die ganze Europäische Union. Andererseits bleibt das Publikum, trotz der Berichte über diese krisenhafte Entwicklung, ruhig, fast unbewegt. Es läuft gut in der Wirtschaft. Es gibt viel Arbeit in Deutschland und weniger Arbeitslose. Die sozialen Sicherungssysteme haben nach langen Jahren der Unterfinanzierung genug Geld. Die Kunden kaufen fleißig ein. Was soll sein? Krise? Doch nicht bei uns!

Die Korrespondenten und Autoren des ZDF besuchen die europäischen Städte, in denen sich die Auswirkungen der Krise abbilden. Sie zeigen die Selbstständigen in Griechenland, denen die Aufträge wegbrechen und die ihr Personal entlassen müssen. Sie zeigen aber auch die griechischen Jachthäfen mit weißen Luxusschiffen. Griechisches Geld verlässt das krisengeschüttelte Land, manche bringen sich in Sicherheit, doch die Mehrheit der Menschen kann das nicht.

Unsere Reporter gehen nach Lissabon, Madrid oder Dublin. Dort werden die jungen Frauen und Männer zu Opfern der Krise. Wo die Hälfte eines jungen Jahrgangs keinen Job findet, wächst das Protestpotenzial. Manche von ihnen denken ans Auswandern. In Deutschland kommen junge spanische Arbeitnehmer an, gut ausgebildet und hungrig auf Arbeit. Ob ihre Integration gelingt?

Die Wirklichkeit schildern, das ist der Auftrag an unsere Autoren. Die Menschen zeigen, die Lage erhellen. Damit können wir Verständnis wecken und mitfühlen lassen. Denn, wenn das deutsche Publikum auf den Sachverstand der Ökonomen warten sollte, wird es enttäuscht. Selten haben sich die Fachleute so gestritten wie in dieser Krise. Während Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts, den Griechen den Austritt aus dem Euro empfiehlt und Euro-Bonds für Teufelswerk hält, rät Professor Peter Bofinger zur Fiskalunion und tritt für Euro-Bonds ein. Während der Chef der Europäischen Zentralbank den Euro »um jeden Preis retten« will, warnt der Präsident der Deutschen Bundesbank vor genau diesem Handeln. Er befürchtet eine galoppierende Inflation – andere Fachleute sehen die Gefahr überhaupt nicht. Professor Joachim Starbatty bekämpft den Euro seit seiner Geburtsstunde über Jahrzehnte hinweg, zuletzt auch als Mitkläger gegen den ESM vor dem Bundesverfassungsgericht. Andere Wissenschaftler sehen den Euro als das Mittel, das es braucht, damit Europa gegenüber anderen Weltmächten standhalten kann. Wer all diese Positionen unkommentiert und ohne Einordnung zu Wort kommen lässt, trägt eher zur Verwirrung als zur Vermehrung von Einsichten bei.

Wer über Europa von heute, die Europäische Union und die Euro-Zone reden will, muss die europäische Geschichte kennen und zu den Zuschauern transportieren. Die Serie »Weltenbrand« beschreibt, wie mörderisch die europäischen Völker im 20. Jahrhundert miteinander umgingen. Wie sie sich bekämpften im so genannten zweiten Dreißigjährigen Krieg, der – wie die Historiker sagen – von 1914 bis 1945 dauerte.

Die europäische Einigung ist eine Folge der Erkenntnis, dass eine solche Epoche sich in Europa nicht wiederholen darf. Es geht um Menschlichkeit, Nachbarschaft, Verständnis. Also müssen wir gegenhalten, wenn andere so leichthin daherreden und Fakten verdrehen, um Nationalismus zu schüren. Manche erwecken den Eindruck, Deutschland allein werde in Euro-Land »zur Kasse gebeten«. Sie sehen darüber hinweg, dass auch Frankreich oder Italien mit mehr als 100 Milliarden Euro beim Rettungsschirm engagiert sind und auch die anderen Länder mit einem ihrer ökonomischen Stärke angepassten Beitrag. Alle gemeinsam haben ein vitales Interesse am Zusammenhalt und am Erfolg Europas.

Und wenn in anderen Ländern von manchen Publizisten und solchen, die sich dafür halten, das Bild von der Wiederkehr des »deutschen Wesens« gezeichnet wird, das sich wieder einmal breit machen will, so gilt es an dieser Stelle gegenzuhalten. Manche, denen der deutsche Erfolg unheimlich ist, wollen ihn jetzt schlechtreden. Andere, die Europa noch nie mochten, sehen ihre Chance.

Aber auch die, für die der Begriff Europa weiterhin positiv besetzt ist, melden sich im Herbst 2012 zu Wort. Sie bekennen Farbe. Der ehemalige Bundeskanzler und ZEIT-Herausgeber Helmut Schmidt ist dabei, auch Ex-Bundespräsident Roman Herzog, die Topmanager Dieter Zetsche und René Obermann, der Fußballstar Philipp Lahm. Sie alle sagen: »Ich will Europa!«. Es wird Zeit, dass Prominente sich bekennen, bevor die Europagegner Gehör finden. Helmut Schmidt sagt: »Welche Lehren man immer aus der Geschichte der letzten Jahrhunderte ziehen will: Jedenfalls dürfen wir Deutsche nie und nimmer Ursache werden für Stillstand, für Verfall – oder gar für Zerfall des großen Projekts der Europäischen Union«.

Zu diesem Projekt gehört der Euro, die gemeinsame Währung. Er ist unser Schicksal. Vor dem Gebäude der EZB am Willy-Brandt-Platz in Frankfurt steht noch ein Euro-Emblem, das gleiche wie am Frankfurter Flughafen, nur größer. Ein 15 Meter hohes Denkmal, ein beliebtes Motiv für Fotografen. Geschaffen vom selben Künstler, der das Monument am Flughafen aufstellen ließ. Im Jahr 2014 will die Europäische Zentralbank in ihren Neubau am Mainufer umziehen. Das steht fest. Ob der Euro mitkommt? Natürlich sollte er. Aber sicher ist es nicht.

Michael Opoczynski