Andreas Heck, Leiter der Redaktion Sport online
PDF
Sechs Streams rund um die fünf Ringe
Olympische Rekorde für die ZDFmediathek

Sparsam mit den Ressourcen umgehen und gleichzeitig die Vielfalt des olympischen Livesports darstellen. Für die Onlineangebote des ZDF, die erst Ende April in überarbeiteten Versionen ins Netz gegangen sind, war das parallele Livestreaming zu den Sommerspielen 2012 in mancher Hinsicht eine neue Herausforderung.

Dass die Eröffnungsfeier in voller Länge, eine Zusammenfassung mit Ausschnitten daraus und die »Kompakt«-Nachrichten zu den erfolgreichsten Abrufvideos der Olympischen Spiele gehören, war keine Überraschung. Die Frage, ob und wie ein Livestreaming mit bis zu sechs parallelen Übertragungen von Wettbewerben der Londoner Spiele realisiert werden kann, versprach da schon mehr Spannung. Grundlage war ein gemeinsamer Beschluss von ARD und ZDF, die Liveübertragungen neben dem Hauptprogramm nicht mehr in den Digitalkanälen, sondern über Internet-Ausspielwege zu den Zuschauern zu bringen. Der Markt hält dazu inzwischen weitgehend konfektionierte Lösungen bereit, die beeindruckende Möglichkeiten versprechen, aber auch ebensolche finanzielle Mittel erfordern und am Ende Insellösungen darstellen, die nur bei den Olympischen Spielen hätten eingesetzt werden können.

Am Ende gab es neben dem Plan, die Kosten und den Personaleinsatz gegenüber den Spielen von Peking 2008 zu reduzieren, einen weiteren guten Grund, das Projekt zu einem großen Teil im ZDF zu realisieren. Die damit verbundene Weiterentwicklung des Online-Innovationsmotors ZDFmediathek und die mögliche Nutzung für weitere sportliche Großereignisse wie die Champions League und darüber hinaus auch für Formate außerhalb des Sports.

Auch für das Streamingprojekt wurde eine enge Zusammenarbeit mit der ARD angestrebt, wie sie bei der Kommentierung der zusätzlichen Liveübertragungen mit »Auswärtsspielen« der Reporter in den Digitalkanälen schon Tradition hatte. Damit diese Zusammenarbeit für beide Seiten mit möglichst geringem Aufwand verbunden bleiben konnte, musste es ein gemeinsames Redaktionssystem geben. Es musste auf der einen Seite eine einheitliche, übersichtliche Planung der Reportereinsätze erlauben, auf der anderen Seite die Ergebnisse dieser Sendeplanungen an die Systeme von ARD und ZDF weitergeben, wo sie in den jeweiligen elektronischen Programmführern unterschiedlich dargestellt werden sollten.

Das Projektteam aus der Hauptredaktion Neue Medien um Eckart Köberich und Alexander Pfeiffer realisierte das ECMS (Event Content Management System) als Weiterentwicklung eines Tools, das bereits für die Aufbereitung der interaktiven »heute-journal plus«-Ausgaben genutzt wird. Ein zentrales neues Element war ein EPG (Elektronischer Programm-Guide) in der ZDFmediathek, der die Nutzer durch das Liveprogramm führte und den notwendigen Orientierungspunkt darstellte, da Anfang und Ende der Übertragungen von Wettbewerben nicht in herkömmlichen Mustern linearer Programme beschrieben werden können.

Für die einzelnen Streams selbst gab es dann eine ganze Reihe von technischen Neuerungen und Features. So wurde kurz vor den Olympischen Spielen das so genannte adaptive Streaming eingeführt – eine Technik, die die Qualität des laufenden Signals an die Bandbreite beziehungsweise die aktuellen Netzwerkbedingungen beim Empfänger anpasst. Weitere neue Option: die Pausentaste inklusive Rücksprungfunktion. Die Zuschauer konnten den Stream nicht nur anhalten und zu einem späteren Zeitpunkt weiterschauen. Wer zu spät einschaltete, konnte bis zu 60 Minuten auf der Zeitachse einer Übertragung zurückspringen. Das Livestreaming wurde auch für mobile Plattformen im Rahmen der ZDFmediathek umgesetzt und war so mit Geräten wie Tablet-Computern und Smartphones erreichbar.

Die Zuschauer konnten beim Betrachten der einzelnen Streams noch weitere Features nutzen. So gab es etwa die Möglichkeit, redaktionelle Nachrichten oder Sportdaten mit Ergebnissen oder Startlisten zu den jeweiligen Wettbewerben einzublenden, zugeordnete Abrufvideos mit Hintergrundbeiträgen anzusteuern oder über eine einfache Übersicht in andere laufende Liveübertragungen springen zu können. Die Nachrichten, mit denen zum Beispiel der Beginn von Übertragungen auf einem anderen Kanal angekündigt wurde, konnte, wie der Ticker, der die Übertragungen mit kurzen Textmeldungen begleitete, individuell angepasst werden.

Die Nutzer hatten die Möglichkeit, die Sportarten vorauszuwählen, zu denen sie entsprechende Informationen bekommen wollten. Die entscheidende Phase in der Umsetzung dieses Onlineprojekts lief parallel zum Relaunch der gesamten Onlineangebote des ZDF, in den viele am Projekt beteiligte Kollegen ebenfalls eingebunden waren – eine besondere Herausforderung an das Arbeitspensum der beteiligten Abteilungen. Beeindruckend war dann die Punktlandung, mit der dieser Abschnitt des Projekts abgeschlossen und das System zur Befüllung an die Sportredaktion übergeben werden konnte.

Der Leiter des Livestreamingprojekts in der Hauptredaktion Sport, Daniel Wever, übernahm gemeinsam mit einer Kollegin des NDR die Planung der Übertragungen im Vorfeld der Spiele und während der Sendetage sowie die Disposition der Reporter. Während für die lineare Darstellung in den Digitalprogrammen einst noch komplexe Regien erforderlich waren, wurden in London die Streams nur noch von zwei Tontechnikern im Schichtbetrieb und jeweils einem Senderedakteur betreut. Die so entstandenen Signale wurden nach Deutschland übertragen und in Hamburg beziehungsweise in Mainz in die jeweiligen Onlineformate der Mediatheken umgewandelt. Gesendet wurden die Livestreams gleichzeitig in den Onlineangeboten von ARD und ZDF, unabhängig von der Anstalt, die am jeweiligen Sendetag das olympische Hauptprogramm gestaltete.

An ZDF-Hauptprogramm-Sendetagen waren die ARD-Fachreporter für die Livestreams im Einsatz, an ARD-Tagen entsprechend die ZDF-Reporter. Auf diese Weise konnten die deutschen Zuschauer mehr als 1 000 Stunden Olympia zusätzlich zum Hauptprogramm sehen, mehr als 75 Prozent kommentiert von ARD- und ZDF-Kollegen. Die im Vorfeld der Spiele angekündigten Prognosen von 900 Stunden – und davon zwei Drittel kommentierten Streams – konnten noch gesteigert werden. Lange Sendestrecken von Sportarten wie Bogenschießen oder Synchronschwimmen wurden auf diesem Weg angeboten. Das Ziel, die olympische Vielfalt darzustellen und sie gleichzeitig journalistisch zu begleiten, wurde erreicht. Der Zuspruch der Nutzer übertraf dabei selbst hohe Erwartungen und ergab neue Rekordwerte in der Zuschauerakzeptanz der ZDFmediathek. Neben der erfreulichen Zuschauerakzeptanz gab es ein sehr positives Medienecho und begeisterten Zuspruch von Kollegen, die erwarten lassen, dass das Projekt kein Einzelfall bleibt. Die neuen Features gehören inzwischen zum Standardrepertoire bei wichtigen Sportübertragungen, und Freunde der olympischen Vielfalt dürfen sich auf die Curling-Wettbewerbe bei den nächsten Winterspielen in Sotschi im Februar 2014 freuen.

Andreas Heck
Der EPG mit dem Olympia-Livestream-Programm in der ZDFmediathek
Die zuschaltbaren interaktiven Features zum laufenden Bild
Das ECMS: Redaktionssystem für die Planung und Darstellung der Olympia-Streams