Alexander Coridaß, Geschäftsführer der ZDF Enterprises GmbH
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Tendenzen im internationalen Koproduktionsgeschäft

Auch auf dem Medienmarkt zeigen sich Weiterentwicklungen nicht in abrupten Paradigmenwechseln, sondern in sich über einen gewissen Zeitraum hinziehenden Anpassungen, die dann zu einem bestimmten Moment so manifest sind, dass sie geradezu überraschend wirken können. Eigentlich dürfte man gerade nicht überrascht sein, weil es für diese Veränderungen schon frühzeitig Anzeichen gab, aber die neue Realität ist zuweilen doch gewöhnungs- und erklärungsbedürftig. So sollen im Folgenden einige aktuelle Entwicklungen im Koproduktionsgeschäft geschildert und analysiert werden.

Wenn wir im Bereich TV-Movie und fiktionale Serie von internationalen Koproduktionen sprechen, dann meinten wir bisher meist Projekte, die typischerweise von einem Sender entwickelt wurden und wie wir sie von früher (mit unterschiedlichem Erfolg) aus Italien, Frankreich, Großbritannien und manchmal auch Deutschland, in jüngerer Zeit häufig aus Skandinavien (mit überwiegend gutem Erfolg) kennen. Diese Projekte hatten in der Regel folgende Voraussetzungen oder Charakteristika:

Im Wesentlichen haben auch innerhalb des ZDF-Verbunds Koproduktionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach diesem Muster funktioniert. Eine Beteiligung an solcherart konzipierten Programmen kann und soll man sich durchaus auch für die Zukunft vornehmen, denn solche Projekte wird es – gerade aus Skandinavien und Großbritannien und selbstverständlich aus Deutschland – auch weiter geben, und sie ermöglichen durchaus nach wie vor programmliche sowie wirtschaftliche Erfolge.

Neben dem vorbeschriebenen Modell hat sich allerdings auf dem internationalen Markt ein anderes, neues herausgebildet:

ZDF Enterprises wird sich intensiv mit dieser zuletzt geschilderten Entwicklung befassen und prüfen, ob und wo wir in diesem Umfeld eine Rolle spielen wollen. Potenziell sehen wir hier eher einen Zuwachs an Chancen für neue Partnerschaften und Geschäftsmodelle. Zwar erhöht die Rolle als Mitinitiator und Mitentwickler eines Stoffs sowohl die Vorkosten als gegebenenfalls auch die Investitionen in Verwertungsrechte, aber sie erlaubt es auch, inhaltlich Einfluss zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass das Programm auf internationale Bedürfnisse ausgerichtet wird. Die Themenbreite ist dabei außerordentlich groß: von modernen Krimi- und Thriller-Reihen über Dramen und Romantic Comedy sowie Kinder- und Teenager-Serien bis hin zu Abenteuer- und Fantasyreihen oder zu historischen Stoffen. Letztere werden übrigens mittlerweile stark von Sendern nachgefragt, die früher entsprechende Geschichts- und Kulturdokumentationen programmiert hatten.

Das aus Vermarktungssicht interessanteste und zugleich aussichtsreichste neue Phänomen ist der Programmhunger von neuen, aber auch etablierten TV-Kanälen sowie der zahlreichen VoD-Plattformen in den USA und in allen reifen Märkten. Sehr interessante potenzielle Abnehmer sehen wir in angelsächsischen Märkten, zumal diese, beflügelt durch den Erfolg etwa der von ZDF Enterprises vertriebenen skandinavischen Serien, zum Teil sogar bereit sind, nicht-englischsprachige Inhalte in untertitelter Fassung anzubieten (VoD-Plattformen) und/oder – und das gilt selbst für Amerika – englischsprachige Programme aus anderen Ländern zu akzeptieren – eine noch vor Kurzem praktisch undenkbare Vorstellung. Die Zuschauer werden dabei in den USA sicher nicht die der großen Marktanteile im Network-TV sein, aber interessierte Neugierige, die etwas vom Mainstream Abweichendes und gleichzeitig Hochqualitatives, Innovatives und Überraschendes sehen wollen. In Europa sehen wir Sendeplätze auch bei größeren Free-TV-Sendern. Es zeichnet sich ab, dass es international genug Abnehmer gibt, deren Summe – selbst, wenn es letztlich eine von Nischenpublika werden sollte – die Finanzierung von auf diese Zielgruppen hin konzipierten Programmen erlaubt.

Dabei sehen sich die Plattformen und Kanäle nicht nur als Abnehmer, sondern auch als Ideengeber und Entwickler. Selbst Onlineportale und andere Internetplayer lassen Programme mit Millionen-Budgets herstellen, die für eine Erstausstrahlung im Netz gedacht sind. Beispiele hierfür sind die vielbeachtete Produktion »Cybergeddon«, deren Herstellung etwa fünf Millionen US-Dollar gekostet hat (und für die ZDF Enterprises die TV-Verwertung übernommen hat), und die jüngsten Koproduktionen des Videoanbieters Hulu.

Und ein letzter Punkt macht die neuen Möglichkeiten so spannend: Die USA, Großbritannien, Skandinavien und andere sind an den neuen Möglichkeiten interessiert, das heißt, Autoren, Regisseure, Produzenten, Show-Runner und andere, die bisher für Spielfilm und für Network-Serien gearbeitet haben, sind bereit, sich auf die Möglichkeiten und Qualitätsversprechen derartiger Projekte mit ihren kreativen und inhaltlichen Freiheiten (freilich auch ihren wirtschaftlichen und organisatorischen Risiken) einzulassen – und einen Teil der Risiken auch mitzutragen.

ZDF Enterprises hat erste Schritte in Richtung dieser neuen Koproduktions­möglichkeiten unternommen, und sicherlich wird es zahlreiche Projekte geben, die auch für die Sender des ZDF hochattraktiv sein werden. Mit unserem einzigartigen Netzwerk, unserer internationalen Koproduktionserfahrung und unserem Vermarktungs-Knowhow sind wir zuversichtlich, hier für uns ebenso wie für unsere nationalen und internationalen Partner und Kunden neuartige Programmerfolge erzielen zu können.

Alexander Coridaß