Kamran Safiarian, Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft/Redaktion Kirche und Leben katholisch
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Wie sehr sich das muslimische Leben in Deutschland weiterentwickelt hat, lässt sich an der Entwicklung des »Forum am Freitag« ablesen. 2007 war das Thema der Erstsendung der islamische Religionsunterricht, zu Gast bei Moderator Kamran Safiarian war die Religionspädagogin Lamya Kaddor. Fünf Jahre später, im Juli 2012, hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland bekenntnisorientierten Islamunterricht eingeführt.

Vieles ist seit Beginn des »Forums« in Bezug auf den Islam in Deutschland erreicht worden. Seit Jahrzehnten hatten Muslime und Islamverbände für den islamischen Religionsunterricht gekämpft. Ein Hauptziel der religiösen Bildung in deutscher Sprache ist es, den Islam aus den Koranschulen und Hinterhofmoscheen herauszuholen und die Schüler gegen fundamentalistische Einflüsse zu immunisieren. Der islamische Religionsunterricht soll deutschlandweit verankert werden. Wenn dabei auch ein »modern gelebter Islam« und eine bessere Integration herauskommt, umso besser. Künftig sollen auch Imame in Deutschland ausgebildet werden statt wie bisher in der Türkei. Vier Lehrstühle für islamische Theologie gibt es bereits an deutschen Hochschulen. Das kann sich sehen lassen.

Während die Politik noch darüber diskutiert, ob der Islam zu Deutschland gehört, zeigen der islamische Religionsunterricht und die Imamausbildung jenseits aller Symbolik, dass der Islam längst in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen ist. Wie auch das »Forum am Freitag«. Seit fünf Jahren gibt es die Sendung im ZDF. Jeden Freitagmorgen in ZDFinfo und im Internet unter forumamfreitag.zdf.de ist die Sendung zu sehen.

Was hat sich in den vergangen fünf Jahren in Bezug auf die Wahrnehmung der Muslime in Deutschland verändert? Hat sich die Integration der Muslime weiterentwickelt oder tritt sie auf der Stelle? Auch hier spiegelt das »Forum am Freitag« das facettenreiche Bild des Islam in Deutschland. Das unsägliche Mohammed-Video, die Beschneidungsdebatte, die umstrittene Plakataktion oder die Sarrazin-Debatte sind Indikatoren für die Herausforderung an unsere Gesellschaft, die Integration von Muslimen in Deutschland weiter voranzutreiben. Deutschland hat sich zum Glück noch nicht abgeschafft, über Thilo Sarrazins Buch1 redet kaum noch jemand. Dennoch stimmen 70 Prozent der Menschen diesen Thesen zu. Diese schleichende Islamfeindlichkeit in der Bevölkerung sollte man ernst nehmen. Repräsentative Umfragen zeigen, dass es in Deutschland ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber dem Islam gibt. Der Islam wird offenbar von vielen Menschen mit Fundamentalismus, Gewaltneigung und der Unterdrückung der Frau in Verbindung gebracht. Jüngste Untersuchungen des Instituts für Demoskopie in Allensbach über die Vorstellungen innerhalb der deutschen Bevölkerung zum Islam kommen zu folgendem Ergebnis: Knapp 80 Prozent der Deutschen verbinden mit dem Islam Fanatismus, und gar 91 Prozent sagen aus, dass sie beim Stichwort Islam an die Benachteiligung von Frauen denken. Rund 60 Prozent sind der Meinung, Islam und Demokratie vertragen sich nicht. Das Misstrauen und die Ablehnung wachsen also nicht nur gegen extremistische und terroristische Muslime, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen, sondern auch gegenüber den muslimischen Minderheiten im Westen. Während die Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen mit der Höhe des Bildungsgrades abnimmt, zieht sich die Abneigung gegen den Islam durch alle Schichten. Hier sieht sich das »Forum« gefordert, aufzuklären und den Alltag der Muslime fernab von Stigmatisierung und Vorurteilen abzubilden. Objektiv und kritisch, nicht als Verkündigungssendung, sondern als journalistisches Format. Der Weg ist dabei für die Moderatoren der Sendung, Kamran Safiarian und Abdul-Ahmad Rashid, das Ziel. Als muslimische Journalisten sind sie mit den Themen Integration und Islam besonders vertraut und haben anhand von Interviews und Filmbeiträgen mit über 250 Sendungen das »Forum am Freitag« zu einer Art Enzyklopädie des muslimischen Lebens in Deutschland entwickelt: von der Islamkonferenz bis zur Sufi-Mystik, von den Salafisten bis zur Sarrazin-Debatte, von der Moschee bis zum Minirock. Islam, Integrationspolitik, Kultur und muslimischer Lifestyle – es gib keine Stimme der Muslime in Deutschland, die nicht im »Forum« vertreten wäre. Wie schwer der Dialog mit den Muslimen trotzdem bleibt, zeigt das Beispiel der Deutschen Islamkonferenz. Sie sollte den Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen vertiefen. Als der damalige Bundesinnenminister Schäuble die Muslimvertreter 2006 erstmals zur Konferenz lud, waren die Hoffnungen groß. Inzwischen herrscht Irritation und Entfremdung. Statt Dialog auf Augenhöhe hat sich die DIK unter Innenminister Friedrich zu einer »Sicherheitspartnerschaft« entwickelt. Ein falsches Signal in Richtung vieler Islamverbände. Mit der umstrittenen Plakataktion2 fand diese Entwicklung einen unrühmlichen Höhepunkt. Die Folge: Zwei der vier großen Muslimverbände sind bei der Islamkonferenz nicht mehr dabei – der Islamrat suspendiert, der Zentralrat der Muslime frustriert abgesprungen. Dennoch gibt es eigentlich Grund zu feiern. 50 Jahre ist es nun her, dass Deutschland ein »Anwerbeabkommen« mit der Türkei schloss. Im Wirtschaftswunderland fehlten Arbeitskräfte, der Bau der Mauer stoppte den Fachkräftezustrom aus dem Osten und die Türkei pochte darauf, ihr Handelsbilanzdefizit gegenüber der Bundesrepublik auszugleichen. So kamen Tausende, die zwei oder drei Jahre arbeiten und dann wieder nach Hause gehen sollten. Doch es kam anders: Sie blieben. Inzwischen leben in Deutschland knapp drei Millionen Menschen, die ihre Wurzeln in der Türkei haben; etwa die Hälfte hat bereits die deutsche Staatsangehörigkeit. Nicht für alle, aber für viele von ihnen ist das »Forum am Freitag« eine wichtige Plattform.

»Seit fünf Jahren zeigt das ›Forum am Freitag‹ das muslimische Leben in seiner beeindruckenden Vielfalt, aber auch in seiner Widersprüchlichkeit. Aufgabe des ZDF ist es, die gesellschaftlichen Debatten um Integration und die Stellung des Islam auch journalistisch zu führen. Das ›Forum am Freitag‹ ist dafür ein wichtiger Ort«, so ZDF-Intendant Thomas Bellut. »Das Forum versteht sich zugleich als die Wissensplattform für Muslime und Nichtmuslime. Denn Verstehen und gegenseitiger Respekt brauchen vor allem eines: Wissen. Deswegen ist das ›Forum am Freitag‹ so wichtig wie bei seinem Start. Auch nach fünf Jahren ist dieser Ort der verlässlichen Information und Diskussion ein einmaliges Angebot in der deutschen Medienlandschaft.« Seit dem Start 2007 hat sich das Interesse an muslimischen Themen auch zahlenmäßig niedergeschlagen. So hat sich die Nutzung der Beiträge im Lauf der fünf Jahre mehr als verdoppelt. Etwa 100 000 Internetklicks im Monat zeigen das wachsende Interesse an den Themen des »Forums«.

Heute wird viel über mangelnde Integration oder fehlerhafte Assimilation geredet, aber zu wenig über den Reichtum, die Schätze und Erfahrungen, die Deutschland durch den Zuzug der Migranten gewonnen hat – und gewinnt. Damit sind nicht nur die Dönerbuden an der nächsten Ecke gemeint. Wir sollten nicht mehr von »uns« und »denen« sprechen – »wir« sollten die Gesellschaft miteinander gestalten.

  1. Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. München 2010
  2. Anfang Mai 2012 war es in Bonn zu schweren Ausschreitungen gekommen, als mehrere Hundert Salafisten auf deutlich weniger Anhänger der rechts gerichteten Bewegung Pro NRW losgingen, die mit Mohammed-Karikaturen demonstrierten. Zwei Polizisten wurden durch Messerstiche schwer verletzt
Kamran Safiarian
Die ersten »Gastarbeiter« kommen
Lamya Kaddor gibt islamischen Religionsunterricht
Die Moderatoren Kamran Safiarian und Abdul-Ahmad Rashid