Markus Schächter, Intendant des ZDF
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Der digitale Imperativ
Zehn Jahre unterwegs mit dem ZDF

Am 15. März 1962 trat Karl Holzamer sein Amt als erster Intendant des ZDF an. Genau 50 Jahre später endet meine eigene, zehnjährige Amtszeit. Bei meinem Amtsantritt wagte ich die Prophezeiung, dass sich in den nächsten zehn Jahren mehr verändern würde als in 40 Jahren zuvor. Die riskante Prognose war eher noch untertrieben. In einer geradezu galoppierenden Medienrevolution hat sich zwar nicht alles geändert, aber doch sehr vieles. Es scheint geraten, nach zehn Jahren eine Bilanz zu ziehen: Was ist Neues gekommen? Was wird davon bleiben? Und was muss vom alten Kern auch künftig erhalten bleiben?

Unstrittig ist: Bei aller Veränderung darf das Kerngeschäft nicht verloren, sondern muss gewonnen haben. Anders gesagt: Wir müssen mit unserem öffentlich-rechtlichen Kernauftrag für die Gesellschaft, und zwar für die gesamte Gesellschaft, näher bei den Menschen sein als vorher. Stellen wir uns also die letzten zehn Jahre einmal wie einen Film vor und legen das erste und das letzte Bild wie zwei Standbilder übereinander, so springen teilweise gravierende Veränderungen ins Auge: architektonisch im Sendezentrum, strukturell im Innern des Hauses und nutzungstechnisch am Bildschirm.

Was sehen wir?
Bleiben wir zunächst einmal äußerlich: Wer das Sendezentrum in Mainz besucht, sieht seit Sommer 2009 unser neues Nachrichtenstudio. Es mag für Insider freilich schon nichts Neues mehr sein. Doch die architektonisch augenfälligste Investition des letzten Jahrzehnts kann auch symbolisch gesehen werden: Sie steht für den Informationsschwerpunkt des Senders als Kernkompetenz seines öffentlich-rechtlichen Programm- und Gesellschaftsauftrags. Kein Sender in Europa bringt in seinem Hauptprogramm so viel Information wie das ZDF. Ihr gelten fast 50 Prozent, also quasi jede zweite Sendung. Daneben steht das neue Studio N mit seiner zukunftsweisenden Ausrüstung auch für die Ausrichtung des Hauses an der neuen Technologie des digitalen Zeitalters. Und man kann noch einen Schritt weiter gehen: Das ZDF ist nicht nur in der digitalen Welt angekommen, es ist als eine Art Innovationsmotor dorthin auch maßgeblich vorangegangen. Obwohl aus verschiedenen Richtungen schon die Totenglocken hörbar waren, haben wir als Vorreiter die erforderlichen technologischen Sprünge nicht nur mitgemacht, sondern einige auch mit vorbereitet. Die ZDFmediathek ist bis heute nicht nur die beste Einrichtung ihrer Art, sondern wurde als erstes Angebot auf dem Markt auch zum Namensgeber und Vorbild für alle nachfolgenden Varianten des Abruffernsehens.

Die programmliche Grundlage unserer Digitalstrategie war: Wie versorgen wir bei der Verschmelzung von Schirm und Netz eine multimedial fragmentierte Mediengesellschaft mit der notwendigen Vielfalt an Qualitätspublizistik? Daraus abgeleitet, hieß der operative Grundgedanke: Inhalte ein Mal produzieren, um sie dann auf unterschiedlichen Verbreitungswegen und Endgeräten möglichst allen Ziel-, Alters- und Nutzergruppen zugänglich zu machen. Das Ziel: Fernsehen in allen Varianten, wann und wo und wie man will, live und zeitversetzt, stationär und mobil, klassisch getrennt oder multimedial hybrid, natürlich auch interaktiv, und bei alledem in bester Qualität, technisch wie inhaltlich. Das Motto: Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Kurz: Netz oder Nichts. Wir haben uns als Net-worker für das Netz entschieden, für die Zukunft auf der Höhe der Zeit. Und wir mussten uns entscheiden, nicht um zu expandieren, sondern um unser Haus zukunftsfähiger und -sicherer zu machen, indem wir die Umsetzung unseres Auftrags ebenso zeitgemäß wie sinnvoll weiterentwickeln.

Im Zuge der Umbrüche kann niemand leugnen: Die Entwicklung des Mediums Fernsehen ist bis heute – und heute mehr denn je – technologiegetrieben. Und sie gewinnt für jedermann sichtbare, spürbare Strukturen und Konturen, spätestens wenn Ende April 2012 beim analogen Switch-Off das Digitalzeitalter auch in der letzten Hinterstube eingeläutet wird. Was dabei für den einzelnen Zuschauer nur eine kleinere Umrüstung erfordert, bedeutet für einen Sender wie das ZDF eine komplette Umwandlung. Wir hatten den langjährigen Transformationprozess kurz: »Trafo 2012« genannt. Er trägt der Veränderung einer von Grund auf umgepflügten Medienlandschaft Rechnung.

Wo stehen wir?
Nicht alle Spuren des Umbruchs sind auch nach außen hin sichtbar. Das Haus musste sich zunächst im Innern neu aufstellen und organisatorisch »zurechtruckeln«: Aus der vormals klassischen Fernsehanstalt ist ein modernes, multimediales Programmunternehmen geworden:

Das einschneidende historische Faktum und Novum nach 50 Jahren lautet zunächst: Das ZDF hat die elektronische, quasi Babylonische Gefangenschaft eines Ein-Kanal-Senders verlassen und sich damit für die multimediale Zukunft erfolgversprechend positioniert. Mit seinen drei neuen Digitalkanälen ZDFneo, ZDFinfo und ZDFkultur ist eine in sich komplementäre Programmfamilie entstanden, zielgruppengenau arrondiert um das Hauptprogramm:

ZDFneo als attraktive, mutige, bunte, kantige Programmalternative für jüngere Zuschauer und damit als Innovationsmotor für die gesamte Senderfamilie;

ZDFinfo als zeitgemäßer Infokanal, als Innovationsfläche für neue Informationsformate, als Vorreiter in Sachen Interaktivität und Crossmedialität, als Fernsehen zum Mitreden;

und ZDFkultur als jugendliches, spielerisches, auch zugespitztes Kulturprogramm in der facettenreichen Bandbreite unserer Zeit.

Durch die kreative Formatentwicklung, die harte Profil- und Qualitätsarbeit und den erwarteten Ideentransfer in das Hauptprogramm haben wir mit unseren drei digitalen Talenthäusern die große Möglichkeit, unsere Zukunftsfähigkeit selbstgestaltend neu zu definieren.

Hinzu kommen die Onlinedienste als programmbegleitende Mehrwertangebote im Netz: zdf.de und zdf.heute.de sind medienpolitisch durch die Drei-Stufen-Tests legitimiert, publizistisch leider im Beihilfeverfahren ausgebremst, aber technisch ausgebaut, sprich: videodominiert, wie es einem Bildmedium entspricht.

Entsprechend hat das ZDF als erstes TV-Unternehmen in Deutschland seine Mediathek aufgebaut. Sie ist inzwischen ergänzt durch eine Mediathek-App für Smartphones, Tablet-PCs und andere mobile Geräte, ist also jederzeit an jedem Ort von jedermann bequem abrufbar, allerdings in der Regel nur sieben Tage pro Sendung.

Zu den technischen Umrüstungen und damit verbundenen Investitionen gehören nicht zuletzt die Erneuerung des Übertragungszentrums, die digitale Sendeabwicklung, die Vorbereitung des analogen Switch-Off sowie die Ausstrahlung aller ZDF-Programme in HD-Qualität mit gestochen scharfen Bildern.

Was war der Weg?
Was bei allen Neuerungen von den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Systems als angebliche Gebührenverschwendung angemahnt wurde, war weitgehend durch Synergien aufgefangen und durch interne Mittelumschichtungen erwirtschaftet. Es ist das Ergebnis einer konsequenten Umstrukturierung nach einem konzeptionellen Masterplan:

Danach betraf »Trafo 2012« zunächst eine Straffung und Optimierung der inneren Strukturen: ein Aufbrechen der traditionellen Redaktionshierarchien, ein Aufbauen neuer Koordinierungsstrukturen und damit ein Schaffen von Synergien und crossmedialen Arbeitsabläufen in möglichst reibungslosen Workflows über die jeweiligen Schnittstellen hinweg.

Redaktionell betraf »Trafo 2012« ein entsprechendes Content-Management, eine umfassende Rundum-Planung, eine 360-Grad-Strategie: ein Inhalt, ein Stoff, quasi ein Urstoff, als Ausgangsmaterial für alle jeweils in Frage kommenden Umsetzungen auf den verschiedenen Verteilwegen und Plattformen.

Zur Rundum-Ausrichtung gehören kommunikationstechnisch auch die boomenden Sozialen Netzwerke wie Facebook: Wo in einem veränderten Nutzerverhalten, vor allem bei der Generation der »Digital Natives«, crossmediale Interaktivität wie selbstverständlich praktiziert wird, gibt es keinen passiven Zuschauer mehr. Und je mehr sich dabei »Social Media« mit seiner individuellen Meinungsflut ausufernd breitmacht und eine bisher nicht mögliche Form von »Basisdemokratie« entwickelt, desto mehr ist das klassische Fernsehen als soziales Kommunikationsmittel im Sinne eines gesamtgesellschaftlich ausgerichteten Programm- und Diskussionsangebots gefordert.

Auf betriebswirtschaftlicher Ebene betraf »Trafo 2012« eine Systematisierung des Controllings in den einzelnen Bereichen wie auch im Ganzen als Bündelung und Förderung all unserer »Maßnahmen zur Aufwandsminderung und Effektivitätssteigerung«. Mit deren frühzeitiger Einführung wurde der Schuldenberg aus dem Jahr 2002 abgebaut und das Haus wirtschaftlich konsolidiert. Seit 2005 ist das ZDF wieder schuldenfrei und damit auch unabhängig gegenüber denen, die es journalistisch zu begleiten hat. So wurde auch auf diesem Feld der Weg zu einem modernen, kostentransparenten und marktorientierten Programmunternehmen konsequent durchgehalten.

Die solide Finanzarchitektur soll das Haus weiterhin stabil tragen: Der Haushaltsplan 2012 ist darauf ausgerichtet, dass das ZDF auch das letzte finanzielle Etappenziel der aktuellen Gebührenperiode mit einem ausgeglichenen Ergebnis abschließt. Das finanzstrategische Ziel ist realistisch dank eines frühzeitig eingeschlagenen Kurses einer ebenso sparsamen wie umsichtigen Finanzpolitik, trotz gewisser Rückschläge, trotz hoher, weiterer Sparauflagen durch die KEF, trotz eines schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds.

Eine gewisse wirtschaftliche Unwägbarkeit bedeutet das neue, alternativlose Beitragsmodell zur künftigen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab dem Jahr 2013: Angesichts der Vielfalt neuer multifunktionaler Endgeräte ist das neue Beitragssystem für Wohnungen und Betriebsstätten, im Gegensatz zum bisherigen gerätebezogenen Gebührensystem, einfacher, effektiver und auch gerechter. Es trägt nicht nur dem technologischen Fortschritt Rechnung, sondern entspricht auch der vom Bundesverfassungsgericht immer wieder – zuletzt im Karlsruher Rundfunkgebührenurteil von 2007 – betonten Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Daraus ziehen wir eine nachhaltige Rechtssicherheit und auch Zukunftsfähigkeit.

Rechtssicherheit hatten wir medienpolitisch auch 2009 durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag erhalten. Dort ist der Beihilfe-Kompromiss mit der EU-Kommission, an dem das ZDF aktiv mitgewirkt hat, in nationales Recht umgesetzt. Danach sind die Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Sender formal begrenzt: finanziell, zeitlich, inhaltlich und strukturell. »Strukturell« heißt genehmigungstechnisch und meint den Drei-Stufen-Test bei neuen und wesentlich veränderten Telemedienangeboten. Durch die Beauftragung mit den Testverfahren ist die Gremienkompetenz des Fernsehrats deutlich gestärkt. Trotz entsprechender Einschränkungen hat das ZDF dabei für seinen mitentscheidenden Internetauftritt auch eine juristische Planungssicherheit gewonnen.

Dass sich die Printmedien von den öffentlichrechtlichen Telemedienangeboten strategisch bedroht sahen, war über die Jahre hin ein unbegründeter Streit auf dem falschen Felde. Die marktlichen »Bedrohungen« durch gebührenfinanzierte Angebote sind nach Expertenmeinung praktisch vernachlässigbar. Mit vernünftigem Blick auf eine gemeinsame publizistische und gesellschaftspolitische Aufgabe wäre daher eine Kooperation mit den Verlegern sinnvoller als eine ins Leere schießende Konfrontation. Wir brauchen eine Allianz der Qualitätsmedien im Internet. Und dazu braucht es den öffentlich- rechtlichen Rundfunk in seiner ganzen Bandbreite und Vielfalt, nicht als Lückenbüßer für die Defizite des Marktes, nicht im Sinne einer komplementären Aufgabenteilung, auch nicht im Sinne einer Mindestversorgung, sondern nach wie vor im Sinne einer Grundversorgung als publizistisches Fundament unserer Medienkultur.

Dass solche klassischen Termini keine öffentlich-rechtliche Folklore sind, dafür sorgen unsere Selbstverpflichtungserklärungen: In Umsetzung des 7. Rundfunkänderungsstaatsvertrags von 2004 werden sie turnusgemäß alle zwei Jahre abgegeben. Seither werden auf diesem Wege unsere Programmperspektiven in ständigem Meinungsaustausch und Diskussionsprozess mit dem Fernsehrat – der auch hier gestärkt ist – transparent diskutiert und zielführend entwickelt.

Was ist das Ziel?
Alle technologischen, juristischen, logistischen, strukturellen, strategischen und organisatorischen Veränderungen können nur das eine Ziel und den einen Sinn haben: die Optimierung des Programms als unsere »Raison d’Être«, als Grundlage unserer öffentlich-rechtlichen Existenz. Der Programminhalt ist quasi der Lackmustest, ob wir die digitale Revolution für unser Haus und vor allem für die Gesellschaft sinnvoll gestalten. Denn alle technischen, auch optischen Änderungen in der Sende- und Empfangsqualität sind nichts wert, wenn sie nicht der primären inhaltlichen, sprich: publizistischen Programmqualität dienen. Erst dann können wir auch wirklich von Programmerfolg sprechen. Er steht nach wie vor unter dem unverbrüchlichen Diktum: »Quote durch Qualität«. Er bedeutet also nicht nur, den Platz auf dem Podium der Marktführer weiter zu halten, sondern gleichzeitig auch, das öffentlich-rechtliche Qualitätsprofil verlässlich zu wahren.

Mit diesem Anspruch ist das grundsätzliche Bekenntnis verbunden, die Medienlandschaft unverrückbar als ein primär publizistisches Terrain zu verstehen, zu bedienen, zu gestalten und möglichst auch zu bereichern. Entsprechend haben ARD und ZDF Anfang 2011, gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der Medienbranche, die Deutsche Content Allianz als Interessengemeinschaft der Medien in der digitalen Welt gegründet. Ziel des Bündnisses ist es, in Politik und Öffentlichkeit den Wert medialer Inhalte wieder stärker ins Bewusstsein zu heben, sprich: die substanziellen, gesellschaftsprägenden Interessen der Branche gemeinsam gegenüber der Medienpolitik zu artikulieren. Unser Nachdruck gilt dabei besonders dem aktiven Schutz der Netzneutralität durch den Gesetzgeber: Die Mediengesellschaft als funktionsfähige Informationsgesellschaft hätte keine Zukunft, wenn allein die kommerziellen Interessen der Infrastrukturbetreiber und Internetunternehmen darüber entscheiden, wer mit seinen Angeboten wie schnell im Netz vorwärtskommt. So müssen wir, jenseits aller Rivalität zwischen elektronischen Medien und Printmedien, im medialen Schulterschluss die Rahmenbedingungen für einen zukunftsfähigen, werteorientierten Qualitätsjournalismus bestimmen und sichern. Staatstragend gesprochen, aber im Wortsinn gemeint: Die inhaltliche Qualität der »Meinungsmacher« in unserem Land ist systemrelevant für das Funktionieren des gesellschaftlichen Zusammenhalts und damit letztlich für den Erhalt unserer Demokratie.

Was ist unsere Spur?
Der eigene Beitrag des ZDF zu diesem Qualitätsangebot steht unter dem programmlichen Motto: Vielfalt mit Schwerpunkt Information. Entsprechend bietet das ZDF als meinungsstarke Stimme des Qualitätsjournalismus nach wie vor den höchsten Informationsanteil aller deutschen Vollprogramme. Wer, wenn nicht wir, muss die Standards mit definieren, was im deutschen Fernsehen sehenswert und meinungsbildend, interessant und relevant ist? Insbesondere mit unserem Flaggschiff des »heute-journals«, eskortiert von den übrigen Mitgliedern unserer »heute«-Familie, gehören wir zu den wichtigsten Nachrichtenvermittlern im Land.

Daneben steht die Vielfalt zahlreicher anderer Programm-Marken: Mit »Berlin direkt« verfügt der Sender über das meistnachgefragte Hauptstadtpolitik-Magazin; mit »maybrit illner« über die profilierteste politische Talkshow; mit »37°« über die nachhaltigste Gesellschaftsreportage; mit »Terra X« über die erfolgreichste Dokumentationsreihe; mit »Aktenzeichen XY … ungelöst« über die älteste und glaubwürdigste Factual-Entertainment- Sendung des Hauptabends; mit der »heute-show« oder »Neues aus der Anstalt« setzen wir wichtige Akzente auf dem Feld der Politsatire; mit dem Montagsfilm sind wir die erste Adresse im fiktionalen Erzählgenre; mit der Champions League ab Herbst 2012 übertragen wir im Sport den europäischen Premium-Wettbewerb, zusätzlich zu den traditionellen Großereignissen wie Olympischen Spielen und Fußball- Welt- oder Europameisterschaften; und mit ZDFneo haben wir die markanteste Kanalneugründung des letzten Jahrzehnts geschaffen.

All dies zusammen dient dem Ziel, auch im Jahr 2012 in der Spur zwischen den beiden Leitplanken der Relevanz und Akzeptanz zu bleiben, um in der Gesamtgesellschaft anzukommen. Wir wollen je nach Nutzerinteresse ebenso glaubwürdig wie überzeugend zeigen, wie Fernsehen zeitgemäß informieren und orientieren, bilden und natürlich auch unterhalten kann. »Zeitgemäß« heißt nicht zuletzt: kontinuierliche Modernisierung der Angebote, um einer Überalterung des Publikums entgegenzuwirken und das Interesse auch bei Jüngeren zu wecken oder zu steigern. Die Zeichen dafür stehen gut: Die Gewinne des Jahres 2011 an jungem Publikum durch die drei neuen Digitalkanäle gleichen die Verluste der Vorjahre in dieser Zielgruppe bereits mehr als aus. Auch hat das außerordentlich erfolgreiche Vorbild unseres – gemeinsam mit der ARD betriebenen – Kinderkanals einige europäische Länder zur Nachahmung animiert, um Programmverantwortung auch für die jüngsten Zuschauer zu übernehmen, denen ja die Zukunft gehört.

In Anbetracht der Fortschritte unseres Programmunternehmens müssen wir uns nicht selbst auf die Schulter klopfen: Für »die weitsichtige Vorbereitung des Hauses auf die großen, revolutionären Herausforderungen der digitalen Welt in einem der wettbewerbsintensivsten TV-Märkte der Welt« wurde das ZDF 2009 in New York mit der höchsten TV-Auszeichnung, dem Emmy-Award, bedacht. Gerade der gesellschaftspolitische Kontext von 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahren Wiedervereinigung mahnt uns im 50. Jahr des ZDF: Unser öffentlich-rechtliches Engagement ist nicht nur eine ständige Dienstleistung für die Gesellschaft im Programm; es verpflichtet uns auch darüber hinaus zu einem dauerhaften sozialen und kulturellen Engagement im konkreten öffentlichen Leben, angefangen bei der Aktion Mensch, die praktisch vom ersten Tag an untrennbar zum ZDF gehört, bis jüngst zum Wiederaufbau der Museumsinsel Berlin.

Wie geht es weiter?
Und so gibt uns die digitale Revolution mit all ihren grundstürzenden Veränderungen auch so etwas wie einen digitalen Imperativ mit auf den Weg in die Zukunft. Die derzeitige Krise der Weltwirtschaft hat uns gelehrt: Wenn die reine Marktideologie bereits im Finanzbereich versagt, um wie viel mehr muss sie dann auch im Medienbereich fehlschlagen, wo nicht mit Waren, sondern mit Werten und Meinungen »gehandelt« wird? Dennoch war das Leitbild vieler Medienpolitiker lange Zeit der freie Markt: eine möglichst weitgehende Deregulierung der Vorschriften für die kommerziellen Sender und eine immer stärkere Regulierung der öffentlich-rechtlichen Anbieter. Spätestens die Debatte um den Verkauf von N24 durch ProSiebenSat.1 wegen mangelnder Rentabilität – trotz Rekordbilanzen des Mutterkonzerns – hat den alten Verdacht bestätigt: Der Markt stellt das gesellschaftlich notwendige Angebot an Qualitätsjournalismus nicht automatisch zur Verfügung. Umso widersinniger erscheint die Sieben-Tage-Regelung für öffentlich- rechtliche Telemedienangebote oder das Verbot von Nachrichten bei ZDFneo. Widersinnig obendrein, weil die verordnete öffentlich-rechtliche Depublizierung den kommerziellen Medienunternehmen wirtschaftlich nicht wirklich etwas einbringt.

Und so richtet sich der digitale Imperativ nicht nur an unser eigenes Medium, nicht nur an die Medienbranche insgesamt, sondern nicht zuletzt – vielleicht sogar zuerst – an die Medienpolitik. Doch es gibt Hoffnung, dass einige Verantwortliche inzwischen die öffentlich-rechtlichen Anbieter als unverzichtbaren Stabilitätsanker in einem systemrelevanten Markt erkannt haben: ARD und ZDF leisten sowohl in Krisen- wie auch in Boomzeiten ein zuverlässiges Qualitätsangebot, das dem Markt Stabilität und Sicherheit gibt und gleichzeitig, ja nachhaltig die Gesellschaft trägt. Solche Stabilität ist umso notwendiger, je schneller die Medienwelt sich dreht. Und sie dreht sich noch schneller als bei meinem Amtsantritt erwartet.

Bei der Gestaltung der dynamischen Veränderungen haben wir dennoch in der Bilanz die wichtigsten Ziele von 2002 weitgehend erreicht: Die Schulden sind in einem Kraftakt abgebaut. Die Finanzen sind solide. Auch ist das ZDF auf das neue Finanzierungs-, respektive Beitragsmodell vorbereitet. Der Hagelschlag durch neue Einsparforderungen der KEF schadet und schmerzt, darf aber die insgesamt gute Ernte nicht gefährden. Das ZDF wird weiter sparen. Dafür muss die angestoßene Priorisierungsdiskussion weitergehen. Auch die Transformation geht als solche weiter: Die Dynamik der digitalen Revolution fordert eine permanente und flexible, ja fast schon antizipatorische Anpassung an die jeweils neuen Rahmenbedingungen. In ihnen ist der öffentlich-rechtliche Auftrag stets auf der Höhe der Zeit zu erfüllen. Die Grundlagen dafür sind gelegt, die Weichen gestellt. Die Digitalstrategie greift. Die klassische Fernsehanstalt ist zu einem modernen Multimedia-Haus geworden. Die Senderfamilie lebt. Die medienpolitischen Wege sind – so hoffe ich – geebnet. Und so bin ich sicher: Das ZDF wird sie selbstbewusst, mutvoll und am Ende auch erfolgreich gehen.

Markus Schächter