Christian Kohl, ZDF-Marketing/Corporate Design
Andreas Reinberger, Redaktion/Präsentation ZDFkultur/3sat
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ZDFkultur will Spiegelbild eines veränderten Lebensgefühls sein, das die bisherige Trennung zwischen Hochkultur und Popkultur aufhebt. Und das galt es auch in der Design- und Markenphilosophie umzusetzen.

ZDFkultur startete am 7. Mai dieses Jahres. Es ist eine Erfolgsstory – in mehrfacher Hinsicht. ZDFkultur kam für viele überraschend. »Das hätte man dem ZDF nicht zugetraut«, »ZDF kann auch jung«, waren häufige Reaktionen von Zuschauern und Usern. Die Fangemeinde im Internet vervielfachte sich innerhalb nur weniger Wochen und erreichte Nutzungszahlen, die etablierte Medienmarken staunen ließen. Es gibt tatsächlich junge Menschen, die ZDFkultur richtig cool finden und zu ihrem Lieblingssender machen. Es ist für sie nicht peinlich, auf dem Melt!-Festival den ZDFkultur-Regenponcho überzuziehen oder wie Liam Gallagher ein knallgelbes ZDFkultur-Mikrofon unter die Nase gehalten zu bekommen. Ganz im Gegenteil: So entsteht eine glaubwürdige neue Marke. Und dies just auf einem Gebiet, das das ZDF schon fast verloren glaubte. Kann es sein, dass das ZDF durch den Erfolg von ZDFkultur in der jungen Zielgruppe einen Imagegewinn erfährt? Wie ist es möglich, in so kurzer Zeit in der wählerischen Community mit einem ZDF-Programm zu punkten? Was ist das Erfolgsrezept von ZDFkultur?

Die Transformation des ZDFtheaterkanals. Erste Überlegungen
Es ist ein unschätzbarer Vorteil, neu denken zu dürfen – eine seltene Chance! Wer kann heute noch bei Null anfangen, einfach die Reset-Taste drücken und eine neue Marke gestalten? Sind wir doch geübt in der behutsamen Transformation von etablierten Medienmarken wie ZDF, 3sat oder ARTE. Sie haben bereits mehrere Jahrzehnte ihrer ganz eigenen Geschichte auf dem Buckel, Jahrzehnte der Meinungsbildung beim Publikum, ergo Markenbildung – freiwillig wie unfreiwillig. So eine Summe an Erfahrungen, die der Zuschauer gemacht hat, lässt sich nicht so leicht korrigieren. Aber jetzt hier: »Tabula rasa« – ein neuer Kultursender! Was für eine Aufgabe!

Zuerst war die Marke
Wir standen vor der Frage: Wie muss ein neuer Kulturkanal im Kontext der etablierten Kulturkanäle 3sat und ARTE aussehen, ohne Doppelungen zu erzeugen? Was machen wir mit dem Erbe des ZDFtheaterkanals? Und in welchem Verhältnis stehen wir zur Dachmarke ZDF, wie zu den digitalen Geschwistern ZDFneo und ZDFinfo?

Schnell war klar: Wer am Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts einen Kulturkanal wagt, muss mit einem veränderten Kulturverständnis an den Start gehen. Kultur ist heute nicht mehr der Kanon der bildenden und darstellenden Künste, nicht Reclams Opernführer und nicht Schillers Lied von der Glocke. Kultur ist alles, was wir aktiv gestaltend tun. Wir selbst sind Kultur! Die Selbstverständlichkeit der Kommunikation in den Sozialen Netzwerken schafft eine neue Form von Öffentlichkeit. Heute kann jeder sein eigener Künstler sein und von anderen – gänzlich subjektiv – bis zum Hype hochgevotet oder auch vernichtend missachtet werden. Ein Genie zu sein ist keine Voraussetzung mehr – ganz im Gegenteil. Welcher in dieser Welt Sozialisierte will sich noch von einem Fernsehjournalisten eine Kulturwelt erklären lassen? Welche Relevanz hat das klassische Feuilleton noch? Und wie verhält sich dazu der neue Kulturkanal?

»Wir wollen nur spielen« – oder die Summe der Subjekte
In Abgrenzung zu 3sat und ARTE, die mit dem Kulturverständnis der späten 80er Jahre gestartet sind, entsagt ZDFkultur dem Anspruch einer umfassenden, objektiven und vertiefenden Abbildung wie Berichterstattung von Kultur. ZDFkultur ist bewusst subjektiv, polarisierend und inspirierend. Das ist der Kern des Markenverständnisses von ZDFkultur.

Die ARD.ZDFmedienakademie leistete methodische Unterstützung und half bei der Positionierung. Der klassische Ansatz, durch soziodemografische Merkmale Zielgruppen zu definieren, schien zu kurz zu greifen. Was das Zielpublikum vereint, ist die Lust und die Neugierde, aktiv zu gestalten. Das ist nicht zwingend altersspezifisch. Wir waren überzeugt, dass es eine Menge Menschen gibt, die per se kulturinteressiert sind, sich aber von der althergebrachten Form der Kulturvermittlung nicht angesprochen fühlen. Wie sollen wir hier in Milieu, Alter oder Geschlecht sortieren? Zumal sich die Gesellschaftsformen zunehmend weniger normativ begreifen lassen. Anstatt den Sender über die Zielgruppe zu definieren, richtet sich der Fokus auf das Erlebnisversprechen, das wir mit unserem Kulturverständnis geben wollen. Wer ZDFkultur einschaltet, bekommt eine Dosis extravagante Performance. Selten berechenbar, meistens inspirierend, oft spielerisch und mit dem gedachten Zeigefinger höchstens als ironische Geste.

Zielgerichtete Gestaltung
Nachdem das Markenbild klar definiert war, ging es um die formale Ausgestaltung. Wie kann die Vision der ZDFkultur-Welt Form und Gestalt bekommen, um glaubhaft wirken und authentisch gelebt werden zu können? Das Geheimnis erfolgreicher Markenbildung ist das abgestimmte Konzert der Instrumente »Visuelles Design, Audiodesign, On-Air-Promotion, Moderation«. Wenn alle diese Gestaltungsmittel mit ihren eigenen individuellen Stärken zielgerichtet zusammenwirken, ergibt dies ein stimmiges Gesamtbild und damit die ganz eigene ZDFkultur-Welt.

Design
Das On-Air-Design von ZDFkultur setzt den Grundgedanken des Spiels und des Mitmachens kreativ um: Kernelement des Designs sind die »Do-it-yourself-Idents«, phantasievolle, improvisierte, poetische und lustige selbstgebastelte kurze Spots von Künstlern, Designern und ganz normalen Menschen. In charmanter Weise wird hier die Breite unseres Kulturbegriffs deutlich. Die Zuschauer werden angeregt und inspiriert, eigene IDs zu produzieren.

Die »Do-it-yourself«-Idee wird auch in Sendungslabels weitergeführt, das Film-Label zeigt beispielweise eine Installation aus Trophäen, blinkenden Lichtern, Projektoren und einer Laborherdplatte, auf der Popcorn hergestellt wird.

Besonders deutlich wird der »Do-it-yourself-Charakter« des Designs in der Sendung »Der Marker«, wichtigstes Designelement ist dabei Gaffer-Tape, dem Symbol für Improvisation und spontanes Umgestalten. »Der Marker« hat zehn verschiedene Vorspänne, die alle mit Gaffer-Tape befestigte Gegenstände zeigen. Auch im Set-Design spielt das Tape eine wichtige Rolle.

Schließlich ist die gesamte Sendung ein Beispiel für »Do-it-yourself-Fernsehen«, alle am Produktionsprozess Beteiligten arbeiten gleichberechtigt im Team zusammen. Schnitt, Grafik, Studiodreh erfolgen quasi in Rufweite innerhalb der Redaktion, ohne eine große Maschinerie in Gang setzen zu müssen.

Auch die Wiedereinführung der Kanalmoderation ist in diesem Zusammenhang kein nettes Accessoire, sondern ein prägendes Merkmal von ZDFkultur, wobei sie sich grundsätzlich weniger als Moderation denn als »Auftritt« versteht. Sie hat Livecharakter und vermittelt so lebendiges Fernsehmachen. Die Auftritte sind so subjektiv und individuell wie möglich und geben doch in ihrer Gesamtheit ein Spiegelbild der Markenpersönlichkeit von ZDFkultur.

Promotion
Der offene Kulturbegriff von ZDFkultur zeigt sich ebenso in der On-Air-Promotion. Es gibt keinen anpreisenden Off-Sprecher, die Programme sprechen für sich selbst, unterstützt oder auch konterkariert durch typografische Einblendungen.

Auf die Entwicklung eines herkömmlichen Audiologos wurde verzichtet. Das Typische und Charakteristische entsteht nicht durch eine Melodie oder ein Geräusch, sondern durch einen besonderen Filtereffekt, mit dem die Wiedererkennbarkeit erreicht werden soll. Hinzu gesellt sich ein kurzes Signet, der ZDFkultur »Bibop«, der den neuen Sender tonal in die ZDF-Senderfamilie einbindet.

Gelebte ZDFkultur-Welt
Alle diese Elemente verstärken in ihrem Zusammenwirken die Markenbildung von ZDFkultur. Sie nähren ein konsistentes Fremdbild, das zunehmend zur Marke reift, mit Werten, die auf das Unternehmen ZDF positiv abfärben. Wenn dieser Weg konsequent weiter verfolgt wird und ZDFkultur an Wirkungsradius gewinnen kann, dann ist für die mediale Zukunft des ZDF ein weiterer wichtiger Schritt vorwärts getan.

Christian Kohl
Andreas Reinberger
Promotion-Kampagne zu ZDFkultur
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Plakatwerbung zu ZDFkultur
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