Lucia Haslauer, Hauptredaktion Neue Medien/Format- und Crossmedia-Entwicklungen
Andreas Rother, Hauptredaktion Neue Medien/Crossmedia-Projekte
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Die Zentralredaktion der Hauptredaktion Neue Medien hat mit viel selbstreferenziellem Humor große ZDF-Klassiker neu vertont. Das Echo im Internet und in der Presse war groß.

Josef Matula, der dienstälteste Ermittler des deutschen Krimis, kämpft im Clip »Verfall für zwei« gegen das Älterwerden. Peter Lustig, das Urgestein der Kindersendung »Löwenzahn«, stellt sich mit seiner unverwechselbaren kindlichen Neugierde dem neuen Leben als Arbeitsloser, und Derrick und Harry sind eigentlich ein Liebespaar. Förster Martin Rombach, als werte- und umweltbewusster Naturschützer, fällt in »Forsthaus Falkengau« total aus der Rolle und gibt im Dienst der Bundesregierung seinen Wald für ein Atommülllager frei. So und ähnlich ging es weiter bei der Clipreihe »ZDF Mashups« – mit dem »Traumaschiff«, dem »Knoff Hoff Shopping TV« oder auch dem »Neuen Alten«.

Vom TV ins Web und wieder ins TV
Die »ZDF Mashups« sind in der Zentralredaktion der Hauptredaktion Neue Medien entwickelt worden. Als »Rohmaterial« dienten die bekanntesten Fernsehproduktionen des Hauptprogramms. Gemeinsam mit jungen, kreativen Produzenten hat die Redaktion Teile dieser großen ZDF-Produktionen zu drei- bis fünfminütigen Clips zusammengeschnitten und neu synchronisiert. Meist beschäftigten sich die Interpretationen humorvoll mit den Originalen beziehungsweise deren Protagonisten. Die Clips wurden auf http://mashups.zdf.de und dem ZDF-YouTubekanal ZDF lachbar veröffentlicht. ZDFneo hat die Clips mitproduziert und vom 19. März an im Fernsehen ausgestrahlt.

In der Gestaltung hat die Redaktion mit den »ZDF Mashups« eine Form aufgegriffen, die im Internet groß geworden ist. Mashup bezeichnet eigentlich alles, was sich kreativ mit der Wiederverwertung von bestehendem Material beschäftigt. Im Internet finden sich unzählige solcher kreativer Neukonfektionierungen. Bei Musik-Mashups werden zum Beispiel mehrere bestehende Musikvideos in Bild und Ton neu vermischt, sodass ein völlig neues Werk entsteht.

Unsere Suche nach den Autoren begann nicht bei den Etablierten der Branche, sondern beim kreativen Nachwuchs, von dem möglichst große Unbefangenheit zu erwarten war. Mit der Verteilung der Aufträge an mehr als nur eine Kreativschmiede haben wir die Strategie verfolgt, durch möglichst viele verschiedene Ansätze den kreativen Output zu befördern. Die Clips wurden von »Autorenkombinat« (Mainz), »Raketenfilm« (Frankfurt), »UFA lab« (Berlin) und dem freien Autor Michael Heinze (Köln) produziert.

Netzrauschen
Die Reaktionen auf die Clipreihe waren sehr unterschiedlich. Die häufig geäußerte große Verwunderung darüber, dass das ZDF mit so viel Humor und Selbstironie publiziert, schlug in den meisten Fällen in positive Resonanz um, bis hin zu begeisterten Aussagen auf Facebook, YouTube und Twitter wie diesen:



Reaktionen: Dem echten Bergdoktor gefällt sein »Mashup«
Die Hoffnung auf selbstständig einsetzende Viralität ging auf. Die Clips hatten erfreulich gute Abrufzahlen in der ZDFmediathek. Die rege Besprechung über Twitter, Facebook und auf YouTube verschaffte einen qualitativen Eindruck über die Meinung der User: Das Projekt hat überrascht, fiel auf und hat in den meisten Fällen positiven Einfluss auf die Wahrnehmung des ZDF. Das Thema »ZDF publiziert selbstironisch« erfuhr in der klassischen Presse ein unerwartet hohes und mehrheitlich interessiert-positives Echo und wurde in zahlreichen Blogs besprochen sowie von einigen Radiostationen aufgegriffen.

Die Frage, wie Fans der Originale mit den ironischen Clips umgehen, wurde unterschiedlich beantwortet: Während die Clips zu Derrick und Harry insgesamt zwar den meisten Zuspruch bekamen, in manchen »Derrick«-Fanforen aber auch negativ besprochen wurden, bedankte sich der Hauptdarsteller aus »Der Bergdoktor«, Hans Sigl, für »ein Plagiat mit Klasse und Witz« und präsentierte den Clip auf seiner Website und auf Facebook seinen ebenso begeisterten Fans. Der Clip »WISO: Finanzkrise im Vatikan« polarisierte am stärksten: Während er für viele User zum Highlight der Reihe wurde, hatte die Redaktion mit der Beantwortung von Beschwerdebriefen zu tun.

Die Gratwanderung zwischen »sich lustig machen« und trotzdem »nicht respektlos sein« war bei der Produktion die größte Herausforderung. Die Autoren und die Redaktion mussten sich anfangs von dem Gefühl befreien: »Das können wir doch mit unserem Derrick nicht machen!« In der ernsthaften und genauen Auseinandersetzung mit den Originalen entstand ein Gefühl dafür, wo Spaß aufhört und wo man anfängt, den Figuren zu schaden.

Wichtig war uns immer, die humorvolle Erzählform zu nutzen, um auch ernsthafte Themen zu transportieren: Es geht bei »ZDF Mashups« nicht nur um Derrick, der seinen Harry heiraten will – über die kurzen Geschichten wurden auch politisch und gesellschaftlich relevante Themen transportiert, wie etwa Schieflagen im Gesundheitssystem oder die Seuchenhysterie der vergangenen Jahre. Wir wollten eine Brücke zwischen Haltung und Unterhaltung schlagen, ohne dabei die Fans der Originale zu verprellen.

… und warum das Ganze?
Die Hauptredaktion Neue Medien möchte neue Zielgruppen ansprechen und mit dem produzierten Content viele Zuschauer erreichen. Folgerichtig war ein wesentlicher Leitgedanke für die Redaktion, bekannte ZDF-Marken positiv in die Wahrnehmung jener Zielgruppen zu rücken, die das ZDF nicht oder nicht mehr in ihrem Relevant Set haben. Kann man mit einem (selbst)ironischen, distanzierten Blick auf die eigenen Formate neue Zielgruppen ansprechen, jene also, die das Primärprodukt im Fernsehen gar nicht mehr anschauen?

Diese Zuschauer haben wir im Internet gesucht und gefunden: Die »Mashup«-Reihe richtete sich durch unterschiedliche Humorfärbung (von Klamauk bis Satire) und die Auswahl des Original- materials (»Derrick«, »Das Traumschiff«, etc.) primär an ein jüngeres, online-affines Publikum.

Zweitverwertung des Archivbestands
Es wurden Archivbänder gesichtet, neue Geschichten entwickelt und in Kleinstarbeit neu zusammengeschnitten und vertont. Dabei hat die Rechteklärung des teils sehr in die Jahre gekommenen Materials große Anstrengung gefordert.

Die »ZDF Mashups« haben mit manchmal scharfen – und hoffentlich immer witzigen – Ecken und Kanten sicher die eine oder andere Schmerzgrenze berührt, sind aber am Ende zu einer Verbeugung vor den großen Gesichtern und Geschichten des ZDF geworden.

Lucia Haslauer
Andreas Rother
Mashup »Dreckig«
Mashup »Die Schwarzgeldklinik«
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