Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios
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Angeführt von den drei Qualitätsprogrammen des Deutschlandradios ging 2011 das neue, bundesweite Digitalradio an den Start. Das Radio der Zukunft ist ökonomisch und ökologisch höchst effizient. Eine Festschreibung des Übertragungsstandards DAB+ für ganz Europa würde den endgültigen Durchbruch bedeuten.

Am 1. August 2011 war es soweit. Unter dem Motto »Die Zukunft ist digital« startete in Deutschland der zweite Versuch, das analoge Dampfradio durch das Digitalradio abzulösen, diesmal im neuen Übertragungsstandard DAB+. Der erste Anlauf war 1997 gescheitert, weil die Leistung der ausgestrahlten Signale zu gering und die Zahl der digitalfähigen Empfangsgeräte zu klein und diese zu teuer waren. Gescheitert war das Vorhaben aber vor allem, weil nicht genügend Programme zur Verfügung standen, die den Hörer motivieren konnten, ein neues Gerät zu kaufen.

Doch diesmal war alles ganz anders. Statt sich gegenseitig zu blockieren, zogen alle Beteiligten an einem Strang: öffentlich-rechtliche und private Programmanbieter, Geräte- und Chiphersteller, der Sendernetzbetreiber Media Broadcast und der Handel – dazu kam der Rückenwind durch das Bundeswirtschaftsministerium. Ein DAB-Konsortium kümmerte sich sowohl um den Aufbau eines bundesweiten Netzes, um die landesweiten Sendeanlagen sowie um die Aktivitäten zur Markteinführung.

Angeführt von den drei Deutschlandradio-Programmen – Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und DRadio Wissen – wurden 13 Angebote in einem bundesweiten Multiplex, so die digitalen Programmbündel im Fachjargon, aufgeschaltet. Ein einmaliger Vorgang in der deutschen Rundfunkgeschichte. Das Netz umfasste 27 Sender, die vornehmlich in Ballungsgebieten stehen, sodass bereits zum Start etwa 50 Prozent der Bevölkerung mobil über Digitalradio erreicht werden konnten. Mit 110 Sendern, die bis zum September 2015 in Betrieb sein sollen, ist der Ausbau abgeschlossen – von einer flächendeckenden Verbreitung kann dann gesprochen werden.

Auch hinsichtlich der Endgeräte war der Neustart erfolgreich. Bereits zwei Monate nach der Aufschaltung konnte der Kunde unter 120 unterschiedlichen Empfängern wählen: vom USB-Stick über das Küchenradio und den Radiowecker, den Digitalradio-Empfänger für die HiFi-Anlage bis hin zu den »hybriden Alleskönnern«, die sowohl DAB+ und UKW als auch Internetradio empfangen können. Das billigste Gerät kostete knapp 50 Euro, und die Preisspirale zeigte weiter nach unten.

Für Deutschlandradio, den nationalen Hörfunk, ist Digitalradio deshalb so wichtig, weil hier erstmals eine realistische Chance besteht, alle drei Programme flächendeckend in der Bundesrepublik verbreiten zu können, so wie es der im Jahr 1991 formulierte Deutschlandradio-Staatsvertrag vorsieht. Dort heißt es: Die Körperschaft hat »ein Nutzungskonzept mit dem Ziel zu erstellen, eine bundesweit möglichst gleichwertige terrestrische Verbreitung für beide Programme zu erreichen.«

Aus den beiden Programmen sind seit Januar 2010 sogar drei geworden – eine bundesweite Abdeckung aber war weiterhin nicht in Sicht, da das UKW-Band weitgehend belegt ist. So erreicht der Deutschlandfunk 79 Prozent der Bevölkerung, während Deutschlandradio Kultur nur von 64 Prozent der Bevölkerung empfangen werden kann.

Mit dem Radio der Zukunft kann der Audio-Fan aber nicht nur die Qualitätsangebote des Deutschlandradios hören, sondern auch den Zusatzdienst »Dokumente und Debatten«, kurz »DRadio Dok-Deb«. Er wird damit Zeuge wichtiger Bundestagssitzungen oder hochkarätig besetzter Talk-Runden, die von Maybrit Illner (ZDF), Günther Jauch (ARD), Anne Will (ARD) und Frank Plasberg (ARD) moderiert werden. Auch die Veranstaltungen mit Kooperationspartnern, das »ZEIT-Forum«, das »Forum Frauenkirche« in Leipzig oder »Das blaue Sofa« von den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig, sind im neuen Digitalradio live und bundesweit zu hören.

Nicht zuletzt verbindet das Deutschlandradio mit der Einführung des Digitalradios über kurz oder lang die Hoffnung, möglicherweise ganz auf Mittel- und Langwelle verzichten zu können. Denn die Verbreitungskosten über alle Ausspielwege liegen jährlich in einem zweistelligen Millionenbereich. So haben die Techniker errechnet, dass der Betrieb eines Digitalradionetzes nur ein Fünftel eines vergleichbaren UKW-Angebotes kostet.

Was bietet nun aber das neue Digitalradio?
Es ist vor allem die exzellente Qualität, der kristallklare rauschfreie Stereoklang, der besticht – und dies im fahrenden Auto selbst bei hohen Geschwindigkeiten. Hinzu kommen jede Menge Zusatzinformationen in Wort und Bild, die auf einem Display zu sehen sind: Angaben zum Programm, Erläuterungen zur Musik, Schlagzeilen etc. Je nach Gerät können Sendungen programmiert, mitgeschnitten und gespeichert werden.

So bietet Deutschlandradio beispielsweise einen Text-Nachrichtendienst namens »Journaline« an. Das vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickelte Format ist eine Art Videotext für das Radio. Hierarchisch gegliedert werden aktuelle Nachrichten, Programmübersichten und Presseschauen angezeigt.

Ein Katalysator bei der Einführung von DAB+ ist der Markt der Autoradios. Hatten sich die deutschen Autohersteller 2006 noch gegen eine Umstellung gewandt, so stehen sie der Entwicklung nun eher optimistisch gegenüber. Das neue EUweite Verkehrsinformationssystem TPEG bietet in Zukunft wesentlich präzisere Möglichkeiten der Verkehrslenkung und damit die Chance, einen Stau wirklich zu umfahren. Auch zur Aufspielung neuester Verkehrsinformationen in die eingebauten Navigationsgeräte braucht es die digitale Technik. Das gleiche gilt für Wetterkarten oder andere zusätzliche Dienste. Einige Autohersteller haben angekündigt, demnächst Digitalradio- Empfänger für den Einbau in alle Neufahrzeuge anzubieten.

Ein digitalfähiges Radio bringt dem Autofahrer aber noch einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Wer kennt es nicht, wenn bei einer langen Reise plötzlich der Empfang immer schlechter und das Rauschen immer stärker wird? Der Hörer weiß, ich bewege mich am Rande des Sendegebietes, ein Frequenzwechsel ist notwendig. Ganz anders, wenn ich während der Autofahrt mein Programm mit einem Digitalradio empfange: Nach dem Einschalten zeigt das Gerät eine Programmliste, aus der ich nach Belieben einen Sender aussuchen kann. Im besten Fall empfange ich die gewählte Frequenz ohne weiteren Suchlauf von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen.

Entscheidend für den Erfolg von DAB+ aber dürfte die Vielfalt der Programme sein. Denn nur der Mehrwert an innovativen Formaten, an exklusiven Angeboten, wird die Käufer dazu bewegen, auf die neue Technologie umzusteigen. Immerhin sind zu den 13 Startprogrammen bereits die zahlreichen ARD-Angebote hinzugekommen, die in den regionalen Multiplexen verbreitet werden. So kann Bayern aufgrund seines langjährigen Engagements für das Digitalradio schon heute auf eine nahezu flächendeckende Versorgung verweisen, und auch Nordrhein-Westfalen hat eine gute DAB+-Bedeckung. Erneuter Auftrieb für das Digitalradio ist zu erwarten, wenn die ARD die landesweiten Multiplexe ausgebaut hat und zusätzliche Kapazitäten für private Anbieter geschaffen wurden. Eine Vielzahl neuer Programme ist hier zu erwarten. Bleibt schließlich die Frage, warum auf DAB+ nicht verzichtet werden kann, wo doch gerade bei den jungen Hörern die Webradios im Trend liegen?

Klar ist, DAB+ ist das einzige marktreife System, mit dem eine Vielfalt an Hörfunkprogrammen ökonomisch und ökologisch effizient – ob in den Ballungsgebieten oder auf dem Land – angeboten werden kann. Denn Radio lebt davon, dass viele Menschen gleichzeitig ein Programm hören und damit auch zeitnah über aktuelle Dinge informiert werden. Und so lange dies der Fall ist, ist es effizienter, Informationen über ein Rundfunksystem zu übertragen, als über individuelle Internetverbindungen.

Natürlich ist auch das Internetradio eine spannende Sache, vor allem, wenn der Hörer an exotischen Radiostationen interessiert ist. Aber: Internetradio hören im Auto ist kein Vergnügen, selbst bei geringen Geschwindigkeiten bricht der Empfang immer wieder zusammen, und beim stationären Hören ist das Klangbild oft enttäuschend. Ganz zu schweigen von den eminenten Kosten, die für die Sender anfallen, wenn alle Hörer diesen Verbreitungsweg nutzen würden.

Gerade unser Verkehrssystem zeigt, dass der Individualverkehr per Auto mit den Massenverkehrsmitteln wie Bus, Bahn und Flugzeug sinnvoll kombiniert werden kann. Eine solche Kombination erscheint auch im Bereich der Massenkommunikation geboten, denn individueller Datenverkehr via Internet und massenmediale Verbreitung von Information über digitale Rundfunksysteme ergänzen einander. Dem hybriden Ansatz gehört deshalb die Zukunft.

Deutschlandradio hat ein vitales Interesse daran, dass das neue Digitalradio ein Erfolg wird. Unser Ziel ist es, dass die Brüsseler Politik den Übertragungsstandard DAB+ als europäische Norm festschreibt. Eine solche Entscheidung wäre der Durchbruch und das Beste, was dem Digitalradio passieren könnte. Bedenkt man, dass das Radio das einzige elektronische Medium ist, das allen Digitalisierungsbemühungen bislang widerstanden hat, so erscheint ein solcher Schritt als längst überfällig.

Willi Steul