Stephan Adrian, Geschäftsführer ZDF Enterprises GmbH
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Materialdistribution in der digitalen Welt
ZDF Enterprises rüstet sich für den digitalen File-Transfer

Die sich rasant entwickelnden digitalen Vermarktungsformen, die der zunehmenden Fragmentierung des Medien- und Publikumsmarktes mit Konsequenz folgen, machen eine Neuorientierung auch der Materiallogistik erforderlich. Eine vollautomatisierte, digitale Vertriebsinfrastruktur soll ZDF Enterprises auch in diesem Bereich zukunftssicher machen.

IPTV (Internet Protocol Television), Video-on-Demand (VoD), Pay-TV, Social Media: Schlagworte der digitalen Welt, die auch ein Unternehmen wie ZDF Enterprises nicht kalt lassen; denn was der technologische Wandel hin zu digitalisierter Übertragung von Inhalten in breitbandigen Netzen an neuen Vermarktungsformen ermöglicht, muss auch in der »Lieferkette« in effizienter und wirtschaftlich tragfähiger Weise umgesetzt werden. Wo also bisher physische Datenträger (DVDs, Sendebänder, Videokassetten) den Transport der lizenzierten Rechte an den Kunden übernahmen, haben die neuen Verwertungsformen, allen voran die Lizenzierung von Fernsehrechten an Video-on-Demand-Portale, die digitale Welt auch in die Materiallogistik Einzug halten lassen. ZDF Enterprises nutzt daher bereits seit etwa zwei Jahren breitbandige Internetverbindungen, um Programme an Kunden wie iTunes und maxdome zu liefern. Hierzu wurde neben den notwendigen technischen Einrichtungen (leistungsfähige Arbeitsplatz-Rechner mit der entsprechenden Peripherie) auch personelles Know-how geschaffen, um die komplexen Vorgänge der Generierung, Zusammenstellung und des Uploads von digitalen Files in der vom Kunden gewünschten Konfiguration zu ermöglichen. Es ist nämlich nicht damit getan, eine Datei zu versenden, wie wir es von Word- oder Excel-Anhängen an einer E-Mail kennen. Die notwendigen Video-Files müssen zunächst aus dem herkömmlichen Bandmaterial hergestellt werden, was ZDF Enterprises über einen zertifizierten Dienstleister vornehmen lässt. Diese alle audiovisuellen Informationen enthaltende Datei ist aber nur Teil der Lieferverpflichtung von ZDF Enterprises; denn der VoD-Portalbetreiber erwartet nicht nur eine speziell für seine Systeme konfigurierte Videodatei. ZDF Enterprises muss ihm auch so genannte Kopf- oder Metadaten übermitteln, die detaillierte redaktionelle Angaben zum Programm, wie beschreibende Staffel- und Episodentexte, die Dauer des Programms, Altersfreigaben, Darsteller, aber auch speziell angefertigte Grafiken sowie etwaige Preisgestaltungen enthalten. Diese Metadaten werden ausnahmslos bei ZDF Enterprises zusammengestellt, redaktionell bearbeitet und anschließend als Datenpaket zusammen mit den Video- und Audiodaten und gegebenenfalls erforderlichen Untertiteln oder zusätzlichen Audiospuren an den Kunden hochgeladen. Der Kunde kann dann das Programm mit den zusätzlichen Informationen in seinem Portal entsprechend seinen Vermarktungsvorstellungen präsentieren. Der letzte Schritt des Uploads erfolgt derzeit über die bei ZDF Enterprises zur Verfügung stehende Internetanbindung, was zum Beispiel für ein 60-Minuten-Programm in HD (Apple ProRes HQ) mit einem Datenvolumen von zirka 80 GB rund fünf Stunden dauern kann (40 Mbit/s Upload-Bandbreite). Ein in der Praxis seltener, aber grundsätzlich ebenfalls möglicher Transportweg für Files ist aber weiterhin auch der physische Versand mittels Festplatte, Blu-ray-Disk oder DVD. Er ist jedoch mit einem höheren Zeitund Ressourcenaufwand verbunden sowie wegen des transportbedingten Schadenrisikos oder auch einer gegebenenfalls problematischen Zollabwicklung eher störanfällig.

Neben den VoD-Portal-Kunden werden aktuell auch zahlreiche Vertriebskunden, vorwiegend Fernsehsender im In- und Ausland, filebasiert beliefert. Die bereits oben beschriebenen aufwändigen Arbeitsschritte sind mit geringen Abweichungen auch für diese Verwertungsform einzuhalten.

Das selbst gesetzte Ziel von ZDF Enterprises, die Lizenzierung an VoD-Plattformen auszubauen und den TV- und DVD-Vertriebskunden die Programminhalte in wachsendem Umfang nur noch file-basiert zur Verfügung zu stellen, bedingt eine Veränderung sowohl der herkömmlichen, physischen Materiallogistik wie auch des derzeit »manuellen« digitalen File-Transfers. Die steigende Zahl der Vorgänge sowie die eigenen räumlich, technisch und auch personell begrenzten Kapazitäten bei ZDF Enterprises erfordern daher eine gut durchdachte und zukunftsorientierte digitale Vertriebsinfrastruktur, die nicht nur die bandbasierten Auslieferungsprozesse ersetzen, sondern auch die Archivierung im Hinblick auf Platzbedarf, Verfügbarkeit und Kosteneffizienz modernisieren wird.

ZDF Enterprises hat hierzu Anfang 2011 ein Projekt aufgesetzt, welches in zwei Phasen sowohl die aktuellen Vertriebsanforderungen durch vorübergehende Erweiterung der technischen und personellen Kapazitäten bei ZDF Enterprises bewältigen, als auch in einem zweiten Schritt eine langfristig stabile und kundenorientierte File-Transfer-Struktur erarbeiten soll. So lässt ZDF Enterprises seit Ende 2010 von jedem für Vertriebszwecke »in die Hand genommenen« Sendeband ein so genanntes Masterfile herstellen, welches als Basis für die kundenspezifische Transkodierung von Vertriebsfiles digital archiviert wird und damit ohne weitere Bewegung physischer Datenträger zur Verfügung steht. Insgesamt handelt es sich dabei um das beachtliche Volumen von rund 30 000 Masterbändern in SD- und HD-Qualität mit rund 20 000 Stunden Programm. Phase eins konnte zur Mitte des Jahres 2011 bereits abgeschlossen werden und versetzt ZDF Enterprises in die Lage, unter Inanspruchnahme bewährter Dienstleister und effizienter Nutzung der Inhouse-Kapazitäten die aktuellen Kundenwünsche sachgerecht und zeitnah zu erfüllen. Eine integrierte, digitale Vertriebsinfrastruktur, die alle zukünftigen Anforderungen abdecken soll, wird voraussichtlich zu Beginn des Jahres 2012 produktiv gehen. Sie besteht, vereinfacht gesagt, aus einem Content-Management- und Auslieferungssystem eines externen Technikdienstleisters, welches entweder über eine geeignete webbasierte Software oder aber über die Implementierung einer Auftragssteuerung in das hauseigene Lizenzverwaltungssystem vollautomatisiert von ZDF Enterprises gesteuert werden kann. Das System bildet die kompletten Abläufe der Materiallogistik ab, auch für nicht filebasierte Auslieferungen. Auf einen entsprechenden Onlineauftrag der verantwortlichen Stellen bei ZDF Enterprises wird der vom jeweiligen Kunden gewünschte Inhalt gemäß der kundenspezifisch im System hinterlegten Spezifikationen transkodiert und automatisiert ausgeliefert. Das digitale Archiv, in dem die Masterfiles vorgehalten werden, wird zweifach in räumlich voneinander getrennten Archivsystemen gespeichert.

Der für ZDF Enterprises jederzeit mögliche Onlinezugriff auf das gespeicherte Material erlaubt nicht nur ein Sichten der bereitgestellten Low-Res-Files, sondern auch die Veranlassung aller weiteren Schritte der digitalen Distribution (Transcoding, VoD-Packaging der Videodaten mit Metadaten, Outgest). Auch das Shipping (Versandart, Lieferschein, Proforma, Lieferadresse) sowie die relevanten Lieferweginformationen stehen ZDF Enterprises online am jeweiligen Arbeitsplatzrechner zur Verfügung. Dass dabei alle Aspekte der Datensicherheit bei Speichermedien und Übertragungswegen einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, ist selbstverständlich und wird über die professionellen Anbieter der entsprechenden Storage-Systeme sowie die Leitungsfunktionalitäten sichergestellt. Zur Vereinfachung des Handlings können kundenspezifische Profile im System angelegt werden, die es »auf Knopfdruck« erlauben, das richtige Format der Video- und Audiodateien sowie Art und Umfang der gewünschten inhaltlichen Metadaten und weitere Informationen im digitalen Archiv auszulesen und zum Upload an den jeweiligen Kunden bereitzustellen. Über entsprechende Leitungskapazitäten des Dienstleisters ist es möglich, die Dauer eines File-Transfers zum Kunden um ein Vielfaches zu reduzieren.

Mit Abschluss des Projekts und Produktivstellung dieses integrierten Systems wird ZDF Enterprises künftig in der Lage sein, die jährlich rund 20 000 Stunden umfassende Auslieferung von Programminhalten maßgeschneidert für alle gewünschten Verwertungswege zu bewältigen und damit die ehrgeizigen Vertriebsziele der kommenden Jahre auch bei der Materiallogistik passgenau umzusetzen.

Stephan Adrian