Markus Mörchen, Verantwortlicher Redakteur »logo!«
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Tsunami- und Atomkatastrophe in Japan, Wirtschaftskrise in Europa, die Revolutionen in Nordafrika – das Jahr 2011 war ein Jahr großer Krisen. Kinder bekommen diese Ereignisse mit, können sie aber nicht einordnen und stellen viele Fragen. Die Kindernachrichtensendung »logo!« gibt auf möglichst viele dieser Fragen Antworten – auch, wenn das nicht immer einfach ist.

Die erste Meldung erreichte die deutschen Nachrichtenredaktionen um 6.53 Uhr am 11. März: »Starkes Erdbeben erschüttert Japan«, schrieb die Agentur Reuters. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass sich daraus eines der folgenreichsten Ereignisse des Jahres 2011 entwickeln sollte. Doch spätestens, als am 12. März vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Reaktor des Atomkraftwerks Fukushima explodierte, führte das zu weltweiter Verunsicherung – nicht nur bei Erwachsenen, auch bei vielen Kindern.

Das Reaktorunglück in Japan ist die erste Katastrophe mit globalen Folgen, die die »logo!«-Zuschauer im Alter zwischen acht und zwölf Jahren bewusst mitbekamen. Begriffe wie »Kernschmelze«, »Reaktorsicherheit« oder »radioaktive Strahlung«, die in ihrem Wortschatz zuvor nicht vertreten waren, tauchten auf einmal überall in den Medien auf und wurden anschließend beim Abendbrot mit den Eltern diskutiert.

In den Tagen nach der Katastrophe gingen täglich Hunderte von E-Mails, Chat- und Gästebucheinträge mit Fragen und Kommentaren zu Japan bei »logo!« ein: »Kann die Radioaktivität zu uns kommen?«, »Was passiert jetzt mit den Menschen in Japan?« oder »Warum werden überhaupt Atomkraftwerke gebaut, wenn sie so gefährlich sind?«. »logo!« stellte seine Berichterstattung konsequent darauf ein: In täglichen Schwerpunkten wurden verschiedene Aspekte der Katastrophe beleuchtet. In Dutzenden von Erklärstücken wurden Fragen wie: »Was ist ein Tsunami?«, »Wie funktioniert ein Atomkraftwerk?« oder »Was ist eine Kernschmelze?« anhand von Grafiken nachvollziehbar erklärt. Experteninterviews und Schaltgespräche mit den ZDF-Korrespondenten lieferten zusätzliche Einordnungen. Die Kolleginnen und Kollegen des Studios Tokio haben »logo!« dabei von Anfang an tatkräftig unterstützt. Trotz schwierigster Bedingungen vor Ort (siehe Artikel von Johannes Hano in diesem Jahrbuch) waren sie für »logo!« jederzeit ansprechbar, lieferten Beiträge aus Kinderperspektive und standen der Redaktion mehrmals für Schalten zur Verfügung.

Höhepunkt der Japan-Berichterstattung war ein 25-minütiges »logo! extra« (»Japan – Eure Fragen«), in dem die wichtigsten Fragen der Kinder beantwortet wurden. Experte im Studio war Volker Erbert, Physiker und Wissenschaftsexperte von ZDF Digital. Mit einfachen Worten, anschaulichen Beispielen und mit großer Ruhe und Gelassenheit stellte er sich den Fragen der Kinder – sowohl während der Sendung als auch danach.

Die »extra«-Sendung war das erste interaktive »logo!«-Format mit direkter Zuschauerbeteiligung im Studio. Da das Studio N, das virtuelle Nachrichtenstudio, für eine Sendung mit rund 50 Kindern nicht ausgelegt ist, musste in drei Tagen eine komplett neue Studiodeko im Studio 3 gebaut werden.

Dank großem Engagement und vielen kreativen Ideen der Bühne, Regie, Produktion und Redaktion entstand ein Format, das zwar aus der Not heraus geboren wurde, sich aber gleich beim ersten Mal bewährt hat und bei unseren Zuschauern sehr gut angekommen ist. Daher soll es auch künftig für ähnliche Anlässe genutzt werden.

Das »logo! extra« erreichte im KI.KA fast 800 000 Zuschauer und einen Zielgruppenmarktanteil bei Drei- bis 13-Jährigen von knapp 27 Prozent. Ebenso gefragt waren die »logo!«-Onlineseiten. Hier war eine umfangreiche Hintergrundberichterstattung zum Thema Japan zu finden. Kinder konnten die Erklärstücke zum Thema gebündelt abrufen und in zusätzlichen Chats und Foren ihre Fragen loswerden. Kinder haben das Angebot intensiv genutzt: Die Pageimpressions von logo.de waren im März fast doppelt so hoch wie in allen anderen Monaten des Jahres 2011. Diese Zahlen belegen, dass es gerade in Krisenzeiten einen immensen Bedarf an kindgerechter Information gibt. »logo!« ist hier erste Adresse.

Auch zur Wirtschaftskrise, die 2011 globale Ausmaße annahm, hatten Kinder viele Fragen. Doch wie kann man ein Thema, das selbst bei erwachsenen Zuschauern Fragen aufwirft und das sogar erfahrenen Redakteuren Schweißperlen auf die Stirn treibt, kindgerecht aufbereiten? Auch, wenn es paradox klingt: Bei einem so komplizierten Thema ist es zunächst hilfreich, genau darauf zu hören, wie Kinder darüber denken. Im Alter von etwa zehn Jahren haben sie bereits eine Menge an Erfahrungen gesammelt. Sie entwickeln in vielen Fällen selbstständig und sehr kreativ Erklärungen für die Phänomene ihrer Lebenswelt.

So war eine zentrale Frage, die Kinder im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise immer wieder gestellt haben: »Wenn Länder Schulden haben, warum drucken sie dann nicht einfach mehr Geld?«. Andere Kinder entwickelten sogar eigene Vorschläge, wie man Griechenland helfen könnte. So schrieb die elfjährige Nadine: »Warum kann Griechenland nicht einfach eine Band gründen und die auf Weltreise schicken, um dann für Geld zu spielen?«.

An Fragen und Erklärungen aus Kindersicht knüpft »logo!« an. So dienten Fragen wie: »Wie kann es eigentlich passieren, dass ein Land pleite geht?« als Grundlage für die Konzeption von »logo!«- Beiträgen und Erklärstücken.

Darüber hinaus steigt die Relevanz von Themen, wenn Kinder in die Berichterstattung integriert werden. So hat »logo!« griechische Familien in Deutschland besucht, hat berichtet, wie es an den Schulen in Griechenland aussieht oder hat eine Kinderreporterin zum Interview mit dem Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker geschickt. Als die Proteste gegen die Sparmaßnahmen in Athen ihren Höhepunkt erreichten, war ein »logo!«-Reporter vor Ort, um griechische Kinder zu treffen und sich mit ihnen über die Auswirkungen der Krise auf ihr tägliches Leben zu unterhalten.

Während es bei einem Thema wie der europäischen Wirtschaftskrise relativ einfach ist, betroffene Kinder zu finden, erwies sich das bei einer andere großen Krise des Jahres 2011 als größte Herausforderung für die »logo!«-Berichterstattung: bei den Revolutionen in Nordafrika – einem Thema, das »logo!« und seine Zuschauer ebenfalls das ganze Jahr über beschäftigte. Generell war die Nachrichten- und Bilderlage aus den verschiedenen Ländern schwach, und an Informationen über Kinder in den betroffenen Gebieten zu gelangen, war fast ausgeschlossen. Dabei sind persönliche Geschichten aus der Zielgruppenperspektive für unsere Berichterstattung elementar. Denn nur das, was emotional berührt, wird von Kindern auch als relevant empfunden. In dieser Situation kam der Sendung zugute, dass »logo!« junge Zuschauer in der ganzen Welt hat: Deutsche Kinder, die im Ausland leben oder ausländische Kinder, die »logo!« sehen, um Deutsch zu lernen. Eines dieser Kinder ist der zehnjährige Malik. Er lebt in Kairo und schrieb am 3. Februar 2011 ins »logo!«-Gästebuch: »Hallo, ich wohne in Kairo ziemlich nah am Tahrir-Platz. Mein Papa war heute demonstrieren. Es war friedlich, aber ich durfte nicht mit. Mubarak versteht sein Volk, glaube ich, nicht (...)«. Wir nahmen daraufhin Kontakt mit ihm auf und fragten ihn, ob er bereit sei, uns in der Sendung Fragen zu beantworten. Er stand uns dann mehrmals per Skype-Schalte Rede und Antwort und erzählte uns auf dem Höhepunkt der Proteste, dass seine Schule geschlossen sei und dass er sich Sorgen um seinen Vater mache, der weiterhin täglich demonstriere. Nach dem Ende der Revolution berichtete Malik, wie sehr er sich freue, dass die Proteste erfolgreich waren.

Doch während die Revolution in Ägypten zunächst verhältnismäßig glimpflich ablief, gaben die Ereignisse in Libyen und Syrien unseren Zuschauern wesentlich größeren Anlass zur Sorge. Was sie besonders beschäftigte, war die Frage, warum einige Herrscher in Nordafrika auf ihr eigenes Volk schießen und sich so lange an der Macht halten können.

Nachrichtenereignisse wie die Revolutionen in Nordafrika, die Wirtschaftskrise in Europa und die Atomkatastrophe in Japan haben eines gemeinsam: Kinder entwickeln eine große Empathie mit den Betroffenen vor Ort und geben sich mit einer kurzfristigen, schlaglichtartigen Berichterstattung nicht zufrieden. Unsere Zuschauer fordern weitere Beiträge und Erklärungen ein, sobald wir einige Tage oder Wochen über ein Thema nicht berichtet haben. Kinder wollen und brauchen Fortschreibungen, Hintergründe, Ergebnisse und bestenfalls ein Happy End. Fragen können wir (meistens) beantworten, Hintergründe und Fortschreibungen können wir liefern. Ein Happy End aber gibt es auch in Kindernachrichten nur selten.

Markus Mörchen
»logo!«-Erklärgrafik: Was sind Staatsanleihen?
»logo!«-Kinderreporterin Sophie trifft Jean-Claude Juncker
Selbstgemaltes Bild der »logo!«- Zuschauerin Paula Salomon