Claus Kleber, Hauptredaktion Aktuelles/Redaktion »heute-journal«
Angela Andersen, Hauptredaktion Aktuelles/Redaktion »heute-journal«
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Für Autoren ist es ein besonderer Glücksfall, wenn ein Sender bereit ist, Geld und Sendeplätze zu investieren in eine Reportage, die mit nicht mehr beginnt als mit einer Beobachtung und einer Frage. So entstand »Machtfaktor Erde«. Die Beobachtung: Ob man nun Menschen dafür verantwortlich macht oder nicht – unser Planet verändert sich massiv. Eismeere brechen auf, Wüsten verlagern sich, die uralten Rhythmen von Dürren und Regenzeiten geraten aus dem Takt. Die Frage: Muss das nicht Folgen haben? Für Industrien, für die Militärs, für Strategien und Außenpolitik großer Mächte?

Die letzte große Kältephase der Erde war eine der Ursachen für die europäische Völkerwanderung und damit für das Ende des Römischen Reiches. Gravierend genug, aber zu dieser Zeit gab es noch Platz, Völker konnten wandern, wohin sie wollten. Und sie hatten jede Menge Zeit, weil die Veränderungen Jahrhunderte in Anspruch nahmen. Diesmal geht es um eine globale Erwärmung – und eine ganz andere, rasante Dynamik. Wie wird das werden für unsere dicht vernetzten, militarisierten, hochgezüchteten Industriegesellschaften?

Das klingt interessant, wichtig und für die Produktion teuer. Aber es klingt ganz sicher nicht nach einem Straßenfeger. Das beginnt schon beim Reizwort »Klima«. Im »heute-journal« beobachten wir seit Jahren, dass die bloße Erwähnung des Wortes »Klimawandel« Tausende von Zuschauern zum Ab- oder Umschalten bringt.

Für Filmemacher, die ja auch Erfolg haben wollen, ist das also nicht unbedingt ein Themenfeld, auf das sie mit Begeisterung springen. Und doch: Als wir aus immer mehr Quellen und verschiedenen Ländern hören, dass sich Strategen zunehmend um die Gefahren des Klimawandels für den Weltfrieden sorgen, fangen wir Feuer. Nach Gesprächen im Verteidigungsministerium in Berlin, im Pentagon, bei den Vereinten Nationen, im Austausch mit Think-Tanks in China, Indien und Peru verdichtet sich der Eindruck: Überall beziehen Militärs, Städteplaner und Rohstoff-Experten die rasanten Veränderungen des Planeten in ihr Kalkül mit ein.

Die Recherche ist also vielversprechend. Peter Frey, der Chefredakteur, geht das Wagnis ein. Er setzt mit uns darauf, dass sich die Zuschauer für komplexe Sachverhalte gewinnen lassen, wenn sie Neues erfahren, das ihnen nirgendwo sonst gezeigt wird. Wer soll das anbieten, wenn nicht ein öffentlich-rechtliches Informationsprogramm? Wir bekommen den Sendeplatz, den Etat und unser »Dream-Team« in Redaktion, Produktion, Kamera und Schnitt. Unsere Dokumentation fügt sich später ein in den Programmschwerpunkt »BURNOUT – Der erschöpfte Planet«, der sich in einem großen Fernsehfilm »Verschollen am Kap«, in Dokumentationen, Reportagen, Talk und Magazinformaten eine Woche im November mit dem Thema endlicher Ressourcen beschäftigt.

Nun könnten die Abenteuer beginnen, tatsächlich beginnen erst mal die Probleme. Wir wollen unter anderem in Asien, Russland, Südamerika und Afrika drehen. Selbst wenn wir nicht mit der Tür ins Haus fallen und von einer Bedrohung für den Weltfrieden reden, sind nicht alle wild darauf, uns für ein solches Filmprojekt Drehgenehmigungen zu erteilen. In vielen Ländern ist der Themenkomplex »Klimawandel und nationale Sicherheit« schon längst nicht mehr so akademisch-fern wie bei uns im mild temperierten Westeuropa. Da geht es um handfeste Interessen und akute Gefahren. Fernsehteams sind da für manche ein schwer kontrollierbarer Störfaktor. Unermüdlich ringen Christoph Caron und Bernd Arens in Redaktion und Produktion mit Konsulaten, Botschaften und Behörden in den jeweiligen Hauptstädten. Oft helfen uns die deutschen Diplomaten am Ort mit großem und dankenswertem Engagement. Sie kennen die Brisanz unseres Themas aus nächster Nähe und sind froh, dass darüber ein Film im Hauptabendprogramm entstehen soll.

Das Hochland von Tibet und die Gletscher im Himalaya sind die Süßwasserspeicher Asiens. Hier entspringen große Flüsse, in deren Einzugsgebiet mehr als eine Milliarde Menschen leben. Sie fließen nicht mehr wie früher. Indische und chinesische Truppen stehen sich im höchsten Gebirge der Welt gegenüber. Dort wollen wir drehen. Peking hatten wir in dieser Sache gar nicht erst um Erlaubnis gebeten. Aber auch aus Indien schallt zunächst: »Ausgeschlossen mit drei Ausrufezeichen«.

Endlich bekommen wir die Visa und fliegen über Neu-Delhi nach Ladakh, in die atemberaubende Landschaft des ehemaligen Königreichs, das als das »indische Tibet« gilt. In den einschlägigen Führern wird geraten, sich in mehr als 3000 Metern Höhe mit der Akklimatisierung drei Tage Zeit zu lassen und möglichst wenig zu bewegen. Bei unserem eng gestrickten Drehplan ist es schon ein Luxus, dass wir uns den Nachmittag nach der Ankunft freinehmen, uns orientieren, nach Motiven suchen und die Altstadt von Leh erkunden. Wir bummeln vorbei an flatternden Gebetsfahnen und lächeln zurück in die gegerbten Gesichter der Bauern auf dem Markt, die ihre getrockneten Aprikosen und Mandeln feilbieten. Jan Prillwitz, unser Kameraassistent, weiß gar nicht, was er zuerst fotografieren soll.

Beim Mango Lassi, einem Joghurtgetränk, machen wir einen Schlachtplan für den morgigen Tag. Wir wissen noch nicht, ob wir wirklich in der Garnison drehen dürfen. Auf einer großen Militärbasis wird die Truppe ausgebildet, die diesen Teil der unwirtlichen Grenze zu China bewacht. Immer wieder kommt es in der Region zu Scharmützeln. Jetzt, da China vorbaut für die zunehmenden Dürren und sich daranmacht, mit riesigen Staudämmen Indien das Wasser abzugraben, soll diese Elitetruppe eine unserer zentralen Geschichten sein. Wie das ausgeht, weiß jeder, der den ersten Teil der Dokumentation über die »Beutezüge im Klimawandel« gesehen hat.

Ein Sprung nach Gambella, Äthiopien, und dem zweiten Teil des Films: Unser zerbeulter Leihwagen rast über die Schotterpiste. Wir Westler würden weniger Gas geben bei all den uns entgegen kommenden Eselskarren und Menschen, die unglaubliche Lasten auf dem Kopf balancieren und nur manchmal ausweichen. Unser junger Fahrer Belay vertraut auf sein Reaktionsvermögen und auf die Mutter Gottes, die als Heiligenbild am Spiegel schaukelt und bei jedem Schlagloch einen Satz macht – wie wir auf den hinteren Plätzen.

Wir dürften auf keinen Fall die neuen Reisfelder drehen, hieß es in Addis Abeba. Das macht uns natürlich noch neugieriger. Die Repräsentanten der Firma Saudi Star hatten wohl Sorge, dass wir über »Landraub« berichten oder »Neokolonialismus«. In Äthiopien, einem Land, das eher mit erschreckendem Hunger in Verbindung gebracht wird, klopfen Geschäftsleute aus Indien, Pakistan, Japan und Saudi-Arabien bei Diktator Meles Zenawi an, um riesige Landflächen zu pachten. Der Grund: In vielen Ländern ist das Wetter beim Getreideanbau inzwischen eine unkalkulierbare Größe. Hier im Westen Äthiopiens ist der Boden gut und genug Wasser vorhanden, um Millionen Tonnen Reis im Jahr anzubauen. Am nächsten Tag geht es nach Abobo zum »verbotenen Dreh«. Wir biegen ab in eine Sandstraße, auf der Affenfamilien herumspringen, fahren ein paar Kilometer und trauen unseren Augen nicht. Auf einem schier endlos großen Platz stehen reihenweise nagelneue Planierraupen, Bagger und Traktoren. Dieser riesige Fuhrpark wirft einen um in einem Land, in dem die meisten Bauern noch schnalzend mit ihrem Ochsengespann den Boden durchfurchen. Saudi Star will am Horn von Afrika insgesamt so viel Land pachten, dass es fast der Größe Belgiens entspricht. Auf diesem Gebiet leben aber Bauern, die dann weichen müssen. Die Begegnung mit den Vertriebenen in Gambella gehört zu den Erlebnissen, die uns auf diesen Reisen am meisten berührt haben.

Bei keiner anderen Produktion haben wir das große Privileg unseres Berufs intensiver und dankbarer gespürt als bei »Machtfaktor Erde«. Wir werden bezahlt für das Erleben und Berichten. Wir waren anderthalb Jahre lang – so wie es der Takt der »heute-journal«-Moderationen erlaubt – auf allen Erdteilen unterwegs. Wir haben Menschen kennengelernt, die sich unserer Arbeit in den Weg stellten und solche, die aus Furcht vor Repressalien nicht mit uns sprechen wollten. Aber eben auch andere: Bauern in Gambella, Indianer in den Slums von Lima, den US-Generalstabschef und den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ihnen waren wir willkommen, weil sich endlich ein großer Fernsehsender um ein Thema kümmert, das ihnen den Schlaf raubt.

Aus einer Beobachtung und einer einfachen Frage ist ein Film geworden, der in seinen beiden Folgen zwei Mal rund drei Millionen Zuschauer interessierte und – wie wir erfahren haben – auch in Ministerien und Think-Tanks enormes Interesse gefunden hat. Einer der Beiträge der Chefredaktion zum viel beachteten Schwerpunkt »BURNOUT – Der erschöpfte Planet«.

Claus Kleber
Angela Andersen
Claus Kleber im Gespräch mit einem äthiopischen Bauern
Wassertanklaster in Lima, Peru
Teamfoto vor der Abreise: Jürgen Rapp, Jan Prillwitz, Claus Kleber und Angela Andersen