Alexander Hesse, Leiter der Redaktion Geschichte und Gesellschaft
Jens Monath, Redaktion Geschichte und Gesellschaft
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Angefangen hat alles im Sommer 2010. 3D war das Thema auf den Messen und in der Doku-Branche. Jeder suchte seinen »Avatar« – wir machten uns mit maßgeschneidertem Equipement auf in die Alpen. Dabei ist die Technik alles andere als neu.

Schon der erste 3D-Film der Brüder Lumière vor über 100 Jahren war das Gesprächsthema: Die Kinobesucher flüchteten aus dem Vorführsaal, weil sie Panik bekamen, als plötzlich ein Zug wie von Geisterhand gesteuert vor die Leinwand trat. Seitdem wurden viele weitere Anläufe mit der Dreidimensionalität unternommen. Meistens dann, wenn die Kinokassen und -säle leer blieben und das Fernsehen den Vorzügen des Kinos bedenklich nahe kam. 3D war über Jahrzehnte nur ein Joker in der Krise der Filmindustrie. Und fast jedes Mal wurde eine Zeitenwende prognostiziert mit vollmundigen Voraussagen: Niemand käme an der Technik vorbei. In wenigen Jahren würden alle nur noch im stereoskopischen Verfahren senden.

Und schließlich hat bei der neuesten Diskussion ein schillerndes Projekt alles verändert. Eine Produktion, die zur Nummer eins unter den Blockbustern wurde: »Avatar« – der erfolgreichste Film aller Zeiten. Seitdem ist kein Monat, ja fast keine Woche vergangen, ohne dass unsere Redaktion mit neuen Angeboten für schicke 3D-Dokumentationen bombardiert wurde: Ägypten in 3D, Berlin in 3D, die Schlacht von Waterloo in 3D, Deutschland von oben, von unten und von der Seite in 3D. »Terra X«, so die Meinung von außen, könne doch Vorreiter sein, so wie damals, als wir »Michelangelo«, die erste HD-Doku des ZDF, erstellt haben. Schließlich sei ja sogar eine Dokumentation über Tanzende ein großer Erfolg, schallte es uns entgegen: Wim Wenders’ Film über Pina Bausch. Hat aber die neue Tiefendimension tatsächlich das Zeug, um sich zu etablieren?

In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der 3D-Kinofilme sprunghaft angestiegen. Große Kinoproduktionen wie »Harry Potter« oder »Transformers« wurden sowohl als 2D- wie auch als 3D-Version angeboten. Die Filmindustrie investiert kräftig. Die Welle bewegte auch das Fernsehen: Gab es 2010 weltweit etwa zehn Sender, die ausschließlich in 3D ausgestrahlt haben, sind es mittlerweile über 40. Immer häufiger hören wir bei den Koproduktionsgesprächen: »Do you plan a 3D version?«. In den großen Hauptprogrammen ist die Ausstrahlung mit der dritten Dimension derweil nicht gebräuchlich. Noch ist es schwer, ein Massenpublikum zu erreichen: Der entsprechende Fernsehapparat sowie die Spezialbrille für das räumliche Sehen stellen noch erhebliche Hürden dar. Außerdem fehlen noch etliche Erfahrungswerte.

»Die Huberbuam« sollten als erste 3D-Eigenproduktion eines öffentlich-rechtlichen Senders Licht ins Dunkel bringen. Wie entwickeln sich die tatsächlichen Kosten? Wie funktioniert der Workflow? Wie beschwerlich ist es, die 3D-Effekte (die so genannte »negative Paralaxe«) zu erzeugen? Unsere Filmidee war, die Extremkletterer Thomas und Alexander Huber bei ihrer letzten großen Herausforderung zu begleiten. Die bayerischen Brüder gehören zur Weltklasse in ihrem Sport und blicken auf eine lange, an Höhepunkten reiche Karriere zurück. Sie haben das Freiklettern in neue Dimensionen geführt, wegen ihnen musste die Skala der Schwierigkeitsgrade neu definiert werden. Sie waren die ersten, die beim Freiklettern fast Übermenschliches leisteten: »Bei Fehlgriff tot« titelte einst die Süddeutsche Zeitung über die selbst gewählten Herausforderungen des Doppels. Vor ihrem Abschied vom Hochleistungsklettern wollten sie nun die »Karma-Route« bewältigen, eine letzte Klettertour mit höchstem Anspruch.

Mit dem eher schmalen Budget für eine 15-minütige Feiertagsdoku war immerhin ein gewisser finanzieller Grundstock gelegt. Wer aber würde noch einsteigen in das Projekt, wer hat Interesse an der Innovation? Viele waren sofort dabei: ZDF Enterprises hat das Projekt von vornherein mit initiiert. Das Geschäftsfeld Bildgestaltung mit Matthias Haedecke (siehe Aufbruch in eine neue Dimension von Matthias Haedecke) war von Anfang an im Boot und ein Motor der Produktion. Auch die Hauptredaktion Neue Medien ist mit eingestiegen, ebenso der Kreativitätsfond-Ausschuss, das Koordinationsbüro Produktionsmanagement, ZDFneo, ZDFinfo sowie die Aus- und Fortbildung mit Andrea Brandis.

Die Dreharbeiten fanden im Juni und August 2011 in Berchtesgaden und in Österreich statt. Das Alpenpanorama garantierte dabei eine Kulisse mit mehreren Bildebenen – eine gute Voraussetzung, um anschauliche 3D-Effekte zu erzielen. Wie auf der Theaterbühne ergibt sich nur durch die klare Verteilung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund eine räumliche Tiefe. Wie aber mit all dem Equipement aus der Tiefe in die schwindelerregenden Höhen kommen – mit den besten Geschwindigkeitskletterern der Nation? Kameras und Kameramänner mussten auf den Berg und in die Wand gebracht werden, was schon bei einer 2D-Produktion eine enorme Herausforderung darstellt. Bislang existierte auch kein bergtaugliches 3D-Kamerasystem. Ein halbes Jahr dauerte es letztlich für Produktionsleiter Peter Borig und das Team, bis geeignete Kameras umgebaut waren und zwei Berg-Kameraleute verpflichtet werden konnten. Zudem begleitete Alaric Hamacher als so genannter Stereograf das Projekt. Er war ausschließlich dafür verantwortlich, die 3D-Effekte in Abstimmung mit dem Kameramann Claus Köppinger und dem Regisseur Jens Monath umzusetzen. Entstanden ist ein facettenreiches Porträt, in dem grandiose Kletterszenen mit bewegenden Statements verknüpft sind (und ein Schnittprojekt für Cutter Frank Flick mit abenteuerlichem Speicherdurst). Die Brüder erzählen nicht nur von ihrem Sport, sondern auch von krisenhaften Lebenssituationen und schicksalhaften Momenten. Die Offenlegungen der beiden Alpinisten waren mindestens so eindrucksvoll wie die 3D-Effekte der technischen Abteilung. Die spektakulären Aufnahmen gingen deswegen unter die Haut, weil unsere Protagonisten viel von sich preisgaben und tief blicken ließen. Die Bilder – auch in der schönen neuen Welt der dritten Dimension – und die Geschichte verbanden sich zu einer untrennbaren Seilschaft.

Die Reaktionen auf die Dokumentation, in der langen 3D-Version nur übers Netz abrufbar, fielen wie erhofft aus: »Der Film gilt in Sachen Technik, Produktionsbedingungen und Machart als wegweisend für 3D im Fernsehen« (Medien Bulletin), »Das ZDF produziert (...) kein kleines Testvideo, sondern reichlich spektakuläres Extremst-Klettern mit den Huberbuam« (Professional Production), »Dass der Sender damit in Deutschland als Vorreiter im 3D-Bereich zu gelten hat, steht wohl außer Frage« (Kameramann).

Das Projekt hat eine Spur gezogen, auch wenn 3D im Fernsehen noch lange eine Nische bleiben wird. Fakt ist aber auch, dass man die Technik auf Spielkonsolen, Handys und Laptops immer selbstverständlicher antrifft und antreffen wird. Irgendwann werden die Spezialbrillen verschwinden und damit die größte Zugangsbarriere. Auch die bislang hohen Kosten für 3D – gegenüber 2D-Produktionen ist ein knapp doppelt so großer Etat fällig – werden sich, wie bei anderen neuen technischen Verfahren, verringern. Mit den »Huberbuam« haben wir die erste Etappe auf einer ungewissen TV-Tour bewältigt und uns auf Neuland begeben. Für Kulturchef Peter Arens dürfte nun auch der nächste Schritt folgen: »Nun, wo wir Amerika entdeckt haben, sollten wir es auch besiedeln«. Wir nehmen jedenfalls gerne unsere Ausrüstung und unser Wissen wieder in die Hand: für einen weiteren Vorstoß in die gar nicht mehr so unbekannte dritte Dimension

Alexander Hesse
Jens Monath
Thomas und Alexander Huber sind am Ziel
Die »Huberbuam« in Aktion
Die »Huberbuam« in Aktion
Die »Huberbuam« in Aktion