Matthias Haedecke, Produktionsdirektion/Leiter des Geschäftsfelds Bildgestaltung
PDF
Aufbruch in eine neue Dimension
»Die Huberbuam« – Klettern in 3D

Mit der Dokumentation »Die Huberbuam« realisierte das ZDF erstmals eine Produktion in 3D. Eine Aufgabe, die die Macher vor große Herausforderungen stellte und ein gewaltiges Know-how ins Haus transportierte, denn von Planung bis Sendung war das Projekt eine Eigenproduktion.

Dass sich Fernsehmacher direkt der Reaktion des Publikums stellen müssen, kommt nur ganz selten vor. Und so klopften die Herzen des Teams der »Huberbuam« Ende September 2011 gewaltig, als in der Konferenzzone die erste 3D-Produktion des ZDF vorgeführt wurde. Der Andrang war gewaltig, der Raum mit 250 Zuschauern bis auf den letzten Platz besetzt. Aber im Dunkeln und dazu auch noch hinter 3D-Brillen war für Regisseur Jens Monath und die anderen Crewmitglieder nicht auszumachen, wie die Leute den Film fanden. Also hießes: abwarten, bis das Licht wieder angeht.

Über ein Jahr hatte die Arbeit an der Kurzdokumentation über die Extremkletterer Thomas und Alexander Huber gedauert, und nahezu jeder Produktionsschritt hatte die Macher dabei auf technisches und kreatives Neuland geführt. Ende 2010 kamen Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen des Hauses zusammen, die sich für die neue 3D-Technik interessierten: Kulturchef Peter Arens und Alexander Hesse, Leiter der Redaktion Geschichte und Gesellschaft, hatten bei der Sichtung von 3D-Tierfilmen der BBC Lunte gerochen und fragten beim Geschäftsfeld Bildgestaltung an, ob wir im ZDF so etwas auch hinkriegen würden. Da ganz vollmundig »Ja« zu sagen, erforderte Mut. Aber einige Erfahrung konnten wir bereits vorweisen. Kameramann Claus Köppinger hatte bei der renommierten Seminarreihe »Hands on HD« die 3D-Klasse absolviert, und Cutter Frank Flick experimentierte seit einem Jahr mit softwaregestützter Wandlung von 2D nach 3D. Eine Chance, noch mehr Wissen zum Thema 3D ins Haus zu holen, war uns allen willkommen. Und als von Redaktionsseite feststand, die Extremkletterer Thomas und Alexander Huber durch die ultraschwere »Karma-Route« bei Berchtesgaden zu begleiten, war auch das ideale Sujet gefunden. Ist doch die Darstellung von »Steilheit«, die im zweidimensionalen Bild extrem schwierig ist, eine tolle Chance, in 3D eine regelrechte Sogwirkung zu erzielen. Idee vorhanden, Thema gefunden, Team zusammengestellt: Alles in Eigenproduktion – jetzt sollte das ZDF zeigen, ob es auch im 3D-Bereich ganz hoch hinaus kann.

Erst einmal hieß es für alle Beteiligten: büffeln. Das Kernteam machte sich zu Workshops in England und Deutschland auf, um sich noch tiefer in die Materie einzuarbeiten. Denn das Hinzufügen einer Bilddimension bedeutete für alle Beteiligten ein komplettes Umdenken und teilweise auch das Ignorieren von über Jahre gelernten Fähigkeiten. In der 2D-Welt versucht der Kameramann beispielsweise, durch Anschnitte eines im Bildvordergrund befindlichen Gegenstandes oder eines unscharfen Hintergrundes eine Staffelung verschiedener Ebenen zu erreichen, um den Bildern Tiefe zu verleihen. In 3D dagegen will er genau dies vermeiden und gestaltet die Bilder durchgehend scharf. Der Zuschauer erhält so die Möglichkeit, im Bild mit den Augen »spazieren zu gehen«, so wie er es aus der Realität gewohnt ist.

Immer weiter tasteten sich die verschiedenen Gewerke in die dritte Dimension. Doch während das Know-how wuchs, türmten sich auch die Schwierigkeiten. Als echte Herausforderung stellte sich die Zusammenstellung des passenden Equipments heraus. Vor allem eine Kamera, die klein und leicht genug war, um in der Wand ihren Dienst zu tun, konnte erst nach langer Suche kurz vor Drehbeginn gefunden werden. Immerhin musste sie von zwei Kletterkameramännern an Seilen hängend in einer extra leichten Aufhängung bedient werden können. Normale Schultercamcorder wären hier völlig fehl am Platz gewesen. Und wie würde die Arbeit im Schneideraum laufen? Die Bearbeitung zweier Datenströme der Kameras war für eine Fernsehdokumentation ohne Beispiel, denn bislang waren nur Kinofilme oder Sport- und Konzertevents in 3D produziert worden. Dass Regisseur Jens Monath und Cutter Frank Flick während der gesamten Schnittzeit bebrillt sein würden, verstand sich von selbst.

Bei allem drängte die Zeit, denn neben der »klassischen« 15-minütigen Kurzdoku, die am 3. Oktober um 17.15 Uhr in 2D ausgestrahlt werden sollte, würde zeitgleich die 45-minütige 3D-Version entstehen, die über die ZDFmediathek im Internet bereit gestellt werden sollte. Nur so würde es möglich sein, die Zuschauer mit 3D zu erreichen, denn noch ist die Anzahl von 3D-fähigen Fernsehern in den Haushalten zu gering. Doch dieser Ausstrahlungsweg wurde nicht als Verlegenheitslösung gewählt, sondern als willkommener Anlass, Internet und Fernsehen noch weiter miteinander zu verschmelzen. Während sich für jedes Problem eine Lösung fand, blieb ein natürlicher Faktor unberechenbar: das Wetter. Und es kam, wie es kommen musste. Das wechselhafte Jahr 2011 machte den Dreharbeiten ein ums andere Mal einen Strich durch die Route. Im Frühjahr war es der Schnee, im Sommer der Regen. Erst eine Nachdrehphase im August brachte die Bilder, die sich alle erhofft hatten. Und was für Bilder! Die »Huberbuam« sind nur etwas für Schwindelfreie, denn wohl noch nie ist es einer Fernsehdokumentation gelungen, das atemberaubende Gefühl des Extremkletterns so sehr einzufangen. Wenn Thomas Huber auf dem Bildschirm ins Seil stürzt, zieht der Zuschauer hörbar den Atem ein.

Als am 29. September das Licht in der Konferenzzone wieder anging, setzte tosender Applaus ein, und wohl eine komplette Felswand fiel den Machern vom Herzen. Im Schutz der Dunkelheit waren die Protagonisten Thomas und Alexander Huber in den Vorführraum gekommen und gingen nun nach vorn auf die Bühne: Zu Recht können auch die beiden stolz sein auf einen Film, mit dem das ZDF einmal mehr Innovationskraft bewiesen hat.

Die Resonanz in der Presse auf den mutigen Vorstoß des ZDF war riesig. Die Fachorgane lobten den Mut und die technische Perfektion, aber auch Programmzeitschriften, Tageszeitungen und Wochenmagazine wie die BUNTE, berichteten höchst interessiert. Immer wieder wurde das ZDF mit der Frage konfrontiert, ob die »Huberbuam« der Auftakt zu weiteren 3D-Aktivitäten des ZDF seien. Eine Frage, die während der Produktionszeit noch zweitrangig war: Galt es hier doch erst einmal, zu lernen und zu experimentieren.

Matthias Haedecke
Zuschauer bei der 3D-Vorführung im Konferenzzentrum des ZDF
Regisseur Jens Monath und das Team beim Dreh
Die »Huberbuam« in der Steilwand