Christian Dezer, Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen
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»ZDFzoom«: Als die Doku aus der Nacht kam
Von der Wiederentdeckung der Königsdisziplin des Journalismus

Seit dem 11. Mai 2011 hat die politische Dokumentation wieder ein Zuhause in der Primetime des ZDF. Seit diesem Tag sendet »ZDFzoom« wöchentlich 30- oder 45-minütige Filme zum Zeitgeschehen und gibt der vertiefenden und hintergründigen Berichterstattung des Senders einen herausgehobenen Stellenwert.

Alles begann an einem Nachmittag Mitte Dezember 2010. In den Tagen zuvor hatte es ein wenig geschneit, der erste Frost war gekommen, und die Stimmung wurde langsam weihnachtlich. In der neugegründeten Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen atmeten viele nach einem aufregenden Jahr zwischen der Fusion zweier Hauptabteilungen und umfänglicher Berichterstattung gerade ein bisschen durch.

Da meldete sich plötzlich der Chefredakteur Peter Frey. Seine Mitteilung war kurz und präzise und von weitreichender Bedeutung. Er teilte mit, dass es bei der nächsten Programmschemareform im kommenden April einen neuen Sendeplatz für politische Dokumentationen geben solle. Deshalb benötige er noch vor Weihnachten ein überzeugendes Konzept.

Lange hatten die Dokumentaristen in der Chefredaktion auf ein solches Signal gewartet, ja, darauf gehofft. Hunderte von Dokumentationen hatte es in den vergangenen Jahren gegeben, aktuell, hintergründig, investigativ, viele gute Themen waren dabei und so mancher preisgekrönte und herausragende Film. Aber immer fehlte die feste Heimat, der feste Sendeplatz. Die politischen, auch gerne »relevant« genannten Dokumentationen liefen mal in der frühen, mal in der späten Primetime und häufig erst spät in der Nacht.

»Zündstoff« – so hieß die letzte richtige Dokumentationsreihe für die hintergründige Dokumentation im ZDF. Sie behandelte die heißen Eisen aus Politik und Gesellschaft. »Zündstoff«, nur die Altvorderen erinnern sich noch daran, starb irgendwann Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrtausends. Vielleicht zu Recht, weil eine solche Form der Doku-Erzählung wie Bildungsbürgerfernsehen daherkam und nicht mehr zeitgemäß war.

Im Winter 2010 gab es dann die Aussicht auf einen neuen Sendeplatz, die Chance auf ein richtiges Dokumentationsformat. Kurzerhand wurde eine Klausurtagung einberufen. Es wurde diskutiert, überlegt und gerungen, Doku-Beispiele aus dem In- und Ausland gesichtet, Rat von Grafikexperten und Designspezialisten eingeholt. Der Titel wurde aber schon bald im neuen Jahr gefunden: »ZDFzoom« sollte er lauten und für das näher Herangehen, das genaue Betrachten stehen.

Jetzt, nur ein Jahr später, kann man sagen, dass »ZDFzoom« zu einem klaren publizistischen Statement geworden ist: Die Reihe steht für selbstgemachten, nachfragenden und investigativen Journalismus. Kennzeichnend für »ZDFzoom« ist die frische Optik und der ästhetische Ausdruck des neuen Formats. Gedreht wird überwiegend mit 5D-Kameras, die einen besonderen »cineastischen Look« erzeugen. Große Unterstützung kam dabei vom Geschäftsfeld Kamera, das diesen neuen Weg mit großem Engagement begleitet hat. In nur kurzer Zeit wurden für »ZDFzoom« sowohl im Kamerabereich als auch im Schnitt neue Wege beschritten, die es möglich machen, dass »ZDFzoom« mit der entsprechenden Qualität produziert werden kann.

»ZDFzoom« setzt grundsätzlich auf das Thema, auf den Inhalt. Die Redaktion versteht ihre Sendung als hintergründiges Informationsmodul. Erzählt wird die Story von einem »handelnden Autor« – als Bindeglied zwischen Zuschauer und Thema. Der Autor macht seine Vorgehensweise, seine Recherche und seine Ergebnisse transparent und für den Zuschauer nachvollziehbar. Er nimmt das Publikum an die Hand oder streckt zumindest seine Hand hilfreich aus, um durch vielschichtige und komplexe Themenbereiche zu führen.

Dabei ist »ZDFzoom« kein Presenter-Format. Die Dokumentation steht vielmehr in der Tradition der britischen, französischen oder skandinavischen Formate, wie »Panorma«, »envoyé speciale« oder »uppdrag granskning«, was so viel wie »Auftrag aufklären« bedeutet. Bei diesen Dokumentationsformaten treten die Autoren in der Regel zurückhaltend auf, bringen die Geschichte im On voran, wenn es passend ist, und nur dann, wenn ihre Aktionen und Auftritte vor der Kamera auch Sinn machen.

Kennzeichen von »ZDFzoom« sind auch die 3D-Grafiken, die in die Filme integriert werden und eine zusätzliche Informationsebene bieten. Grafiken und Zusatzinfos sind so nicht länger Bildtrenner, sondern Ergänzungen, die beiläufig mitkonsumiert werden können, ohne den Erzählfluss zu unterbrechen. Diese Form der grafischen Aufbereitung hat sich sehr schnell zu einem Markenzeichen von »ZDFzoom« gemausert. In der Welt der eher klassischen Dokumentationserzählungen hat »ZDFzoom« so für Auffälligkeit gesorgt. »ZDFzoom « hat sich vorgenommen, möglichst nah an der Lebenswelt der Zuschauer zu sein. Vielleicht interessiert sich der Zuschauer nicht für die große Gesundheitsreform, aber er will wissen, warum er als Kassenpatient ein Patient zweiter Klasse ist. Beim Thema Energie interessiert ihn eher die Frage: »Wieso ist mein Strom so teuer?«. Und erst dann: »Wer ist dafür verantwortlich?«, um sich auf die Hintergründe der deutschen Energiewirtschaft einzulassen. Wenn es um ein Oligopol der Mineralölkonzerne geht, ist die naheliegende Frage: »Wer ist für die hohen Spritpreise verantwortlich?«.

»ZDFzoom« hat eine komplett neue Redaktion bekommen, zusammengesetzt aus Kolleginnen und Kollegen aus vielen Bereichen der Chefredaktion. Das neue Team hat seine Wurzeln in der alten Innen- und Außenpolitik, in der Aktualität und bei den ZDF-Reportern.

Mit großem Elan geht das »ZDFzoom«-Team jede Woche aufs Neue an die Herausforderung, die Zuschauer für politische Themen zu interessieren. Dabei stehen auch aktuelle Probleme im Fokus, sofern sie sich in kurzer Zeit dokumentarisch und hintergründig aufarbeiten lassen. Die vertiefende Information und das Erklären von politischen Zusammenhängen ist für »ZDFzoom« maßgeblich.

Der Zuschauer soll aus dem Kleinen, das ihn direkt betrifft, zum Großen und Ganzen geführt werden. »Das Reiskorn im Wasserglas«, hat das der berühmte Dokumentarfilmer Gert Monheim einmal genannt. Was bedeutet die kleine Geschichte für den Gesamtzusammenhang? Wie steht was in welchem Verhältnis? Auf diese Fragen wünschen sich viele Zuschauer in dieser schnelllebigen Zeit Antworten, Einordnungen und Erklärungen.

Ein paar der »ZDFzoom«-Themen haben das im ersten Jahr ganz gut geschafft: »ZDFzoom« berichtete über die Tricks der Versicherungen, es ging um die umstrittene Methode der Erdgasförderung, »Fracking«, um den Organhandel im Kosovo, den illegalen Handel mit deutschem Computerschrott in Ghana oder um die Fakten beim Prozess um den Wettermoderator Jörg Kachelmann.

Gut acht Monate nach dem Sendestart kann man festhalten: »ZDFzoom« etabliert sich als Marke, die im Interesse der Zuschauer berichtet. Das zeigt die steigende Zahl von Zuschriften und Mails, in denen uns Zuschauer auf Themen und Missstände aufmerksam machen. Im neuen Jahr wird »ZDFzoom« erstmals investigative Themen präsentieren, die von Zuschauern ins Rollen gebracht wurden. Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung hat »ZDFzoom« erste Erfolge erzielt. Beim 44. Bundeswirtschaftsfilmpreis erhielt die Reihe gleich zwei Preise: Für kompetente wirtschaftspolitische Berichterstattung gewann »ZDFzoom« den zweiten und dritten Platz.

Es begann an einem kalten Dezembertag. An diesem Tag fand die politische Dokumentation im ZDF aus der Nacht in die Hauptsendezeit zurück. Das war ein guter Tag fürs ZDF und für die Königsdisziplin des Journalismus – die Dokumentation.

Christian Dezer
Das »ZDFzoom«-Team
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