Stefan Brauburger, Redaktion Zeitgeschichte
Georg Graffe, Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft/Redaktion Geschichte und Gesellschaft
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Welcher Programmakzent ist für den zehnten Jahrestag des 11. September angemessen? Allein im ZDF ist der Terrorakt, der die Welt erschütterte, in hunderten Programmstunden beleuchtet worden. Kann man der Aufarbeitung des Geschehens überhaupt noch etwas hinzufügen? Und wenn ja, was? Bei der Suche nach Antworten entstand die Idee zur Reihe »Der Heilige Krieg«. Die Filme führen vor Augen, wie im Lauf der Jahrhunderte auf christlicher und muslimischer Seite religiöse Gefühle für politische Zwecke mobilisiert und missbraucht wurden. Sie zeigen aber auch, dass es immer Gemeinsamkeiten gab und die Sehnsucht nach Frieden.

Der 11. September ist nicht nur eine Zäsur der Weltgeschichte, er ist auch ein Moment, der die Erinnerung ganzer Generationen prägt. Die Bilder von dem verheerenden Anschlag auf die Twin Towers sind von prägender Symbolkraft, wecken immer noch Ängste, aber auch Vorurteile. Die Urheber des Anschlags sahen sich als Gotteskrieger. Al-Kaida hatte eigenmächtig den »Dschihad« ausgerufen und wollte ihn in das Herz der westlichen Supermacht tragen. Seither sehen sich Muslime oft pauschal dem Vorwurf ausgesetzt, der »Heilige Krieg« sei ein fester Bestandteil ihres Glaubens, ihre Religion neige zur Gewalt.

Doch militanter Islamismus ist nicht gleichzusetzen mit Islam. Zudem wird oft übersehen, dass das Phänomen des »Heiligen Krieges« im Lauf der Geschichte keineswegs auf den muslimischen Kulturkreis beschränkt war, dass viele blutige Kriege im Namen Gottes nicht zuletzt zwischen den christlichen Konfessionen geführt wurden. Dies galt es herauszuarbeiten. Insofern gab es wichtige Gründe, zum zehnten Jahrestag des Anschlags auf das World Trade Center einen Programmakzent zu setzen, der das Thema grundlegender spiegelt und auch historisch reflektiert.

So beleuchtet die fünfteilige Reihe sowohl die islamische als auch die christliche Perspektive. Die Filme führen vor Augen, welchen Einfluss die Denkmuster so genannter »Heiliger Kriege« auf das Verhältnis zwischen den Religionen bis heute haben. Die Reihe soll aber auch zeigen, dass es immer auch das Miteinander gab und eine gegenseitige Befruchtung der Kulturen.

Nie zuvor wurde das Thema im Fernsehen so aufwändig und zur besten Sendezeit dargestellt. Ein weiteres Mal, nach zwei Staffeln »Die Deutschen«, haben die Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft und die Redaktion Zeitgeschichte miteinander kooperiert, das in Jahren gewachsene Know-how eingebracht und die Autoren gestellt. Wieder war die Gruppe 5 mit Produzent Uwe Kersken mit der Herstellung beauftragt. Wieder entstand in Zusammenarbeit mit der Hauptredaktion Neue Medien ein umfassendes multimediales Onlineportal. Wieder wurde das Projekt von renommierten Wissenschaftlern begleitet, und einmal mehr hat der Geschichtslehrerverband Unterrichtsmaterial zu einer historischen Dokumentarreihe erarbeitet.

Dramaturgisch stellte uns das Projekt vor größere Herausforderungen als die Reihe »Die Deutschen«, denn dort standen prominente historische Figuren im Vordergrund, die den Blick in die historischen Epochen ebneten. Ihr Schicksal, ihr Werdegang konnte als Leitfaden für die Filme dienen. Es ist aber ungleich schwerer, vergleichbare Protagonisten für ein Thema wie »Der Heilige Krieg« zu finden. Denn hier ging es darum, entscheidende historische Momente zu markieren, die beispielhaft und symptomatisch für die Tradition der angeblich »Heiligen Kriege« waren.

So ergab sich eine ereignisorientierte, chronologische Gliederung der Reihe. Sie setzt bei der Ausbreitung der muslimischen Religion nach ihrer Gründung durch Mohammed im siebten Jahrhundert ein. Im Gang durch die Geschichte beleuchtet die Reihe die mittelalterlichen Kreuzzüge, die Expansion des Osmanischen Reiches und den vom deutschen Kaiser Wilhelm II. angezettelten »Dschihad« im Ersten Weltkrieg. Am Ende stehen Osama bin Laden und sein Terrornetzwerk Al-Kaida. Immer wieder galt es, zu zeigen, dass es bei allen so genannten »Heiligen Kriegen« letztlich vor allem um irdische Motive ging: Beute, Macht und Einfluss.

Da es sich weitgehend um historische Stoffe handelt, wurde die gesamte Reihe als szenische Dokumentation gestaltet. Lediglich bei den Folgen über den Kolonialismus und die Konflikte im 20. Jahrhundert war es möglich, Archivfilme einzubeziehen. Die erste Folge der Reihe erreichte den höchsten szenischen Anteil von etwa 60 Prozent, bei Folge fünf lag er am niedrigsten.

An bewährten Drehorten in Marokko und Rumänien – insgesamt über 60 Sets – wurden wesentliche historische Momente rekonstruiert. Daran wirkten nicht nur 80 Schauspieler mit; auch 1 700 Komparsentage und 200 Einsatztage für Pferde waren am Ende zu verbuchen.

Die Kameraführung wurde gegenüber früheren Dokumentarreihen durch mehr subjektive Einstellungen, mehr Bewegung und unkonventionelle Ausschnitte modifiziert – möglichst nah an den Protagonisten. Bei den Dreharbeiten erwies sich auch, wie nah Geschichte und Gegenwart beieinander liegen können. Einige wichtige Szenen wurden in der Innenstadt von Marrakesch aufgenommen. Während der Dreharbeiten ereignete sich der blutige Anschlag Al-Kaidas auf dem »Platz der Gehenkten«, in dessen unmittelbarer Nähe das Team wohnte und arbeitete. Es war zu befürchten, dass die Regierung Drehgenehmigungen zurücknimmt oder die Filmemacher auffordert, das Land zu verlassen. Dazu kam es zwar nicht, doch es blieb spannend. Am 2. Mai 2011 ging die Nachricht vom Tod Osama bin Ladens um die Welt. Das Drehteam arbeitete gerade an einer Szene mit dem von einem Schauspieler dargestellten Al-Kaida-Führer. Die Realität hatte das Projekt nicht nur eingeholt, sondern überholt. Dem Drehbuch wurde eine weitere Szene hinzugefügt: »Osamas Ende« – gedreht wurde diese allerdings in Deutschland.

Nicht nur bei der Gestaltung der Szenen stimmten sich die Autoren mit historischen Fachberatern ab. Auch bei dieser Reihe galt der Grundsatz, den aktuellen Stand der Forschung zur Geltung zu bringen. Stärker als etwa bei der Reihe »Die Deutschen« haben wir diesmal auf eine direktere Verzahnung zwischen den Statements der Fachberater und dem filmischen Ablauf geachtet, um die Aussagen organischer einzubinden. Und zwar sowohl inhaltlich als auch durch die Dynamik der Kameraführung. Auf diese Weise haben wir versucht, die Authentizität bestimmter Schlüsselmomente im Film durch die Schilderungen und Kommentare von Experten zu unterstreichen. In dieser Verwebung von Statement und Film liegen noch weitere Potenziale, um wissenschaftliche Expertise ansprechend darzustellen.

Aufwändige CGI (Common Gateway Interface) verschaffen der Reihe in weiten Passagen einen kinoartigen Look: Etwa bei Massenszenen wie der Schlacht bei Tours im Jahr 732, bei der Belagerung Wiens 1683 oder beim Triumphzug Wilhelms II. durch Jerusalem.

Über 100 so genannte Compositings wurden gefertigt: Das sind Kombinationen von nachgestellten Szenen mit aufwändigen Computerrekonstruktionen historischer Schauplätze. Dadurch kann man die Schauspieler in eine historische Kulisse einbetten, die gar nicht mehr vorhanden ist. Auch hier half der Rat der Experten. Anhand von historischen Aufzeichnungen, Bauplänen und anderen Überlieferungen gelang es, originalgetreue Schauplätze zu rekonstruieren, etwa das frühe Mekka oder das mittelalterliche Jerusalem. Bei der Darstellung von Schlachten wurde nicht nur auf die möglichst genaue Rekonstruktion des Geschehens geachtet, sondern auch auf die landschaftlichen Verhältnisse.

Auch bei dem Projekt »Der Heilige Krieg« beschränkt sich das redaktionelle Angebot nicht nur auf die Filme. Wie schon bei den »Deutschen« bot das ZDF in Zusammenarbeit mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) zu allen fünf Folgen didaktisch aufbereitetes Material zum Download an – von Lehrern für Lehrer erarbeitete Materialien, mit Anregungen zur Gestaltung des Unterrichts. In Zusammenarbeit mit zdf.de entstand ein reichhaltiges crossmediales Angebot in einem umfangreichen projektbegleitenden Onlineportal. Der User wird dadurch in die Lage versetzt, mithilfe eines Zeitstrahls, einer Ereigniskarte und Schlagwörtern wesentliche Facetten der Beziehungsgeschichte von Christen und Muslimen zu ergründen.

Dabei zeigt sich, wie Geschichte immer wieder in die Gegenwart ragt. Die fünf Filme und Begleitmaterialien führen vor Augen, wie über die Jahrhunderte auf beiden Seiten der Glaube für politische Zwecke instrumentalisiert wurde, wie dabei Denkmuster entstanden, die zum Teil heute noch wirksam sind. Dabei soll es nicht nur um die Frage gehen, was trennte, sondern auch, was einte, und welche Gemeinsamkeiten es im Kampf gegen jede Form von religiösem Extremismus heute gibt.

Die arabische Welt befindet sich im Umbruch. Es gibt begründete Hoffnungen auf eine Demokratisierung und neue Impulse zur Lösung des Nahost-Konflikts, aber auch Sorgen: Wie viel Nähe oder Ferne zum Westen steckt in den Befreiungsbewegungen, inwiefern könnten islamistische Gruppen an Einfluss gewinnen? Wird sich die junge »Arabellion« als resistent gegen fundamentalistische Einflüsse erweisen? Wie wirkt sie sich auf die Sicherheitsarchitektur des Nahen Ostens aus?

Jetzt ist der Zeitpunkt, das Erbe der Vergangenheit gemeinsam zu reflektieren. Eine solche Kommunikation braucht zuallererst die Bereitschaft, etwas über den anderen erfahren zu wollen. Er bedeutet, neugierig auf das andere zu sein, sich über Gemeinsames und Unterscheidendes auszutauschen. Ohne Wissen übereinander gibt es kein Verständnis füreinander.

Wie viel Einvernehmen gibt es mit Millionen von islamischen Mitbürgern hierzulande, im Bemühen um Freiheit, Toleranz, Pluralismus, Demokratie und Frieden? Gemeinsam gilt es sicherzustellen, dass sich religiöse Normen nicht über Prinzipien der freiheitlichen Verfassung erheben.

Dazu zählt auch der Konsens darüber, dass so genannte »Heilige Kriege«, von wem auch immer sie geführt werden, nie heilig sind und dass sie einer vergangenen Zeit angehören.

Stefan Brauburger
Georg Graffe
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