Klaus Bassiner, Leiter der Hauptredaktion Reihen und Serien (Vorabend)
Wolfgang Feindt, Hauptredaktion Reihen und Serien (Vorabend)
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Die internationale Koproduktion »Borgia«, ein historischer Mehrteiler, sorgte im ausgehenden Fernsehjahr 2011 für Furore. Im Schnitt verfolgten über fünf Millionen Zuschauer an sechs Fernsehabenden in der Primetime die Familiengeschichte der Borgias. Begleitet von einer großangelegten Presse- und Marketingkampagne, eines breitgefächerten Onlineangebots und der Neukonzeption einer Dokumentation entwickelte sich das Programm zu einem zentralen Gesprächsthema in der Medienöffentlichkeit.

Die Familie der Borgias, die zwei Päpste stellte, verkörpert, wie wenige andere, den Geist der Renaissance mit ihren heute kaum vorstellbaren Widersprüchen. Die Borgias waren zum einen rücksichtslos, korrupt und gewalttätig; anderseits erreichte die europäische Kultur unter ihrer Herrschaft ihren höchsten Ausdruck. Eine Zivilisation im Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, die sich bis in die Jetztzeit auswirkt, ein spannender Erzählstoff, eine große Familiengeschichte.

Im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts begann Leonardo da Vinci mit der Arbeit an seinem berühmten Abendmahl, Michelangelo schuf die Pietà und Dürer malte sein Selbstporträt. In Europas Städten blühte der Handel, und die Universitäten brachten bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse hervor. Die 90er Jahre des 15. Jahrhunderts waren zweifelsohne ein Höhepunkt in der Kulturgeschichte der Menschheit und bieten somit reichhaltigen filmischen Erzählstoff. Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., und seine Kinder Juan, Cesare und Lucrezia sind Teil und Ausdruck dieser Welt  – eine der bedeutendsten Familien der Zeitgeschichte, was ihr öffentliches Leben betrifft, aber auch in ihrer exemplarischen Privatheit bis heute betrachtenswert und spannend. In dem historischen Sechsteiler erleben wir den biografischen Umbruch der Hauptfigur. Er bildet den Ausgangspunkt der Geschichte: Rodrigo erhält die Nachricht von der Ermordung seines erstgeborenen Sohnes Pedro Louis. Er beschließt daraufhin, sein Leben radikal zu ändern, erkennt seine illegitimen Kinder an und stellt sich den Missständen innerhalb der Kirche. Dabei ist ihm, getrieben von extremem Machtwillen, fast jedes Mittel recht, um seiner Familie die Herrschaft über ganz Italien nachhaltig zu sichern. Die Kinder Rodrigo Borgias, vornehmlich Juan und Cesare, stehen in ständiger, zum Teil grausamer Konkurrenz zueinander. Der zügellose Draufgänger Juan wird von seinem Vater bevorzugt. Cesare, der Intelligentere, soll entgegen seiner Natur eine kirchliche Laufbahn einschlagen, während Lucrezia sich als Frau ihren Weg ins Erwachsenenleben hart erkämpfen muss. Allesamt Getriebene von ihrem Willen zur Macht, ihrem Streben nach Erfüllung und Liebe: die Sehnsucht nach der ersten Liebe von Lucrezia, die Liebe von Rodrigo zu Giulia, die entfesselte Sexualität von Juan, der Zwiespalt von Cesare, keusch leben zu wollen und die prompte Verführung.

Eine große Liebesgeschichte, eine durchtriebene Familiengeschichte, ein atemberaubender Krimi, bestens geeignet für ein groß angelegtes filmisches Abenteuer, an sechs Abenden zur besten Sendezeit, produziert von Atlantique Productions, EOS Entertainment GmbH, in Zusammenarbeit mit Etic Films und Les Borgia SAS, in europäischer Koproduktion mit ZDF, ORF und Canal+. Mit einem Gesamtetat von 25 Millionen Euro wurde »Borgia« zu einer der aufwändigsten Serienproduktionen in Europa. Das Projekt wurde über einen Zeitraum von vier Jahren entwickelt, bis der Startschuss zu den filmischen Arbeiten erfolgen konnte. »Borgia« wurde über mehrere Monate in den Prager Barrandov-Studios gedreht. Dort wurden die Sixtinische Kapelle und die Gemächer des vatikanischen Palastes originalgetreu nachgebaut, auf dem Außengelände der Studios zudem der Petersplatz und Straßenzüge des mittelalterlichen Roms. Weiter erfolgten Außendrehs in Prag und Teltsch, das mit seinen Renaissance-Gebäuden zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. 390 Mitglieder umfasste der Produktionsstab, 1 573 Stunden Filmmaterial wurden gedreht, wobei 12 Kilometer Stoff für 340 Kostüme verwandt und allein 150 Perücken gefertigt wurden.

Fast zeitgleich wurde in Amerika vom Sender Showtime TV ein Serienprojekt angeschoben, das ebenfalls die Familiengeschichte der Borgias zum Thema machte: mit Jeremy Irons in der Titelrolle, eine Produktion mit vergleichbarem Aufwand. Dieser seltsamen Koinzidenz geschuldet, wurde unter Hochdruck die Endfertigung unseres Programms vorangetrieben, mit dem Ziel, zuerst auf dem europäischen Markt auf Sendung zu gehen. Dieses Vorhaben konnte realisiert werden, und ab dem 17. Oktober 2011 erfolgte die Ausstrahlung um 20.15 Uhr. Eine besondere Aufgabenstellung, da nicht ohne Grund die ursprüngliche Fernsehfassung von der FSK erst ab 18 Jahren freigegeben wurde. Gemeinsam mit dem Jugendschutzbeauftragten des ZDF konnte eine Schnittversion realisiert werden, die den Einsatz des Programms in der Primetime ermöglichte (Freigabe ab 12 Jahren), ohne historisch fälschlich zu verharmlosen.

Zudem wurde im Anschluss an die zweite Folge eine von der ZDF-Redaktion Kultur und Wissenschaft entwickelte Dokumentation mit dem Titel »Der Fall Borgia« gesendet. Um die Zuschauermotivation für dieses Programm im ZDF weiter zu stärken, wurde ein Generalvorspann gefertigt, der die zentralen Protagonisten und geschichtlichen Geschehnisse vorstellt.

Darüber hinaus wurde eine inhaltliche Zusammenfassung der vorangegangenen Handlung vor jede Folge gesetzt mit dem Ziel, Zuschauern auch noch einen späteren Einstieg in den Mehrteiler zu ermöglichen.

Durch eine breit angelegte Presse- und Marketingkampagne wurde die Spannung auf den Sechsteiler gesteigert. In allen größeren Zeitungen und Zeitschriften erschienen doppelseitige Anzeigen, und es wurden knapp 300 Trailereinsätze gefahren. Am 15. September fand im Hamburger Rathaus in Anwesenheit des gesamten Darstellerteams und der Verantwortlichen eine Pressekonferenz statt, zu der fast 100 Medienvertreter begrüßt werden konnten.

Insgesamt verfolgten somit über fünf Millionen Zuschauer die einzelnen Folgen. Besonders hervorzuheben ist hierbei das Interesse der jüngeren Zuschauer: Bei den 14- bis 49-Jährigen schalteten durchschnittlich 1,33 Millionen Zuschauer ein, was einem Marktanteil von 10,2 Prozent entsprach. Erwähnenswert sind auch die hohen Abrufzahlen im Internet. So wurden 5,86 Millionen Pageimpressions des Onlineangebots zu »Borgia« registriert. Über die gesamte zweiwöchige Sendezeit des Projekts konnten die einzelnen Folgen in der ZDFmediathek abgerufen werden. Die Abrufzahlen aller sechs Folgen lagen bei 2,3 Millionen Zuschauern, was einen extrem hohen Wert darstellt. Die Abrufvideos von Teil eins bis vier sind in der aktuellen Hitliste aller Abrufvideos im aufgelaufenen Jahr unter den ersten 15 Rängen. Teil eins ist das erfolgreichste Abrufvideo im Jahr 2011. Der Onlineauftritt bot neben dem Abruf der verpassten Folge auch eine Vorschau auf die kommende, Porträts der Hauptdarsteller, ein Gewinnspiel, die Möglichkeit, interaktiv historische Schauplätze zu besuchen sowie zahlreiche Informationen zur Zeitgeschichte und einen interaktiven Stammbaum.

Cast und Crew von »Borgia« sind einem internationalen Publikum bekannt. Die Rolle Rodrigo Borgias, des späteren Papstes Alexander VI., spielt John Doman, international bekannt aus »Emergency Room« und »The Wire«. Seine Tochter Lucrezia, eine der schillerndsten Frauenfiguren der Renaissance, wird dargestellt von der 17-jährigen Isolda Dychauk, zuletzt das Gretchen in Alexander Sokurows »Faust«-Verfilmung, der den diesjährigen Wettbewerb um den Goldenen Löwen gewann. In weiteren durchgehenden Rollen waren unter anderen Andrea Sawatzki, Udo Kier, Vadim Glowna, Assumpta Serna, Marta Gastini und Victor Schefé beteiligt.

Regie führte unter anderen Oliver Hirschbiegel (»Das Experiment«, »Invasion«), dessen Film »Der Untergang« über die letzten Tage Adolf Hitlers für den Academy Award (Oscar) als bester ausländischer Film 2005 nominiert wurde. Als Produzent zeichnet sich der Amerikaner Tom Fontana verantwortlich, bekannt durch die Serien »Oz« (HBO)und »Homicide« (NBC), der gleichzeitig auch als Headautor und Geschichtskenner die Bücher zu »Borgia« entscheidend geprägt hat.

Klaus Bassiner
Wolfgang Feindt
Rodrigo Borgia (John Doman) hat einen Verlobten für Lucrezia (Isolda Dychauk) gefunden
Giulia Farnese (Marta Gastini) erwartet ein Kind von Rodrigo
Adriana de Mila (Andrea Sawatzki) wohnt der Trauung Lucrezias bei
Juan (Stanley Weber) und seine Schwester Lucrezia (Isolda Dychauk)
Rodrigo Borgia (John Doman) verfolgt die Stimmauszählung im Konklave