Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft
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»Unterwegs in der Weltgeschichte«
Mit Hape Kerkeling auf Terra incognita

Ende der 60er Jahre gab es die amerikanische Serie »Time Tunnel«, in der zwei Wissenschaftler in eine Zeitspirale flogen und in die Vergangenheit gesaugt wurden. Dort mussten sie spannende Abenteuer bei Ritterturnieren oder in der Französischen Revolution bestehen. Wir Jugendliche kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zeitreisen sind ein ewiger Menschheitstraum, manche Wissenschaftler behaupten, mittels der so genannten »Teleportation« könnten eines Tages Menschen in die Vergangenheit transportiert werden. Auf gewisse Weise ist »Terra X« eine solche Zeitmaschine, die den Zuschauer seit nun 30 Jahren Sonntag für Sonntag in fremde Welten und ferne Zeiten entführt.

Für ausgewählte Ziele hatten wir in den letzten Jahren charismatische Reiseführer wie Maximilian Schell, Thomas Reiter oder Frank Schätzing engagiert. Als wir uns jetzt an eine Geschichte der Welt machen wollten, kamen wir auf Hape Kerkeling. Er hatte mit seinem Pilgerbuch Ich bin dann mal weg glaubhaft gemacht, dass er privates Interesse für kulturgeschichtliche Themen hegt. Als wir ihn kontaktierten, stellte sich heraus, dass er bekennender »Terra X«-Fan ist und damit unser idealer Verbündeter sein würde. Kerkeling findet, dass ihm seine Schullehrer bei all ihren Bemühungen nicht vollends hätten klarmachen können, warum Geschichte und Erdkunde so wichtig sind und was sie mit seinem eigenen Leben zu tun haben. »Terra X« hingegen könne das, also reiste er für uns los, hinaus in die Welt und in die Geschichte. Mit einem Auftrag, den man hoch ambitioniert nennen konnte, nämlich die Geschichte der Welt in nur sechs Teilen zu erzählen: angefangen bei den antiken Kulturen Ägypten und Griechenland, über das Ewige Rom, das Abenteuer Mittelalter, die Zeit des Kolonialismus, die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg, Aufklärung und Französische Revolution, bis hin zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert und den großen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts sowie dem Ende des Kommunismus.

So beschwingt sich die Unternehmung auch anhört, war sie dennoch harte Kärrnerarbeit. Erst einmal musste der umfangreiche historische Stoff für sechs Filme recherchiert und geschrieben, dann die Drehorte fixiert werden, danach erst konnte das Kamerateam losreisen. Während bei einem Fernsehfilm die Produktion von einem großen Stab minutiös geplant wird, mit rund 20 meist zusammenhängenden Drehtagen, bedeutet dokumentarisches Arbeiten mehr Drehaufwand pro Sendeminute, langes Unterwegssein, Wetterabhängigkeit, Behördenwillkür – mit einem Team, das selten mehr als fünf Personen umfasst.

Mich hat beeindruckt, dass der Vielumworbene und Hochbeschäftigte über 100 mitunter beschwerliche Tage für uns auf Reisen war. Denn die weltweiten Ziele, die inhaltliche Arbeitsweise und die flexiblen Drehbedingungen waren für Hape Kerkeling ungewohnt, »terra incognita«. Dennoch hat er bis zum Schluss nichts von seinem großen Interesse und seinem Durchhaltewillen verloren. Partner auf seiner Reise durch Zeit und Raum war Autor und Regisseur Gero von Boehm. Wenn Hape Kerkeling bei der Premiere des Films im Berliner Cinema Paris der Presse sagte, das Ganze sei eher eine Studienreise und gar keine richtige Arbeit gewesen, sollte man seine Höflichkeit und Begeisterungsfähigkeit im Hinterkopf haben.

Die sechs Filme nehmen die Zuschauer mit zu Weltereignissen, die die Menschen schon immer fasziniert haben. 32 Orte haben sie besucht: die Pyramiden in Ägypten, die Aztekenstadt Teotihuacan in Mexiko, die Große Mauer in China, die Akropolis, die russischen Zarenpaläste, den Londoner Tower, die Schlachtfelder von Verdun und gar das Schlafgemach von Ludwig XIV.. Kritische Beobachter des Projekts mahnten an, ob man das einen verantwortungsvollen Umgang mit Geschichte nennen könne. Müsste man über die Geschichte der Welt nicht 100 Folgen machen, statt nur sechs? Die Geschichte der Deutschen hatten wir in den Jahren 2008 und 2010 in immerhin 20 Folgen erzählt. Wir glaubten dennoch an unser Konzept, weil wir uns von vorneherein auf die zentralen Ereignisse und Wendepunkte der Weltgeschichte beschränken wollten. Wir wollten keine Vollständigkeit beanspruchen, sondern mit einer möglichst originellen Mischung aus Humor und Information Appetit auf Geschichte machen. Komplexe Sachverhalte vereinfachen, so einfach wie möglich, aber nicht einfacher. Intelligentes Bildungsfernsehen gestalten – mit einem Hape Kerkeling, der mit den Augen des Zuschauers die Orte und ihre Geschichten in einprägsame Moderationen fasst. Das alles nicht deutsch gründlich, sondern im eher angelsächsischen Stil, der das Große in feinen Parallelschwüngen erzählt. Angetrieben von jener »intellectual curiosity«, jener intellektuellen Neugierde, die übrigens Hape Kerkeling ganz wesentlich charakterisiert. Er erschließt sich die großen, bahnbrechenden Ereignisse auf seine ganz eigene Art – mit Neugier, scharfem Verstand und viel Humor. Der besondere Witz lag darin, Hape Kerkeling für kurze, überraschende Momente in historische Rollen schlüpfen zu lassen: Er ist Alexander der Große, Cleopatra, Ludwig XIV., Katharina die Große, der erste Kaiser von China oder Michail Gorbatschow. Wir haben auf Texte für diese Rollen schließlich verzichtet und sie stattdessen mit modernen Musiken unterlegt, was für unerhörte Effekte gesorgt hat. Die Werbeplakate und Kurztrailer, die Hape als Zeitreisenden in den Kostümen der Helden zeigten, haben übrigens die Bekanntheit der Reihe entscheidend gesteigert.

Der Erfolg von »Unterwegs in der Weltgeschichte« war immens. Die Reihe war das erfolgreichste »Terra X«-Programm der letzten 15 Jahre. Der durchschnittliche Marktanteil bei den unter 50-Jährigen betrug 13,3 Prozent, nach »Wetten, dass ..?« und Fußball war die dritte Folge, »Abenteuer Mittelalter«, das jüngste ZDF-Programm des Jahres 2011. Bestnoten erreichte das Programm von den Zuschauern in punkto verständliche Sprache und Moderation, die als besonders sympathisch empfunden wurde – Kerkeling habe spürbar Freude am Programm gehabt.

In der Tat hat Kerkeling wie kein Präsentator vor ihm diese »Terra X«-Reihe beeinflusst. Obwohl der Sechsteiler nur so vor Daten und Fakten strotzt, gelingt Kerkeling eine angenehme Entschleunigung. Man folgt ihm und hört ihm zu, weil seine unnachahmliche Präsentation alter Stoffe diese in ein neues Licht taucht. Er prägt die Reihe mit erkennbarem Amüsement, lässt aber niemals Zweifel daran aufkommen, dass ihm die Arbeit für »Terra X« ein wichtiges Anliegen ist. Zwei meiner Lieblingsszenen zeigen ihn so, wie man ihn nicht kennt. Seine Moderation zum Opferinferno des Dreißigjährigen Krieges ist ohne Pathos und geht doch unter die Haut, wie auch sein Besuch von Yad Vashem, der Gedenkstätte jüdischer Holocaust-Opfer in Jerusalem. In nicht einmal zwei Minuten beweist diese Szene, wie auch ein Comedian mit einem solch schwierigen Ort umgehen kann: Er lässt die schier unzähligen Fotos der Holocaustopfer auf sich wirken und schweigt. Seine innere Anteilnahme ist spürbar und lässt auch keinen Zuschauer unberührt.

Ein weiterer Aspekt scheint mir für den Erfolg wesentlich zu sein. Kerkeling regt den Zuschauer dadurch zum Mitdenken an, dass er sich im Augenblick der Entdeckung auf dieselbe Stufe stellt. Er ist nicht Historiker, nicht Experte, sondern passionierter Laie. Der Moderator und sein Publikum staunen beide über die sagenhaften Schauplätze und geschichtsmächtigen Geschehnisse, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil man Bildung verpasst hat und 5 000 Jahre Kulturgeschichte nicht lückenlos repetieren kann. Wir haben wohl vor allem jene Zuschauer hinzugewonnen, die sonst keine Geschichtsdokumentationen einschalten (auch weil sie zu viel Respekt vor Wissenschaftsprogrammen haben) und die sich bei dem sympathischen Durchschnittsgebildeten Kerkeling in bester Gesellschaft wähnten. Was besonders auf Jugendliche zutreffen mag, die wir den Aufmerksamkeitsräubern der Social Networks und Videogames kurzfristig entrissen haben dürften.

In unserem Land, das sich seit gut zwei Jahrhunderten als eine Kulturnation versteht, mit einem tief verwurzelten und liebenswerten Sinn für das Anspruchsvolle, hat dieser augenzwinkernde Umgang mit Geschichte natürlich hitzige Debatten ausgelöst. Manche überregionalen Stimmen wie Der Spiegel und Die Süddeutsche wollten von uns mehr komisches Hape-Potenzial wachgeküsst sehen. Damit hätten wir aber die Humorschraube wohl zu weit gedreht, dem Bildungsimpetus des Programms hätte noch mehr Raffinesse geschadet. Wie die Reaktionen der Stammseher von »Terra X« dann auch beweisen, vielen ging die komische Note zu weit. »Unerträgliche Zirkusnummern«, meinten die einen, »was ist mit meinem »Terra X« passiert?« Die anderen riefen uns zu, Kerkelings Weltgeschichte sei das Beste, was wir je gemacht hätten.

Bei der Popularisierung von »Terra X« mit und wegen Kerkeling haben wir uns so weit vorgewagt wie nie zuvor, und dennoch wurde aus dem Programm weit mehr als bloße Unterhaltung. Wir haben gezielt ausprobiert, wie sich Humor mit Information vermählen lässt und erfahren, dass damit ganz neue Zuschauer für Bildungsprogramme gewonnen werden können.

Gero von Boehm, Hape Kerkeling und die Redaktion unter Alexander Hesse und Hans-Christian Huf haben im ständigen Ringen um das rechte Format aber auch gespürt, wie schwer dieser besondere Tonfall, den die Engländer so gut beherrschen, ist. Für alle Beteiligten war die Reihe in gewisser Weise ein Schlüsselerlebnis, und ein solches muss man bekanntermaßen ja gezielt suchen, es passiert nicht einfach so.

Peter Arens
Hape Kerkeling auf dem Platz des Himmlischen Friedens
Hape Kerkeling als Kleopatra
Hape Kerkeling als Montezuma ...
... und als Michael Gorbatschow
Hape Kerkeling als Quin Shi Huangdi, Kaiser von China ...
... und als Queen Victoria