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2008  
ZDF Jahrbuch
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Alexander Hesse, Leiter der Redaktion Geschichte und Gesellschaft
Christian Deick, Redaktion Zeitgeschichte

Wie jung ist die Zukunft?
Die Werkstattberichte zur Programmverjüngung

 
Alexander Hesse
Alexander Hesse


Christian Deick
Christian Deick
  Die magische Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen! Ursprünglich eine verzweifelte und scheinbar willkürliche Erfindung des Privatfernsehens. Werbekunden sollten durch die Heraushebung des stärksten Segments angelockt und von den Schwächen beim Gesamtpublikum abgelenkt werden. Schneller, als es allen anderen lieb war, ist die Zielgruppe zur anerkannten Währung im Wettbewerb um die Gunst des jungen Publikums geworden. Auch im ZDF steht das hofierte Segment seit etlichen Jahren unter besonderer Beobachtung, deckt es doch die Schwierigkeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf, die Unter-50-Jährigen zu gewinnen.

Die drängenden Fragen zur Verjüngung wurden häufig gestellt: »Wie an die Jungen herankommen, ohne die Stammzuschauer zu verlieren? Gilt eine Sendung tatsächlich als erfolgreich, wenn sie beispielsweise neun Prozent Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen hat – egal, wie der Gesamtmarktanteil ausfällt? Könnten deutlich junge Programminseln helfen? Und was können die einzelnen Redaktionen zu der Verjüngung beisteuern?«. Der Intendant hat in seinen Programmkonferenzen Erfahrungsberichte von Programmverantwortlichen Platz eingeräumt, so genannte Werkstattberichte zur Programmverjüngung ins Leben gerufen. Seit Anfang 2008 berichteten mittlerweile 15 Kolleginnen und Kollegen über Methoden und Macharten zur Modernisierung des Programms.

So berichteten bisher Harald Lüders für die »ZDF.-reportage«, Alexander Hesse für »37°«, Sabine Groß für die »Küstenwache« und für »Aktenzeichen XY … ungelöst«, Matthias Pfeifer und ­Katharina Görtz für »Notruf Hafenkante«, Alexander Tung für »Die Rettungsflieger«, Paul Amberg und Michael Renz für »Der 11. September – Mythos und Wahrheit«, Stephan Denzer für den Bereich Comedy und Kabarett, Guido Knopp und Christian Deick für »ZDF-History«, Daniel Fiedler für 3sat (siehe auch den Bericht in diesem Jahrbuch) sowie Dieter Gruschwitz und Thomas Fuhrmann über den Bereich Sport.

Wie sollen die Ergebnisse von so vielen unterschiedlichen Bereichen mit dementsprechend verschiedenen Botschaften in einen Text fließen? Wir hatten uns entschlossen, neben der naheliegenden Findung der gemeinsamen, genre­übergreifenden Thesen zur Programmerfrischung noch einen Fragebogen zu erstellen, der die Erkenntnisse und die Stimmung der Bericht erstatter widerspiegeln sollte. Die Anonymität des Fragebogens förderte so manch klares Statement ans Licht.

Auf die Frage, »Warum sind die Werkstattberichte eine gute Sache?«, gab es folgende Antworten:

»Weil sich für das Projekt Verjüngung jede Anstrengung lohnt.«
»Weil Geschäftsleitung und Programm-Macher in direkten Austausch treten.«
»Weil nur Klartext guter Text ist.«
»Weil im Intranet alle ZDF-Mitarbeiter Zugang zu ihnen haben.«
Was hat sich seit dem Vortrag für das von Ihnen betreute Programm getan? Was hat also der Werkstattbericht bewirkt?

»Die Möglichkeit für eine Pilotproduktion für ein neues Projekt.«
»In der Redaktion ist Verjüngung Thema Nummer eins.«
»Motivation für die zweite Spalte in der Quotentabelle.«

Wie lautet Ihre Botschaft zur Programmverjüngung?

«Nur, wer Altes rausschmeißt, hat Platz für Junges.«
»Mehr auf die jungen Inhalte achten.«
»Augen auf, Konkurrenz beobachten, eigene Werte behalten. Dazulernen.«
»Neue Formate entwickeln. Vor Mitternacht senden. Nicht auf die Quote schauen. Augen zu und durch!«
Mehr junge Zuschauer würden das von mir betreute Programm einschalten, wenn ...?

» ... es auf RTL oder ProSieben laufen würde.«
» ... wir nachhaltiger an der Programmverjüngung arbeiten würden.«
» ... Themen und Bildsprache konsequent auf Jüngere zielen und wir die Älteren partiell ziehen lassen würden.«

Welches sind für Sie die gefühlt jüngsten Sendungen des ZDF (eigene Programme dürfen nicht genannt werden)?

»logo!«, »H2O«, »KDD«, »37°«, Fußball, »ZDF-History«, Das kleine Fernsehspiel, »Frontal 21«, »Neues aus der Anstalt«, ZDFmediathek.
Die Werkstattberichte haben also nach Auskunft der Referenten auch innerhalb der Redaktionen neues Feuer entfacht. Die Konfrontation mit den Überlegungen (und Erfolgen) der Kolleginnen und Kollegen führt automatisch zur Überprüfung der eigenen Vorgehensweise. Nachdem wir uns mit allen Werkstattberichten dieses Jahres befasst haben, konnten wir schließlich Thesen herauskristallisieren, die genreübergreifend als idealtypische Werkzeuge zur Programmverjüngung gelten können. Wir haben die folgenden acht Thesen formuliert:

1. Themenauswahl
In allen Planungsrunden der Redaktionen werden mit den neuen Themen die Voraussetzungen für Erfolg oder Misserfolg gesetzt. Ein relevantes, spannungsreiches Thema ist kaum zu verunstalten, ein schwaches aber kaum zu retten. Die Auswahl der Sendungsinhalte ist also grundlegend. Für die Themenauswahl gibt es selbstredend kein Schema, nur die Verabredung, den Puls der Zeit zu erfühlen und anhand der Quoten- und Qualitätserfahrungen zu reagieren.

2. Moderne Formensprache
Die Aussage: »Die Sendung war aber gut gemacht!«, sollte ein nicht zu unterbietender Standard sein – kaum der Rede wert. Für gut gemachte Sendungen tritt jede Redaktion an. Im besten Fall sollte die Formensprache überraschen, überzeugen und vergleichbare Sendungen der Konkurrenz übertrumpfen. »Neues aus der Anstalt« hat dem Kabarett ein neues Antlitz verliehen, die ZDFarena am Potsdamer Platz setzte einen Standard, und »Julia – Wege zum Glück« war Pionier und Benchmark für das deutsche Telenovela-TV. Aber auch die Rubrik »Toll!« bei »Frontal 21«, die Samstagskrimis, Thomas Reiter bei »Terra X«, »Lafer!Lichter!Lecker!« oder »KDD« sind nicht nur »gut gemachte« Fernsehsendungen, sondern außergewöhnlich moderne und stilsichere Programme, die durch ihre Machart überzeugen. Im jeweiligen Genre innovativ und »State of the Art«.

3. Junge Köpfe
Zunächst auf dem Schirm: der Start von Markus Lanz, jüngere Hauptdarsteller bei »Forsthaus Falkenau« und »Der Alte«, die dynamischeren »SOKO«-Protagonisten oder Kay-Sölve Richter im Nachrichtenstudio verleihen dem ZDF neuen Schwung und signalisieren, dass wir nicht nur jung sein wollen, sondern auch junge Kollegen in allen möglichen Rollen zum Zug kommen lassen. Junge Köpfe aber auch bei den Machern. Dass ein 20-jähriger Autor zielsicher den Geschmack von, sagen wir, 60-Jährigen treffen kann, ist vermutlich eine Illusion – und genauso ist es umgekehrt. Die Förderung von jungen Autorinnen und Autoren ist zu jeder Zeit wichtig. Die Ausbildung von Videojournalisten hat ja bereits im Programm Früchte getragen.

4. Wiedererkennbarkeit
Wiedererkennbarkeit durch Markenbildung, mit dem Ziel, sich bei den Zuschauern einzuprägen. Dies ist gerade auf einem Fernsehmarkt wichtig, der sich immer breiter auffächert. Dafür sind wirkungskräftige Titel erforderlich, die auch ohne Senderkennung fest mit dem ZDF assoziiert werden, wie »Wetten, dass ..?«, »WISO« oder die »heute«-Familie, Markenleuchttürme im unübersichtlichen Sendungsdschungel. Genauso wichtig ist aber auch eine verlässliche Sendekontinuität: ein Sendeplatz, eine Marke, keine Bauchläden. Und damit entsteht auch Nachhaltigkeit, ob in einer Serie oder bei Dokumentationen. Das Versprechen, Programm für jüngere Zuschauer zu gestalten, sollte nicht nur als Alibi vereinzelt eingestreut sein. Wenn auf etablierten Sendeplätzen plötzlich klar auf die Jungen zugegangen wird und die Sendung dann im besten Fall auch für Aufsehen sorgt, sich die »Frische« herumspricht, dann werden diejenigen enttäuscht sein, die in der kommenden Woche auf »ihrem« Sendeplatz wieder ein entsprechend »junges« Programm erhoffen – und keines finden.

5. Lebenswirklichkeit
Eine Erfahrung aus den Dokumentationswerkstätten: Immer, wenn durch Themenauswahl und Ansprache mitten ins Herz der Gesellschaft getroffen wird, stimmen auch die Quoten bei den Jüngeren. Die Folgen »Zu hoch gepokert« über waghalsige Lebensentscheidungen oder »Bankrott durch Scheidung« über finanzielle Katastrophen nach Trennungen hatten bei »37°« zuletzt die höchsten Quoten bei den 14- bis 49-Jährigen. Seit der Rheingoldstudie aus dem Jahr 2007 wissen wir, dass das ZDF-Programm im Informationsbereich häufig als zu realistisch erlebt wird, also als Fenster zu einer ungeliebten Realität fungiert, die die Lebenswirklichkeit zusätzlich belastet, statt entlastet. Andererseits biete das ZDF – laut Umfrage –
in Fiktion und Unterhaltung eher domestizierte Gefühlswelten an und wird hier wiederum als zu unrealistisch wahrgenommen. Im Dauerbrenner »Aktenzeichen XY … ungelöst« ist die Nähe zur Realität der Schlüsselreiz. Egal, in welchem Bereich: Wahre, hautnahe Geschichten sind bei den Jungen höchst willkommen – sie favorisieren bei der Umsetzung eine stärkere Lösungsorientierung statt Problematisierung.

6. Mut
Mut zu überraschen, Mut zu provozieren – wie bei »9/11«, »Neues aus der Anstalt« oder auch bei »ZDF-History«, wenn sich die Kollegen auch mal um die großen Romanzen der Geschichte kümmern – vielleicht auch Mut, den einen oder anderen Seniorzuschauer zu irritieren. In der Rheingoldstudie wird den ZDF-Machern empfohlen, keine Angst vor Superlativen, Extremen oder Ecken und Kanten zu haben. Überzeichnungen, die der Prägnanz dienen, sollen häufiger zu-
gelassen werden.

7. Online
Dass besonders die Jüngeren das Internet zunehmend als ihre wichtigste Informationsquelle nutzen, ist eine Binsenweisheit. Ohne starke ­Onlinepräsenz unseres Programms bleiben diese Zuschauerinnen und Zuschauer unerreichbar für das ZDF. Der Ausbau der ZDFmediathek und der programmbegleitenden Onlineaktivitäten muss deshalb für die Redaktionen mehr sein als nur eine Pflicht. Als zählbarer Programmerfolg gelten nicht nur TV-Quoten, sondern auch Klicks im Internet.

8. Haltung
Belehrungen, Besserwisserei, den erhobenen Zeigefinger lehnen die Jungen ab. In der Rheingoldstudie von 2007 ist nachzulesen, dass »unmittelbare, sinnliche wie anschauliche Macharten verlangt werden. Und zwar als Lebensorientierung«. Leichtigkeit, Lebenslust und Originalität wird dem ZDF-Programm in dieser Studie bedauerlicherweise nicht zugesprochen. Um den Protagonisten im Dokumentationsbereich beispielsweise möglichst nahe zu kommen, lassen wir die Hauptdarsteller immer häufiger im On- oder Off-Ton sprechen, der Kommentar sagt schon lange nicht mehr, was die Hauptdarsteller fühlen oder denken. Unsere Haltung: Je dünner der redaktionelle »Lebensweisheits-Filter«, desto besser.

So weit also die acht Ergebnispunkte der Werkstattberichte zur Verbesserung der Resonanz bei den Unter-50-Jährigen. Eine »Bedienungsanleitung« für den kreativen Prozess des Gestaltens wird es nie geben, aber doch den Versuch, Hinweise und Anregungen aus dem Produktionsalltag zu formulieren. Am Ende bleibt die Frage, welche Bedeutung die Zielgruppen-Marktanteile tatsächlich haben. Wie jung wollen wir sein? Wie jung könnten wir sein? Welche Verluste würden in Kauf genommen? Schwierige Fragen, zu deren Beantwortung die Werkstattberichte auch weiterhin wertvolle Aspekte beitragen können.

Der frühere RTL-Chef Helmut Thoma hält indes die einst ins Leben gerufene Werbezielgruppe der 14- bis 49-Jährigen für überholt. Die Werbewirtschaft und natürlich die Sender müssten angesichts des demografischen Wandels umdenken. »Wer hat denn heute das Geld? Die 50- bis 65-Jährigen«, sagt Thoma. Selbst die RTL-Zuschauer seien heute im Schnitt 47 Jahre alt. Da könne man nicht länger der selbstgeschaffenen Schimäre hinterher rennen. Ist also die Programmverjüngung am Ende gar nicht so dringend? Wir meinen doch. Denn ob man bei den 14- bis 49-Jährigen oder lieber bei den 30- bis 59-Jährigen ansetzt: Alleine das Bemühen um Verjüngung löst schon wichtige dynamische Prozesse aus – unerlässlich bei einem Sender, der von viel zu vielen jungen Zuschauern gar nicht mehr wahrgenommen wird.
 
 
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