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Daniel Fiedler, Koordinator 3sat

Kulturfernsehen auf der Höhe der Zeit
Anmerkungen zur Verjüngung des 3sat-Programms

 
Daniel Fiedler
Daniel Fiedler


Neues Studiodesign bei »Kulturzeit« ...
Neues Studiodesign bei »Kulturzeit« ...


... und »nano«
... und »nano«


»1-2-3 Moskau«
»1-2-3 Moskau«


Katrin Bauerfeind
Katrin Bauerfeind


Charlotte Roche
Charlotte Roche
  Seit über zwei Jahrzehnten befindet sich die deutsche Fernsehlandschaft in einem grundlegenden Wandel. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich seit nunmehr fast 25 Jahren immer stärker einer Konkurrenz ausgesetzt, die nicht den qualitativen Ansprüchen eines Rundfunkstaatsvertrags unterliegt und erfolgreich an den Quotentürmen von ARD, ZDF & Co. nagt. Das Fernsehen wandelt sich seither zunehmend vom Informations- zum primären Unterhaltungsmedium, und die diesem Trend unterliegenden Programmstrategen kennen und kannten nur begrenzt geschmackliche oder moralische Grenzen. Hella von Sinnen warf auf RTL mit Torten um sich, bei »Big Brother« sang sich Zlatko mehr schlecht als recht in die Herzen der Couchpotatoes. So langsam, wie bei »Tutti Frutti« die Hüllen fielen, so schnell sanken über die Jahre die Marktanteile bei ARD und ZDF. Insbesondere jüngere Zuschauergruppen wandten sich zunehmend den privaten Sendern zu. Aus »Formel Eins« wurde MTV und VIVA, und statt Dieter Thomas Heck wurde Stefan Raab zum Idol musikbegeisterter Fernsehzuschauer.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk tat sich schwer mit dieser neuen und erfolgreichen Konkurrenz. Erst wurden die privaten Angebote belächelt oder ignoriert und dann mitunter blind kopiert. Erst in den letzten Jahren haben ZDF und ARD die Zeichen der Zeit erkannt: Öffentlich-rechtliches Fernsehen gehört weder in den Elfenbeinturm, noch darf es seine Identität aufgeben.

Aktuell stehen Strategien zur Programmverjüngung bei allen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern auf der To-do-Liste mehr oder weniger weit oben. Dies gilt auch für 3sat. Obwohl 32 Prozent der 3sat-Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahre alt sind und 3sat somit unter den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern im Vergleich eine der jüngsten Altersstrukturen aufweist, muss auch der als länderübergreifendes Vollprogramm mit kulturellem Schwerpunkt organisierte Kanal sich über seine Zuschauerdemografie Gedanken machen. An welchen Grundsätzen orientiert sich die Verjüngung des Programms bei 3sat?

Egal, wie jung oder alt ein Programm bei 3sat angelegt wird: 3sat ist und bleibt der Kultursender des deutschsprachigen Raums. Neben der Kultur hat 3sat in den vergangenen zwei Jahren eine zweite Programmsäule ausgebaut, die Wissenschaft. Wissenschaftsprogramme, das zeigen Untersuchungen der Medienforschung, werden deutlicher als andere Programme von jüngeren Zuschauern genutzt. Mit dem Ausbau der Wissenschaftskompetenz bei 3sat – mit Formaten wie »nano«, »hitec« und »neues«, mit Themenschwerpunkten wie »Max Planck« in diesem und »Darwin« sowie »Astronomie« im kommenden Jahr – wird der Kulturbegriff bei 3sat geweitet, akzeptanzstarkes Programm generiert, und es werden gleichzeitig jüngere Zuschauergruppen angesprochen.

Ein Fernsehsender hat immer ein Gesicht. Das neue 3sat-Gesicht ist jung, intelligent und schlagfertig. Mit Katrin Bauerfeind und ­Charlotte Roche hat 3sat zwei junge und erfolgreiche Moderatorinnen gewinnen können, die nicht immer nur eine Sendung moderieren, sondern zu vielen Anlässen und in unterschiedlichen Formaten im Programm in Erscheinung treten. So moderierte Katrin Bauerfeind nicht nur die Eröffnungsgala der Berlinale 2008, sondern auch ganze 3sat-Thementage sowie die »Kulturzeit-Baustelle« und fuhr für 3sat ein Wettrennen von Berlin nach Moskau.

Junges Design bedeutet nicht automatisch jüngeres Programm. Auch wenn die neuen Studios der senderprägenden 3sat-Formate »Kulturzeit« und »nano« auch unter Design-Gesichtspunkten jüngere Zuschauer ansprechen, ging es beim Relaunch der Formate eher darum, die Sendeabläufe zu überdenken. Die althergebrachte, aber überlebte Magazinform mit dem statischen »Moderation-Beitrag-Moderation-Prinzip« wurde durch eine fließende Dramaturgie abgelöst. Daneben wurden ebenfalls ungewöhnliche Programminnovationen entwickelt und in die Sendungen integriert.

Insbesondere die von Katrin Bauerfeind moderierte »Kulturzeit-Baustelle« war ein großer Erfolg. Die »Kulturzeit-Baustelle« wurde im März 2008 während der zweiwöchigen Umbauphase des neuen »Kulturzeit«-Studios werktäglich als Interimslösung gesendet. Auch konnte durch junge und unkonventionelle Rubriken die monotone Magazinstruktur gebrochen werden. Dies wird auch bei anderen 3sat-Formaten genutzt: Mit der Rubrik »vivissimo« lernen Zuschauer des Serviceformats »vivo« auf gänzlich andere Art und Weise vor allem Dinge, die man nicht unbedingt wissen muss.

Schon mal mit einem russischen Model in einem Kampfpanzer gefahren? Sich mit DJ Bobo einen Tag lang im Fernsehen beim Angeln angeschwiegen oder Charlotte Roche Keiler jagen sehen? Zur Verjüngungsstrategie bei 3sat gehört – getreu dem Sendermotto »anders fernsehen« – auch, ungewöhnliche, »andere« Programme zu entwickeln. Mit »1-2-3 Moskau«, »Ein Fisch für 2« und »Charlotte Roche unter …« hat 3sat im Jahr 2008 mit gleich mehreren sehr jungen und ungewöhnlichen Formaten neue Wege beschritten. «Die traditionellen 3sat-Zuschauer wurden damit überrascht, andere Zuschauergruppen wurden auf 3sat aufmerksam, und das 3sat-Image wird seitdem kontinuierlich und behutsam verändert.

Die Grunderfahrung mit diesen neuen Formaten lautet: Um junges Fernsehen zu machen, bedarf es nicht nur anderer Inhalte, sondern vor allem anderer Sichtweisen, anderer Dramaturgien, anderer Ästhetiken.

»Keine Angst vor heiligen Kühen!«: Dieser Leitsatz ist bei 3sat ein wichtiger Bestandteil der Verjüngungsstrategie. Die heiligste Kuh im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist das Programmschema. Doch der Fernsehkonsum gerade junger Zuschauer orientiert sich genau daran nicht mehr. Feste Sendeplätze haben sich für junge Zuschauer heute oftmals überlebt. Wer kann sich auch bei über 50 frei empfangbaren Kanälen feste Sendezeiten merken? Die Entwicklung von alternativen Programmierungsformen ist daher wichtig. Mit den Thementagen beispielsweise konnte 3sat in den vergangenen zwei Jahren eine neue Programm-Marke etablieren, die auch sehr junge Zuschauer anspricht. 3sat-Thementage erreichen bei weit überdurchschnittlichen Marktanteilen mehr 14- bis 49-jährige Zuschauer als über 50-jährige.

Eine heilige Kuh gibt es bei 3sat allerdings doch: Programmverjüngung darf nicht zu Qualitätsverlust führen. Die Verjüngung findet in den Kerngenres von 3sat statt, nicht durch zusätzliche Programminseln. Ein solches Ansinnen – von anderen bereits erfolglos praktiziert – wäre bei 3sat zum Scheitern verurteilt. Denn auch junge Zuschauergruppen reagieren sensibel, wenn ein Programm seine Glaubwürdigkeit verliert. Deshalb bedarf Verjüngung einer Gesamtstrategie, die in allen Formaten, in der Philosophie der Programmplanung, bei allen Moderatoren, im Design, in neuen Studios und in unkonventionellen Sendekonzepten – kurz, in allen Bereichen – sichtbar wird.
Dies alles erfordert Zeit, Ausdauer und Mut zur Veränderung. Heute ist die Angst vor Quotenflops oft größer als der Mut, einen als richtig erkannten Weg weiterzugehen. Die weitere Entwicklung der Zuschauerdemografie lässt uns öffentlich-rechtlichen Programm-Machern aber keine Alternative. Jeder Kanal muss seine Antworten finden, wie Verjüngung zu erreichen ist, will er nicht in dem sich immer schneller drehenden Strudel aus Quote und Demografie untergehen. Diese Aufgabe ist aber keine Last. Im Gegenteil: Public Value ist nicht old-fashioned, diesen Grundsatz sollten wir Öffentlich-Rechtlichen lustvoll vertreten. 3sat hat seine Antwort auf die Krise der öffentlich-rechtlichen Zuschauerdemografie gefunden: Es geht uns darum, den Claim »anders fernsehen« als Chance für ein junges und gleichzeitig anspruchsvolles Senderimage und nachfolgend für messbaren Quotenerfolg bei jüngeren Zuschauern zu nutzen. Wer Verjüngung wirklich will, muss seinen Kompass im Auge behalten. Und dann braucht man einen langen Atem.
 
 
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