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Volker Angres
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Volker Angres, Leiter der Redaktion »ZDF.umwelt«

Vom wissenschaftlichen Ladenhüter zum politischen Bestseller
Die Medienkarriere des Klimawandels

 
Volker Angres
Volker Angres


Steinbutt aus der Zucht. Rund um Jersey ist das Meer leer gefischt
Steinbutt aus der Zucht. Rund um Jersey ist das Meer leer gefischt


Claudia Krüger im Gespräch mit dem Astrophysiker Hubertus Wöhl
Claudia Krüger im Gespräch mit dem Astrophysiker Hubertus Wöhl


Windpark Horns Riff: Wartungs­arbeiten auch bei Wellengang
Windpark Horns Riff: Wartungs­arbeiten auch bei Wellengang


Volker Angres besucht Orangenplantagen auf Sizilien
Volker Angres besucht Orangenplantagen auf Sizilien


Der Klimawandel bringt Zypern noch mehr Trockenheit
Der Klimawandel bringt Zypern noch mehr Trockenheit


Dreharbeiten am Gipfel des Ätna
Dreharbeiten am Gipfel des Ätna


Klima- und Sonnenforschung im Observatorium für Astrophysik auf Teneriffa
Klima- und Sonnenforschung im Observatorium für Astrophysik auf Teneriffa


Vom steigenden Meeresspiegel bedroht: die Salinen bei Trapani auf Sizilien
Vom steigenden Meeresspiegel bedroht: die Salinen bei Trapani auf Sizilien
 

Selten war ein Medien-Hype zu einem Thema so intensiv zu beobachten wie Anfang des Jahres 2007. Urplötzlich, so schien es, hatten alle Journalisten der Nation begriffen, dass es ihn gibt, den Klimawandel. Ob Hörfunk, Fernsehen, Tages- und Wochenzeitungen, Kinofilme, ob seriöse Fachpub­likation oder Boulevard: Der Leser, Seher oder Hörer konnte sich dem Klimawandel nur durch hartnäckige Medienabstinenz entziehen.

In den ersten acht Monaten des Jahres gab es allein im ZDF 325 Beiträge zum Thema Klimawandel, zum Vergleich: im Vorjahr insgesamt nur 139. Wenn auch die Menge der Berichte über den Klimawandel drastisch angestiegen ist, findet sich inhaltlich so gut wie nichts Neues. Schon in den 50er Jahren wird der Zusammenhang von ­erhöhter CO2-Konzentration in der Atmosphäre und Klimawandel wissenschaftlich fundiert beschrieben. Es sind die Arbeiten des Amerikaners Professor Roger Revelle, die bereits damals auf die Gefahr steigender Meeresspiegel verweisen. Revelle zählt zu den Pionieren der Klimawissenschaft. Einer seiner Studenten heißt übrigens Al Gore, der Jahrzehnte später eine ganz andere Rolle beim Thema Klimawandel spielen wird. Viele Forschungsarbeiten schließen sich an, die mehr oder weniger bestätigen, dass es einen menschlichen Faktor beim Klimawandel gibt, bedingt durch den Verbrauch und das Verbrennen riesiger Mengen fossiler Brennstoffe in sehr kurzer Zeit. Nie zuvor gab es diesen menschlichen Einflussfaktor und, bezogen auf die Folgen des Klimawandels, nie zuvor gab es über 6,6 Milliarden Menschen auf dem Globus – mit der Option auf neun Milliarden.

Das alles kann Journalisten ganz schön ins Schwitzen bringen, nicht, weil es durch den Klimawandel schon rasant wärmer in den Redaktionsstuben geworden wäre, sondern, weil – wenn man schon kein eigenes Klimaforschungsinstitut hat – irgendeine Institution sozusagen als Klima-Leit­instanz hergenommen werden muss. Und dabei ist es schlau, nicht nur auf ein Forschungsinstitut zu setzen. Schon seit Anfang der 90er Jahre hat deshalb die ZDF-Umweltredaktion sehr intensiv auf die Berichte des IPCC geschaut, des Intergovernmental Panel on Climate Change. Diese zwischenstaatliche Sachverständigengruppe, der Weltklimarat, wurde bereits 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Dabei betreibt das IPCC selbst keine Wissenschaft, sondern fasst Studien aus allen Erdteilen zu eigenen, regelmäßig erscheinenden Berichten zusammen. So werden die Forschungsergebnisse hunderter Klimaforscher verarbeitet, die Gefahr der lobby- und regierungsgeprägten Ergebnisse ist gedämpft.

Exporthit Windkraftwerke
Deutsche Hersteller bestreiten ein Drittel des Weltmarkts für Windenergieanlagen. Rund 70 Prozent der deutschen Anlagen und Bauteile gehen ins Ausland.
(Quelle: Bundesverband Windenergie)

Das IPCC hat so maßgeblich dazu beigetragen, dass auf dem legendären Erdgipfel von Rio de Janeiro im Jahre 1992 die sogenannte Klimarahmenkonvention verabschiedet wird, eine Verabredung darüber, dass ab sofort Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Konkretisiert werden diese Maßnahmen auf den folgenden Weltklimakonferenzen, die wohl bekannteste findet 1997 in Kyoto (Japan) statt. Dort wird das sogenannte Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz verabschiedet. Das Protokoll ist ein völkerrechtlich bindendes Papier, aber nur, wenn es ratifiziert wird. Dafür ist eine Mindestanzahl Länder notwendig, die für eine bestimmte Menge an CO2-Ausstoß stehen. Aus heutiger Sicht ist es fast nicht mehr nachzuvollziehen, dass erst mit der Ratifizierung durch Russland im Jahre 2004 (!) das Protokoll kurze Zeit später in Kraft treten kann.

Wie ist das zu werten? Mehr als ein halbes Jahrhundert, also von 1950 (Professor Revelle) über 1988 (IPCC) und 1992 (UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung), 1997 (Kyoto), 2002 (UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung) bis 2004 (Ratifizierung durch Russland) ist klimapolitisch im globalen Maßstab zwar viel verhandelt, aber so gut wie nichts umgesetzt worden. Professor Klaus Töpfer, der als Bundesumweltminister die deutsche Delegation in Rio führte und später zwei Amtsperioden lang dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen vorstand, begründet das mit dem geringen Entscheidungsdruck, der auf den Regierungen lastete. Es waren die Jahre billigen Öls. Die Industrien der westlichen Welt verdienten mit ihren alten Anlagen prächtig und die neuen Technologien der regenerativen Energien steckten noch in den Kinderschuhen. Gleichzeitig zwang die immer intensivere Globalisierung Unternehmen dazu, ihre Wettbewerbsvorteile ohne jede Rücksichtnahme auszuspielen. Und Umweltauflagen bedeuteten damals‚ »end of the pipe«-Techniken, also: Kosten.

Und so dümpelt der Klimawandel zwar nicht als Tatsache vor sich hin, wohl aber als politisches und mediales Thema – bis zum 30. Oktober 2006. An diesem Tag veröffentlicht Sir Nicholas Stern seinen Bericht Die Kosten des Klimawandels – und nennt die atemberaubende Summe von mindestens 5,5 Billionen US-Dollar, jedes Jahr, wenn nichts getan wird. Seinem Bericht zufolge kann sich die Erde in den nächsten 100 Jahren um durchschnittlich bis zu fünf Grad erwärmen. Die Folgen wären verheerende Sturmfluten und extreme Dürren, die an die 200 Millionen Menschen obdachlos machen könnten.

Na so was! Überhaupt nichts Neues! Das hatten etliche Klimaforscher und Umweltexperten schon Jahre vorher prognostiziert, worüber »ZDF.umwelt« kontinuierlich berichtete. Der Unterschied jetzt: Stern ist keiner der »üblichen Verdächtigen«, er war bis 2003 Chefökonom der Weltbank und ist Wirtschaftsberater der britischen Regierung. Sein Bericht schreckt nun die Medien auf, eine erste Welle der Berichterstattung läuft an.

Deutschland ist Windkraft-Weltmeister
Mit 20 622 Megawatt installierter Leistung ist Deutschland bei der Windenergie führend. Es folgen Spanien (11 615 MW) und die USA (11 603 MW).
(Quelle: WWEA)

Nahezu zeitgleich hat sich ein anderer auf den Weg gemacht, das Klima zu schützen. Er weiß, wie Medien funktionieren und macht sich diese Mechanik geschickt für seinen Feldzug zunutze: Al Gore. Mit seiner Kino-Doku »Eine unbequeme Wahrheit« rüttelt der Ex-US-Vizepräsident weltweit die Menschen auf, zeigt, welche Folgen der Klimawandel haben wird. Über 1 000 Vorträge hält er und kommt auch nach Deutschland. Die zweite Welle der Klimawandelberichte ist in Gang gesetzt. Exklusiv wird Al Gore im Auftrag der ZDF-Umweltredaktion von einem Kamerateam begleitet, zwei Dokumentationen entstehen daraus.

Jobmotor Klimaschutz
Waren es 2004 »nur« 160 000 neue Jobs, die in den Klimaschutz-Branchen entstanden, sind es 2006 bereits 235 000 neue Arbeitsplätze – ein Plus von 50 Prozent in nur zwei Jahren!
(Quelle: BMU)

Und die Natur trägt ebenfalls zum Medien-Hype bei: Wie auf Bestellung rasen Barry, Dean, Kyrill und die anderen Wirbelstürme über die Bildschirme der Welt, sind Flut- und Dürreopfer zu beklagen, brennen im Sommer 2007 die Wälder in ganz Südeuropa.

Das wissen die Medien nun zu nehmen, sie fragen nach den Folgen der weltweiten Klimaveränderung – wie in den fünf Folgen von »ZDF.umwelt unterwegs«. Um große europäische Inseln beziehungsweise Inselsysteme geht es. Und das Ergebnis ist höchst unterschiedlich, folgenlos allerdings wird der Klimawandel für keine der Inselgruppen sein.

Mehr Geld für den Klimaschutz
Von 875 Millionen Euro im Jahr 2005 steigern sich die Klimaschutzausgaben der Bundesregierung (über alle Ressorts) auf 2,6 Milliarden im Haushalt 2008.
(Quelle: BMU)

Es fügt sich, dass Deutschland den EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2007 hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt diese Chance und schwört die Gemeinschaft auf mehr Klimaschutz ein. Immerhin hatte sie ja schon 1995 als Bundesumweltministerin mit der »Berliner Erklärung« als Ergebnis der Weltklimakonferenz einen Grundstein für diese Klimapolitik gelegt. Auch beim G8-Gipfel in Heiligendamm gibt es mehr Bekenntnisse für Klimaschutz, plötzlich ist der Druck da: Es gibt einen Klimawandel, und der wird in hohem Maß vom Menschen verursacht. Kein seriöser Wissenschaftler zweifelt mehr daran. Und wer jetzt nicht Klimaschutz auf seine Fahnen schreibt, der handelt politisch inkorrekt.

Mehr Strom aus Erneuerbaren
Auf 71,5 Milliarden Kilowattstunden (2005: 64,35) stieg die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien 2006. Allein der Anstieg innerhalb eines Jahres liegt damit über der Stromproduktion beispielsweise des Kernkraftwerks Brunsbüttel.
(Quelle: BEE)

Nach Jahrzehnten verzweifelter Versuche, die Weltgemeinschaft vom Klimawandel zu überzeugen, gelingt dies nun in nur wenigen Monaten. 2007 ist das Jahr, in dem der Klimawandel vom wissenschaftlichen Ladenhüter zum politischen Bestseller wurde. Eben eine Medienkarriere.

 
 
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