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2005  
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Armin Conrad

Zehn Jahre »Kulturzeit« – zehn Jahre Public Value

 
Armin Conrad
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Andrea Meier, Ernst A. Grandits, Tina Mendelsohn, Gert Scobel
Andrea Meier, Ernst A. Grandits, Tina Mendelsohn, Gert Scobel


Aufzeichnung der »Kulturzeit«-Jubiläumssendung
Aufzeichnung der »Kulturzeit«-Jubiläumssendung
 

Die Köpfe in den Projektgruppen rauchten damals. Damals, das war 1994, und der Rauch muss weiß gewesen sein. Der Gedanke an ein tägliches Kulturmagazin auf 3sat entfaltete seine ersten Wirkungen. Monatelang wurde es intern und geheimnisvoll auch genauso genannt: Das neue Kulturmagazin. So etwas war auch von einem öffentlich-rechtlichen Sender noch nie auf die Agenda gesetzt worden: Kultur täglich, montags bis freitags. Als Magazin! Und das auch noch mitten in der Primetime. Das war ein Wagnis. Aber bei 3sat gibt es eben nicht nur eine öffentlich-rechtliche Anstalt, sondern vier davon. Und – das gehört auch zu der Geschichte – es gab auch nicht den Quotendruck, dem sich die so genannten Hauptprogramme auch damals schon nicht mehr entziehen konnten.

Ein neues Kulturmagazin also. Täglich Kultur. Das »heute-journal« hatte es mal versucht. Im Sommer 1990: Vorsichtig wurde es an das Ende der Sendung gestellt. Fünf-Minuten-Kultur. Bald nannte man es intern die »Kultur-Terrine« und etwas später wurde es eingestellt.

Und jetzt also bei 3sat und alles mit einer neuen Idee und einer neuen Kompetenz, nämlich, sich vor allem über den deutschen Sprachraum zu definieren. Man hatte geübt. Seit 1992 gab es das 14-tägige, unmoderierte Magazin »Kultra« mit frischen Beiträgen aus allen 3sat-Ländern. 1993 kam durch den Beitritt der ARD zur 3sat-Familie das von Gert Scobel moderierte Magazin »Kulturplus« hinzu, ein Remix aus Produkten der ARD-Kulturmagazine.

Als das Baby dann auf »Kulturzeit« getauft, als in schwungvollem Teamwork ein Studio- und Sendungsdesign entworfen, entwickelt und gebaut und als erster Sendetermin der 2. Oktober 1995 festgelegt war, da wussten die Macher in Redaktion und Produktion: Jetzt galt es, nicht nur Neuland zu betreten, sondern auch zu beackern.

»Kulturzeit« war dazu verdonnert, an vier Fronten zu kämpfen:

Ein täglich neues Magazin muss auch täglich Neues bringen. Das ist die Arena der Aktualität. Nachrichten haben Verfallsdaten, eine zu späte Auslieferung wird einem täglichen Fernsehprodukt – noch dazu von der Sendezeit her zwischen zwei Masterformaten des aktuellen Journalismus, der »heute«-Sendung und der »Tagesschau« angesiedelt, – nicht verziehen.
Ein Kulturmagazin muss sich in der journalistischen Sichtweise, zum Beispiel in der Bildsprache seiner Beiträge, unterscheiden. Von den Sendeformaten der Aktualität, denen der politischen Magazine, von den Fernsehdokumentationen. Erkennbarkeit macht ein Format zur Marke.
Ein 3sat-Magazin, an dessen gemeinsamer Redaktion Österreich, Schweiz und Deutschland beteiligt sind, muss auch »3sat-ig« daherkommen. Also: Die Moderatoren werden von allen 3sat-Partneranstalten gestellt. Regelmäßig werden Beiträge aus Österreich und der Schweiz ins Programm genommen.
Eine Produktion von 3sat hat mit dem Geld auszukommen, das ihr zur Verfügung gestellt wird. Der Finanzrahmen schloss von Anfang an eine komplette Neuproduktion aller Magazininhalte aus. »Kulturzeit« muss also auch Beiträge aus anderen Sendungen wiederholen können und dürfen. Dies dann so aufzubereiten, als wäre es völlig frisch, ist die Kunst des Recyclings.
Am 2. Oktober 1995 war Premiere. Moderator Gert Scobel ließ an diesem Tag aufgepulte Erdnüsse auf den Glastisch kullern. Das koppersche Peanuts-Wort besaß noch Ausstrahlung und wurde an diesem Abend in die Symbolik jenes Kampfes aufgenommen, den kulturelle Einrichtungen in Frankfurt/Main und anderswo führen, um ihren Fortbestand zu sichern.

Was geschah seitdem? 2400 Mal würfelte sich der »Kulturzeit«-Jingle ins Abendprogramm des kultur- und informationsinteressierten Fernsehzuschauers. Mehr als 100 »Kulturzeit extra« wurden produziert: Features, Dokumentationen, Interviews, Studiorunden, Jahresrückblicke, aber auch Magazinsendungen bei besonderen Anlässen und 3sat-Thementage. Und im Laufe der Jahre wurde die Sendung ein Markenzeichen für deutschsprachiges Kulturfernsehen.

Und sie war schon nach wenigen Jahren keine »Peanuts« mehr, obwohl ihr Anteil am Fernsehmarkt immer unter einem Prozent blieb. 1999 gab es den Deutschen Fernsehpreis in der Sparte Beste Informationssendung, 2001 wurde Moderator Gert Scobel mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet, stellvertretend für das gesamte Redaktionsteam, wie es damals in der Begründung der Preisjury hieß, und 2005 gab es für ihn, der inzwischen die »delta«-Redaktion des Kulturkanals leitete, auch den Grimme-Preis.

ZDF-Intendant Markus Schächter brachte jüngst den Begriff des Public Value in die irrlichternde Diskussion um Einschaltquoten und Marktanteile ein. Public Value, ein Maß für die Qualität, die sich eine demokratische Gesellschaft für ihre öffentlichen Diskussionen leistet. Public Value als Gegenbegriff zu Shareholdervalue und Stakeholdervalue, beides Begriffe aus der Ökonomie, aber beide doch auf den Nutzen für Einzelne – Aktionäre oder Interessenwahrnehmer – zugeschnitten. Auch wenn ihre Forderungen meist kollektiv vorgetragen und verhandelt werden.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist der Garant dafür, dass die mühevollen Prozesse auf dem Weg zu einer demokratischen Kultur und dem mit ihr verbundenen würde- und respektvollen Umgang mit Menschen nicht wieder zurückgerollt werden können, zurück in totalitäre, barbarische Strukturen. Demokratie erhalten und leben zu können, das ist ein Public Value, über dessen Existenz sich alle verständigt haben, ohne dass man ihn in irgendeiner Währung messen könnte wie Einschaltquoten oder Marktanteile. Der Begriff lässt durchschimmern, dass der öffentliche Wert einer Fernsehsendung nur teilweise etwas mit der Größe ihres Publikums zu tun hat. Es gibt im deutschen Fernsehen, auch im öffentlich-rechtlichen, viele Sendungen mit mehreren Millionen Zuschauern, bei denen man es schwer hat, ihnen »öffentlichen Wert« beizumessen. Letztlich geht es um die persönlich und gesellschaftlich stets neu zu bewertende und zu beantwortende Frage, was wichtig ist. Und Fernsehsendungen sind nicht deshalb wichtig, weil ihre Existenz belegt, dass auch der verrückteste Opernfreak und der besessenste Goldhamsterzüchter berücksichtigt sind. Fernsehen – wichtiges und weniger wichtiges – baut am öffentlichen Gesamtklima einer Gesellschaft. Es reißt Fassaden ein und baut neue Brücken und manchmal auch neue Fundamente. Die unwichtigen Sendungen tun das, weil sie manchmal das vielfache Publikum haben, mit größerer und manchmal schädlicher Wirkung. Das ist wahrscheinlich nicht zu ändern. »Kulturzeit« auf 3sat, montags bis freitags, ist in diesem Sinne eine wichtige Sendung. Das will sie auch bleiben.
 
 
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