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2005  
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Wolfgang Bergmann

Vom Staube befreit
Theaterfilme wie »Kabale und Liebe« und »Nachtasyl« erobern ein junges Publikum

 
Wolfgang Bergmann
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Luise Miller (Paula Kalenberg) mit Ferdinand von Walter (August Diehl)
Luise Miller (Paula Kalenberg) mit Ferdinand von Walter (August Diehl)


Katja Flint als Lady Milford
Katja Flint als Lady Milford


»Nachtasyl«: Hardy Sturm, Uwe Karpa und Erkan Durmaz
»Nachtasyl«: Hardy Sturm, Uwe Karpa und Erkan Durmaz


Eva Herzig in der Rolle der todkranken Anna
Eva Herzig in der Rolle der todkranken Anna
 

Informieren, dokumentieren, elektronische Bühne sein: Das war, das ist das Credo des ZDFtheaterkanals seit es ihn gibt. So interessant es ist, über die Welt der Bühnenkunst zu berichten und das kulturelle Gedächtnis durch Bühnenaufzeichnungen, Porträts und Dokumentarfilme zu erweitern – die aufregendste Herausforderung liegt zweifellos in der Möglichkeit, dem Theater via Fernsehen eine eigene, eine neue Bühne zu eröffnen und mit film- und fernsehspezifischen Mitteln Theaterstoffe neu zu erschließen. Das eröffnet den Raum für Experimente und stimuliert den Dialog zwischen den Kreativen, Künstlern und Darstellern, und es erschließt im günstigsten Fall eines gelungenen Produkts am Bildschirm neues Publikum für die Sache des Theaters. Eines der Ergebnisse dieser Fernsehwerkstatt, die der ZDFtheaterkanal seit dem 1. Dezember 1999 einrichten und betreiben durfte, ist der Theaterfilm.

Die (Wieder-)Entdeckung des Genres »Theaterfilm« beginnt mit einer Chimäre: Halb Film, halb Theater war Frank Castorfs filmischer Entwurf der Dämonen von Dostojewski im Jahr 2002. Der Berliner Volksbühnen-Prinzipal, der schon immer gerne auf der Bühne mit Medien und Videokunst experimentiert hatte, wollte nun einmal den Spieß herumdrehen, versetzte eine seiner erfolgreichen Bühneninszenierungen – eben Die Dämonen – samt Bühnenbild und Schauspielern aufs platte Land und drehte auf mecklenburgischen Feldern, Wiesen und Wäldern eine verschrobene Filmversion seiner Inszenierung, die der ZDFtheaterkanal zusammen mit ARTE produzierte. Das Ergebnis war – wie häufig bei Castorf – schwer zugänglich, aber irgendwie spannend, sehr spannend sogar.

Der entscheidende Schritt jedoch gelang im Jahr 2004. Mit dem Film- und Fernsehspielregisseur Uwe Janson und der Berliner Produktionsfirma Teamworx erarbeitete der Theaterkanal, wieder unterstützt von ARTE, einen ersten inszenierungsunabhängigen »Filmfilm« auf der Basis eines Theaterstoffes: Brechts Baal, kongenial verkörpert von Matthias Schweighöfer, erlebte eine umjubelte Premiere bei der Berlinale 2003, wurde preisgekrönt und bekam bei mehreren Ausstrahlungen in der ZDF-Programmfamilie ein bislang mit Theaterstoffen nicht erreichtes Publikum. So weit die Vorgeschichte.

»Kabale und Liebe«
Schiller vom Staube befreien, das war das Ziel eines umfangreichen Programmschwerpunkts, den das Team des ZDFtheaterkanals für die gesamte ZDF-Programmfamilie mit 3sat und dem ZDF-Hauptprogramm, aber auch mit vielen Institutionen und Partnern außerhalb des Fernsehens aus Anlass des 200. Todestags im Jahr 2005 realisierte. Zahlreiche Aktivitäten – von der fulminanten Eröffnung mit einem 24-Stunden-Lese-Event in der Akademie der Künste in Berlin über einen Schiller-Thementag bei 3sat bis hin zu einem Schülertheaterwettbewerb – machten das vermeintlich unnahbare Werk des Dichterfürsten neu erlebbar.

Die rasanteste Entstaubung jedoch gelang Leander Haußmann, seit vielen Jahren Star-Regisseur am Theater und seit »Sonnenallee« und »Herr Lehmann« Hoffnungsträger des deutschen Kinos. Auf Anregung und unter Redaktion des ZDFtheaterkanals drehte er in Koproduktion mit 3sat, ZDF und ORF und der Produktionsfirma Boje/Buck an verschiedenen historisch ausgestatteten Schauplätzen an der österreichisch-tschechischen Grenze eine Filmversion des Liebesdramas, das Schiller einst als flammende Anklage gegen die unmenschliche, aristokratisch geprägte Ständegesellschaft geschrieben hatte. Haußmann verdichtete das im Theater gut dreieinhalb Stunden beanspruchende Drama zusammen mit seinem Koautor Boris Naujoks auf 100 Minuten und stellt das Thema Vertrauen in den Mittelpunkt. Ein glänzend in Szene gesetztes Staraufgebot mit Götz George, Katharina Thalbach, Detlev Buck, August Diehl und der liebreizenden Neuentdeckung Paula Kalenberg in der Rolle der jungen Luise sorgte für eine glanzvolle Neuinterpretation, ohne Schillers Originalsprache wesentlich zu verändern.

Bereits die Erstausstrahlung bei 3sat erreichte mit einem Prozent Marktanteil eine Reichweite über dem Senderdurchschnitt und mit 1,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen einen erfreulich jungen Publikumserfolg dazu. Bei der ZDF-Ausstrahlung am späteren Sonntagabend waren acht Prozent Marktanteil, mehr als eine Million Zuschauer zu verzeichnen, die höchste Zuschauerzahl, die jemals in den vergangenen 20 Jahren mit einem Theaterstoff erreicht wurde. Das Presseecho war enorm stark, überwiegend positiv und zum Teil enthusiastisch. »Mehr davon« forderte Die Welt.

»Nachtasyl«
Ein weiterer Theaterfilm aus der ZDFtheaterkanal-Werkstatt hatte im Oktober bei ARTE Premiere. Maxim Gorkis düsteres, schwieriges Sozialdrama Nachtasyl bildete die Grundlage für das Filmprojekt, initiiert vom Drehbuchautor Hardi Sturm, der Schauspielerin Esther Schweins und der Berliner Produktionsfirma NFP. Das 1901 geschriebene Stück spielt in einer schäbigen Kellerhöhle, in die sich Ausgestoßene und Deklassierte flüchten, ein surrealer Ort des Wartens, Hoffens, Überdauerns und Sterbens.

Rund 100 Jahre später, in Zeiten von Hartz IV und Krise des Sozialstaates, sind es Abgewickelte, Abgestürzte, Verführte, Gescheiterte und Chancenlose, die ihren Lebens-Sinn verloren haben. Die Realität hat das alte Stück wieder aktuell gemacht.

In Hardi Sturms »Nachtasyl« bilden die Protagonisten eine zufällige Melange von ausgegrenzten Verlierern der Gesellschaft: der Säufer, die Kranke, der Profitler, die Träumerin. Keiner hat Arbeit, kaum einer Geld und niemand eine Zukunft. Das Leben war nicht gut zu ihnen. Und doch ist die Verelendung dieser Asylbewohner keine des fehlenden Brotes, sondern eine sehr gegenwärtige des Herzens und des Denkens. Sie sind auf den engen Raum einer Notgemeinschaft zurückgeworfen und umkreisen mehr oder weniger hoffnungslos die elementarste Frage des Lebens: Was ist der Mensch? Nicht nur die Aktualität des Stoffes macht den Film sehenswert, sondern auch die schauspielerischen Leistungen eines geschickt agierenden Ensembles: Hans-Peter Hallwachs, Esther Schweins, Wolfgang Maria Bauer, Max Riemelt und andere mehr lassen die Aussichtslosigkeit der sozial Gestrandeten plastisch werden.

»Kabale und Liebe« und »Nachtasyl« zeigen, dass es mit sorgfältig erarbeiteten Drehbüchern, ambitionierten Regisseuren und wundervollen Schauspielern gelingen kann, Theaterstücke zeitgemäß in eine neue filmische Form zu bringen, ohne den Stoff selbst zu verraten.

Es gehört zu den schönsten und vornehmsten Aufgaben des ZDFtheaterkanals, diese Stücke filmisch neu zu entdecken und damit einem Publikum zugänglich zu machen, das Theater zum Teil schon in der bildungsbürgerlichen Vitrine vergessen geglaubt und damit ein Stück unserer Kultur aus dem Auge verloren hatte. Hier immer wieder neue Akzente zu setzen, bedeutet einen wichtigen Beitrag zu leisten zur Steigerung des Public Value von ZDF und seinen Partnerprogrammen.
 
 
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