ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2004  
ZDF Jahrbuch
Schwerpunkte des Jahres
Markus Schächter
Carl-Eugen Eberle
Nikolaus Brender
Udo van Kampen
Michael Schmitz
Susanne Biedenkopf
Gottfried Langenstein
Heiko Holefleisch

Udo van Kampen

Europas Verfassung – Anspruch und Wirklichkeit

 
Udo van Kampen
Udo van Kampen
              
 

Es war ein Kraftakt ohnegleichen. Endlich hat Europa eine Verfassung. Freude bei den Staats- und Regierungschefs bei der feierlichen Unterzeichnung im Herbst 2004 in Rom. Seit 1992 bastelt Europa an der politischen Union, doch Mal um Mal war der Durchbruch gescheitert. Von Amsterdam 1997 über Nizza 2000 bis hin zum letzten Eklat am 13. Dezember 2003 in Brüssel. Mitte des Jahres 2004 dann der Durchbruch. Doch eine Verfassung, die der amerikanischen gleichen würde, ist es nicht geworden.

Zwar überträgt der »Vertrag über eine Verfassung in Europa« der EU mehr Zuständigkeiten zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele, doch in wichtigen Teilbereichen, wie zum Beispiel bei der Steuer- und Rechtspolitik, hat die Staats- und Regierungschefs der Mut verlassen. Vor allem die Briten drängten darauf, dass die volle Souveränität der Einzelstaaten in diesen Bereichen gewahrt bleibt.

In den Papierkorb wanderten auch alle Versuche, der EU-Kommission mehr Macht einzuräumen, um die Wirtschaftspolitik weiter zu integrieren, die Steuer zu harmonisieren oder den Stabilitätspakt durchzusetzen. Mit der neuen Verfassung werden die Mitgliedsstaaten, rein ökonomisch gesehen, nicht zu mehr Gemeinsamkeit gezwungen als heute. Im Gegenteil: Ganz offen zeigte sich auf dem Gipfel, dass viele Staats- und Regierungschefs Brüssel als Macht in Wirtschaftsfragen nicht akzeptieren möchten.

Immerhin: Neu ist das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates. Er oder sie wird von den Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit für zweieinhalb Jahre gewählt. Das System des alle sechs Monate rotierenden Ratsvorsitzes wird abgeschafft. Der Präsident des Europäischen Rates soll die Treffen der Staats- und Regierungschefs vorbereiten und den Einigungsgedanken vorantreiben.

Neu ist auch das Amt eines Außenministers der Europäischen Union. Er hat eine vergleichbar starke Position. Denn mit einem »zweiten Hut« ist der Außenminister zugleich einer der Vizepräsidenten der Europäischen Kommission. Der EU-Außenminister führt den Vorsitz im Rat der Außenminister, und er wird von einem neu zu bildenden europäischen diplomatischen Dienst unterstützt.

Bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten und der Kommissare gilt das Prinzip: »Ein Land, ein Kommissar« – allerdings nur bis 2014. Danach sollen die Kommission auf 18 Mitglieder verkleinert und die Arbeit effizienter gestaltet werden. Größter Gewinner durch die Verfassung ist das Europäische Parlament.

Seine Macht wird durch ein ausgeweitetes Mitentscheidungsverfahren etwa auf dem Gebiet der Innen- und Rechtspolitik deutlich gestärkt. Gegen das Parlament kann kaum noch eine Gesetzesinitiative verabschiedet werden. Das bedeutet mehr Demokratie für die europäischen Entscheidungsprozesse.

Künftig werden mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit fallen. Die Mehrheitsverhältnisse waren am heftigsten umstritten. Der Kompromiss nach langem Feilschen: Ein Beschluss gilt als angenommen, wenn dafür 55 Prozent der Mitgliedsstaaten gestimmt haben, die zugleich mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Trotz aller Fortschritte: Ein Quantensprung in eine politische Union ist die Verfassung nicht. Eine Menge Halbherzigkeiten versperren die Sicht auf den großen Wurf. Die Verfassung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stimmung in Europa schlecht ist. Europa ist noch weit entfernt von der Rolle des Global Players. Und gerade die Krisen im Irak oder auch die Flutkatastrophe in Asien unterstreichen: Es gibt noch keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und keine ausreichend koordinierte Katastrophenhilfe. Der Stachel der nationalen Egoismen sitzt tief.

In ihrem Herzen getroffen wurde die Europäische Union durch die geringe Wahlbeteiligung der Bürger bei den Wahlen im vergangenen Jahr. Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten ging zur Urne, um ihre Abgeordneten zu wählen. Eine Schlappe für Europas Demokratie. Die Gemeinschaft bemüht sich daher jetzt, Europa mit Hilfe des Fernsehens populärer zu machen. Mit Quiz- und Spielsendungen ließe sich das Verständnis für Europa verbessern, so hoffen die Staats- und Regierungschefs. Österreich schlug gar vor, nach »Big Brother«-Muster Kandidaten aus 25 Ländern in einen Container zu stecken.

Dennoch: Mit der Verfassung wurde etwas erreicht, was vor wenigen Jahren kaum jemand zu hoffen wagte. Nur sie kann dem gerecht werden, was die Bürger von Europa erwarten: Frieden und Sicherheit, Wohlstand und Solidarität in ganz Europa. Allerdings – sie muss noch in jedem einzelnen EU-Land ratifiziert werden.

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2005
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika