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2004  
ZDF Jahrbuch
Produktion und Technik
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Manfred Denninger

Manfred Denninger

TED oder die Tele-Demokratie

 
Manfred Denninger
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TED
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TED-Auswertung zur Ermittlung des Wettkönigs
TED-Auswertung zur Ermittlung des Wettkönigs
              
 

Ein Moderator fordert die Zuschauer auf: »Bitte rufen Sie jetzt an.« Das ist bei vielen Sendungen zum Standard geworden. So beginnen Umfragen unter den Fernsehzuschauern, die aus einem vorgegebenen Katalog von Möglichkeiten eine Antwort aussuchen und die dafür vorgesehene Rufnummer wählen. Die automatische Ansage »Ihr Anruf ist gezählt, bitte legen Sie auf« signalisiert, dass man auf eine spontane, schnelle und billige Weise an einer Massenabstimmung teilgenommen hat, dem TELEDIALOG, im Volksmund auch TED genannt.

Das war nicht immer so: Radio und Fernsehen sind aus technischen Gründen Einbahnstraßen vom Sender zum Empfänger. Als Dialogmedium kamen nur Postkarten infrage, was unbequem, langsam und teuer war, spontane Reaktionen waren nicht möglich. Der Weg zu einem Live-Rückkanal wurde durch ein in den USA eingeführtes Verfahren eröffnet, bei dem Hilfskräfte nur noch Anrufversuche auf verschiedenen Telefonleitungen zählten.

Daraus entstand beim ZDF der Plan, Anrufe in großer Zahl vollautomatisch zu registrieren. Für die Sendung »Schauplatz Berlin« auf der Internationalen Funkausstellung 1979 in Berlin wurde ein solches System entwickelt und erstmals eingesetzt. Das damalige Fernmeldetechnische Zentralamt (FTZ) der Deutschen Bundespost war bereit, die telefontechnischen Voraussetzungen zu schaffen. Das Ergebnis war eine handgestrickte Schaltung, die bei einem Anruf einen Impuls auf einer Datenleitung auslöste, was etwa eine Millisekunde dauerte und auf gleichzeitig acht Telefonnummern funktionierte. Man konnte nun entweder aus bis zu acht Ereignissen wählen lassen oder, über eine entsprechende Nummernlogik, auch Ja/Nein-Antworten nach Alter und/oder Geschlecht abfragen.

Beim ZDF war inzwischen ein Mikroprozessorsystem entwickelt worden, das es erlaubte, diese acht Leitungen gleichzeitig auf Impulse hin zu überwachen. Sie wurden, entsprechend der Leitung, auf einen von acht Zählern addiert und als Summen rechnerlesbar aufbereitet. Aus der Wahlberichterstattung war ein Prozessrechner vorhanden, mit dem Hochrechnungsergebnisse in einfache Grafiken umgesetzt werden konnten. Das war ein Ungetüm, zwei Meter hoch, 19 Zoll breit, nur durch Spediteure zu bewegen, und wollte immer penibel klimatisiert sein. Der Arbeitsspeicher war heute unvorstellbare 28 KB »groß«, das wirklich sehr große Plattenlaufwerk hatte 5,5 MB. Trotzdem war es möglich, den Rechner so zu programmieren, dass er die Telefondaten vom Mikroprozessor abholte, sie entsprechend der gestellten Frage verarbeitete und mit Hilfe einer Semigrafikkarte in vorbereitete einfache grafische Darstellungen in Fernsehnorm umsetzen konnte.

Ein Nadelöhr war zu dieser Zeit noch das Telefonnetz. Deshalb bekamen wir die Auflage, dass zunächst nur 600 Westberliner Telefonteilnehmer anrufen durften. Diese wurden nach repräsentativen Gesichtspunkten ausgewählt. Wie sich bald herausstellte, waren diese Zuschauer mit Feuer und Flamme dabei, die 600 Stimmen waren immer innerhalb von zwei Minuten abgegeben.

Es lag nahe, dass sich die Unterhaltungsredaktionen im ZDF dieses Instrument nicht entgehen lassen wollten. 1980 wurde gerade die Sendung »Wetten, dass …?« geplant. Die Zuschauer sollten per TED gefragt werden, ob sie die vorgestellten Wetten für durchführbar hielten. Daraus wurde eine Quote ermittelt, aus der sich der spätere Gewinn ergab. Inzwischen durften bundesweit 1000 bis 1200 ausgesuchte Zuschauer teilnehmen. Die grafische Auflösung bestand aus einem eckigen Männchen, das sehr ungelenk mit den Armen anzeigte, wie das Zuschauervotum ausgefallen war.

Es folgten viele andere Sendungen. Am bekanntesten wurden die monatlichen Hitparaden verschiedener Musikrichtungen, die erst vor kurzer Zeit eingestellt wurden. Im Gedächtnis der Zuschauer ist heute noch der ZDF-Wunschfilm, der mehrere Jahre lang jedes Sommerwochenende lief. Die Resonanz war gewaltig, die Anrufzahlen beliefen sich auf mehrere Millionen pro Samstag. Telefonnetze wurden zeitweise lahm gelegt. Bald wurde TED in nahezu allen aktuellen Formaten des ZDF eingesetzt. Da die Einrichtung bis Ende der 80er Jahre ein Unikat war, haben wir auch in Sendungen für ARD-Anstalten sowie für ORF und SRG mitgemacht.

Ein entscheidender dramaturgischer Effekt dieser Umfrageart ist, dass das Ergebnis sofort zur Verfügung steht. Der Zuschauer kann nicht nur etwa den Gewinner der Hitparade festlegen, sondern auch Einfluss auf den weiteren Verlauf der laufenden Sendung nehmen. Es lässt sich ein dramaturgischer Spannungsbogen über eine Sendung ziehen, die Zuschauer bleiben dran, weil sie selbst mitgemacht haben und das Ergebnis nicht verpassen wollen.

Technische Entwicklungen bleiben nie stehen. So wurde in enger Abstimmung zwischen Telekom und ZDF permanent weiterentwickelt. Datendurchsatz, Betriebssicherheit und Vielseitigkeit wurden immer wieder erhöht. Heute sind Stimmabgabe und Steuerung der Gesamtanlage in das normale Telefonnetz integriert. Ergebnisse können bis hinunter in die Ortsnetzebene abgefragt werden, woraus beliebige Strukturen geknüpft werden können, die interessante Vergleiche und Spiele ermöglichen. Über Zufallsgeneratoren lassen sich Gewinnspiele integrieren. Die Gesamtkapazität liegt heute bei weit über 100 000 Anrufen pro Minute. Auch die Grafikcomputer wurden kleiner, schneller und bunter.

Seit einiger Zeit kann auch per SMS abgestimmt werden. Diese Ergebnisse werden über eine andere Plattform abgefragt und ausgewertet, können aber in das Gesamtergebnis einbezogen werden. Daneben besteht, zumindest theoretisch, die Möglichkeit der Abstimmung über das Internet. Bei den kurzen Abstimmzeiten ist das Stimmaufkommen allerdings verschwindend klein.

Die Stimmverteilung ist, im Gegensatz zur TED-Anfangszeit, heute nicht mehr repräsentativ, da jeder so oft anrufen kann, wie er möchte. Da jede Sendung nur einen ganz bestimmten Personenkreis anspricht, genügt es aber, nur diesen abzufragen. Es wäre beispielsweise wenig sinnvoll, Pop-Anhänger ausgerechnet über Volksmusik abstimmen zu lassen.

Mit einem Instrument wie TED lässt sich auch Missbrauch betreiben. Es ist deshalb begrüßenswert, dass sich das ZDF bei Fragestellungen politischer oder gesellschaftspolitischer Art immer sehr zurückgehalten und damit auch die Qualität der Abstimmung berücksichtigt hat.

Heute werden, überraschenderweise auch von Printmedien, oft haarsträubende Fragen gestellt, auch solche mit plebiszitärem Charakter, ungenau und ohne jede Umfelderklärung, doch die spärlichen Antworten werden dann auch noch als die Meinung der Leute veröffentlicht. Damit wird dieses System sicher missbraucht und kann zu einer Verunsicherung und allgemeinen Unglaubwürdigkeit führen. Ranglisten aller Art wurden, nicht immer ganz durchsichtig, lange Jahre von Redakteuren, Kritikern und interessierten Kreisen aufgestellt. Heute kann man die Zuschauer fragen und einfach die Mehrheit bestimmen lassen – was der Blick in die deutschen Fernsehprogramme fast täglich beweist.

Vernünftig eingesetzt ist das TED-System sicher eine Bereicherung für viele Sendungen und aus vielen Programmbereichen nicht mehr wegzudenken. Deshalb soll es auch weiterhin heißen: »Bitte rufen Sie jetzt an … «

 
 
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