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Eberhard Piltz

George W. Bush und die Glaubwürdigkeitslücke

 
Eberhard Piltz
Eberhard Piltz
              
 

Es gibt eine berühmte historische Fußnote, eine Begebenheit, die 40 Jahre zurückliegt und ein bezeichnendes Schlaglicht auf die aktuelle politisch-diplomatische Rolle der USA in der Welt wirft: Auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise hatte der amerikanische Präsident John F. Kennedy seinen Außenminister Dean Rusk nach Paris geschickt, um Präsident Charles de Gaulle den Ernst der Lage zu erläutern. Amerika war entschlossen, wegen der sowjetischen Raketen auf Kuba einen Schritt zu riskieren, der auf dem Höhepunkt der Ost-West-Spannung die Gefahr eines Atomkriegs beinhaltete und auch Europa direkt betreffen könnte. Der französische Staatspräsident – alles andere als ein blinder Gefolgsmann der USA – erklärte seine volle Übereinstimmung mit Präsident Kennedy und die Unterstützung des gefährlichen Konfrontationskurses. Als Dean Rusk zum Beweis die zu diesem Zeitpunkt noch geheimen Luftaufnahmen der russischen Raketen vorlegen wollte, lehnte Charles de Gaulle mit den Worten ab: »Das Wort des Präsidenten der Vereinigten Staaten ist mir Beweis genug.«

Eine solche Demonstration von Vertrauen gegenüber Präsident Bush ist vor, während und nach dem amerikanischen Angriffskrieg im Irak nicht vorstellbar gewesen. Selbst mit seinem Lichtbildervortrag bei den Vereinten Nationen hat Außenminister Colin Powell die weltweiten Zweifel an der Echtheit der gezeigten Beweismittel und die Skepsis gegenüber den vorgetragenen Argumenten nicht beseitigen können. Auch in den Vereinigten Staaten selbst ist die öffentliche Meinung gespalten, ob Saddam Hussein über atomare, biologische und chemische Kampfstoffe verfügt oder ihre Herstellung in gefährlichem Ausmaß angestrebt hat. Die Suche nach den Massenvernichtungswaffen hat auch nach dem Sturz des Diktators höchste Priorität für die Spezialeinheiten der amerikanischen Besatzungstruppen.

Die Bush-Administration hat drei verschiedene und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich betonte Begründungen für den Krieg im Irak angegeben. Die letzte – Demokratisierung der Nahostregion – ist eine Vision, die beiden ersten – Kollaboration des Regimes mit Al-Qaida-Terroristen und Ansammlung von Massenvernichtungswaffen – sind Behauptungen.

Nach der amerikanischen Verfassung gibt es nur einen zulässigen Grund, die Nation in militärische Handlungen zu verstricken: die Sicherheit der Vereinigten Staaten. Präsident Bush fällt es in seiner Rhetorik leicht, diese Verbindung durch den Krieg gegen Terrorismus nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 herzustellen. Der Schock hat im kollektiven Bewusstsein der Amerikaner eine Patriotismuswelle ausgelöst, die nach Aktion verlangte. Der Krieg in Afghanistan wurde als notwendig empfunden, doch bereits mit seiner »Achse des Bösen«-Rede und der Einteilung der Welt in Freund und Feind hat der Präsident eine Position bezogen, die Hoffnung und Glauben in die politisch-strategische Gleichung einbezieht und deswegen zwangsläufig bei den amerikanischen Bürgern wie innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft zur Polarisierung beiträgt.

In der Geschichte der Menschheit ist das gewalttätige Austragen von Konflikten die einzige Konstante – und die Kategorie »Wahrheit« ist dabei immer problematisch gewesen. Die »wahren« Motive und Interessen stimmen selten nahtlos mit den angegebenen Begründungen überein. Gerade deswegen ist in demokratischen Gesellschaften die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsträger von herausragender Bedeutung. Der Regierung Bush, die die modernen Methoden von Image Building und Public Relations nutzt wie selten eine Administration zuvor, gelingt es dennoch nicht, die »Glaubwürdigkeitslücke« zu schließen. Dieses Problem hat, abgesehen vom Irak-Krieg, eine grundsätzlich neue Qualität durch die Verkündung der so genannten »Bush-Doktrin« erhalten. Darin ist der vorbeugende militärische Erstschlag offiziell in den Katalog der strategischen Optionen der USA aufgenommen worden.

Dieser »preemptive strike« macht angesichts der wahrscheinlich auf Dauer nicht zu verhindernden Weiterverbreitung von nuklearen Massenvernichtungswaffen und der Fragwürdigkeit des Abschreckungsprinzips gegenüber selbstmörderischen Fanatikern schrecklichen Sinn, erhebt allerdings die Information über Absichten und Möglichkeiten des Gegners in den Rang eines quasi automatischen Kriegsauslösemechanismus. Aufklärungsergebnisse und die Arbeit der Geheimdienste werden durch die »Bush-Doktrin« zum entscheidenden Faktor der politischen und strategischen Führung. Ihr Wahrheitsgehalt ist kaum zu überprüfen, das geheime Herrschaftswissen kann manipuliert und nach politischem Gutdünken interpretiert werden. Die Entscheidungsvorgänge verlieren an Transparenz und die Glaubwürdigkeit der Handelnden wird über das bisher in offenen Gesellschaften wie den USA übliche Maß hinaus strapaziert. Persönliche Charaktereigenschaften, im Falle George W. Bushs seine Religiosität und sein konservatives Weltbild sowie sein Regierungsstil mit einem geschlossenen, gegen Außeneinflüsse weitgehend abgeschotteten Beraterkreis an der Spitze der globalen Supermacht, können die Weltpolitik verändern.

Es ist zu früh, um alle Fakten, die zum Krieg im Irak geführt haben, nach ihrem Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Auch die politische Opportunität des Kriegs wird sich erst beurteilen lassen, wenn die Konsequenzen für die künftige Ordnung im Irak und im Nahen Osten erkennbar werden. Noch halten sich Chancen und Risiken in etwa die Waage. Im Krieg gegen Terrorismus ist kein Ende abzusehen. Was sich allmählich abzuzeichnen beginnt, ist, dass die Aufklärungslage, die den Präsidenten zu seinen Entscheidungen geführt hat, auch in Washington umstritten bleibt.

Konkurrierende Machtzentren haben offenbar Geheimdiensterkenntnisse unterschiedlich bewertet. CIA, Verteidigungs- und Außenministerium haben um Einfluss auf den Präsidenten gerungen, und dem Nationalen Sicherheitsrat ist es nicht immer gelungen, die notwendige Klärung und Abgleichung vorzunehmen. Nur so ist es zu erklären, dass die falsche Information, Saddam Hussein habe waffenfähiges Nuklearmaterial in Afrika beschafft, Eingang in eine Präsidentenrede zur Lage der Nation gefunden hat. Vizepräsident Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld und der einflussreiche Kreis der neokonservativen Ratgeber wollten den Sturz des Diktators Saddam Hussein seit dem Ende des zweiten Golfkriegs um jeden Preis.

Außenminister Powell wollte bis zum Schluss einen Alleingang verhindern und war nach dem Scheitern seiner Bemühungen im Weltsicherheitsrat schwer angeschlagen. CIA, FBI und die anderen Geheimdienste waren verunsichert, weil sie den 11. September nicht hatten verhindern können, und damit beschäftigt, ihre Ressourcen neu zu organisieren.

In dieser Situation gewannen, speziell im Pentagon, die verschiedenen irakischen Exilgruppen einen unverhältnismäßig starken Einfluss auf die geheimdienstliche Lagebeurteilung. Sie präsentierten zum Beispiel Aussagen ehemaliger Mitglieder der irakischen Streitkräfte, die mangelhaft überprüft wurden, weil die amerikanische Spionage im Vertrauen auf elektronische Überwachung die Informationsbeschaffung durch Agenten vor Ort vernachlässigt hatte.

Die Behauptung, Präsident Bush habe zur Begründung des Kriegs bewusst unwahre Informationen verbreitet, ist nicht zu belegen. Es ist sicher richtig, dass in der beschriebenen Gemengelage eine Interpretation der Geheimdiensterkenntnisse stattgefunden hat, die den vorhandenen politischen Willen zum Krieg unterstützt hat. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muss allerdings hinzugefügt werden, dass Bush von Anfang an, unabhängig von den später nachgeschobenen Einzelheiten, nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass sein grundsätzliches Kriegsziel der Regimewechsel in Bagdad gewesen ist.

Das politische Nachspiel um die Entscheidung zum Krieg im Irak ist in Amerika in vollem Gange. Das Land befindet sich im Präsidentschaftswahlkampf und die Frage nach dem Umgang mit der Wahrheit wird gestellt. Die aussichtsreichen unter den Bewerbern der Demokratischen Partei befinden sich allerdings in der schwierigen Situation, dass keiner von ihnen damals, als die Entscheidung fiel, offen gegen diesen Krieg angetreten ist. Sie konzentrieren ihre Kritik auf die Planungen für die Zeit nach dem Sturz des irakischen Diktators und auf die militärischen und politischen Maßnahmen seit der Besetzung des Landes. Der hohe Preis in Blut und Geld, den Amerika bezahlt, steht in allzu krassem Gegensatz zu den Erwartungen, die Präsident Bush geweckt hatte, als er den Eindruck vermittelte, dass Amerikas Truppen nach schnellem Sieg als Befreier begrüßt würden. Bis zum Wahltag dürfte die Glaubwürdigkeit des Präsidenten Bush durch die Realität weiterhin auf eine harte Probe gestellt werden.

 
 
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