ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2003  
ZDF Jahrbuch
Schwerpunkte des Jahres
Markus Schächter
Ruprecht Polenz
Kurt Beck
Nikolaus Brender
Ulrich Tilgner
Stephan Hallmann
Eberhard Piltz
Peter Kunz
Martin Berthoud
Klaus-Peter Siegloch
Joachim Günther
Heike Hempel

Nikolaus Brender

Im »Café Bagdad« ging nie das Licht aus
Der Irak-Krieg - eine Herausforderung für Programm-Management und Informationskoordination

 
Nikolaus Brender
Nikolaus Brender
              
 

Der Irak-Krieg war ein Medienkrieg, wie es keinen zuvor gab. Die Konkurrenz der Medien war ohnegleichen. Global und hart. Ein Wettrennen der Technik und des Zugangs zu Informationen. Ein Wettlauf von Gesichtern und Profilen, von Design und Zeit.

Der Irak-Krieg war der erste Krieg, der live in die Wohnzimmer des Publikums übertragen wurde. Bomben auf Bagdad, rasende Panzerfahrten im Wüstensand, Beschuss des Hotels Palestine. Das alles in Echtzeit vor unseren Augen.

1991, im zweiten Irak-Krieg, hatte CNN mit Peter Arnett, dem einzigen Korrespondenten in Bagdad, ein Monopol über Nachrichten und Bilder. Der Rest der Medienwelt musste sich mit grünstichigen Nachtaufnahmen zufrieden geben. Es war ein Krieg fast ohne Bilder. Unabhängige Journalisten waren nicht zugelassen. Das Militär lenkte die Informationen nach Belieben. Keiner konnte verifizieren, was der Pressestab verkündete. Hinterher stellte sich manches als Fälschung heraus, was der Weltöffentlichkeit als Fakt verkauft wurde.

1991 hieß die Frage: Wie kommen wir an echte Bilder? 2003 war die große Frage: Welche Bilder nehmen wir?

Die Medien hatten sich im Jahr 2003 weltweit gerüstet. Neben CNN wollten Sender aus aller Welt über Saddams Ende aus Bagdad berichten. Vernetzte Kommunikation, moderne Produktions- und Übertragungstechnik machten es möglich, den Krieg live zu übertragen. Über 2 000 Journalisten, Kameraleute und Techniker standen dafür am Golf bereit. 600 so genannte »embedded correspondents« rückten mit den Truppen vor.

Anders als 1991 konnte sich der Zuschauer 2003 vom Sessel aus durch den Krieg zappen. Was damals Mangelware war, gab es jetzt im Überfluss: Bilder vom Krieg. Aber: Mehr Bilder bedeuten nicht gleich mehr Wahrheit. Der Fernsehkrieg drohte zur Live-Soap zu verkommen. Krieg als »Militainment«. Für einen öffentlich-rechtlichen Sender undenkbar.

Das ZDF stand damit vor einer großen Herausforderung: technisch, logistisch und vor allem inhaltlich. Wir haben daher frühzeitig und mit großer Sorgfalt Vorsorge getroffen, um im Umfeld des Kriegs besonnen und umsichtig reagieren zu können. 60 Prozent des Fernsehjournalismus sind Logistik und Organisation. Wenn die journalistische Arbeit beginnt, müssen die Köpfe frei sein zum Denken.

Die personellen Vorbereitungen begannen bereits im Sommer 2002, als der Konflikt absehbar war. Keiner konnte wissen, ob der Irak Chemiewaffen einsetzen würde. Die Sicherheit der Mitarbeiter war unsere größte Sorge. Rund 60 Kollegen haben für das ZDF aus der Golf-Region berichtet, alle haben vorher an Sicherheitsschulungen teilgenommen. Trainiert wurde das Verhalten in Kampfsituationen sowie der Umgang mit ABC-Schutzausrüstung, Erste-Hilfe-Set und GPS-Ortungsgerät. Die von uns entwickelte ballistische Schutzkleidung gilt mittlerweile weltweit als Vorbild.

In der Mainzer Zentrale wurden Alarmpläne ausgearbeitet und Sendeabläufe geprobt. Innerhalb von sechs Minuten waren die aktuellen Redaktionen in der Lage, live auf Sendung zu gehen. Tag und Nacht. Karten und Grafiken lagen bereit, darunter Satellitenbilder und dreidimensionale animierte Flüge über den Irak.

Für die Übersetzung von Pressekonferenzen standen uns rund um die Uhr Dolmetscher für Arabisch und Englisch zur Verfügung. Für die Einordnung der Nachrichten konnten wir namhafte Experten gewinnen, wie den ehemaligen Kommandeur der KFOR-Truppen, General a.D. Klaus Reinhardt.

In Bagdad hat das ZDF frühzeitig eigene Übertragungstechnik angemietet. Eine 24-Stunden-Berichterstattung war damit gewährleistet. Aber auch für den Fall des Einsatzes einer so genannten E-Bombe, die Satellitenverbindungen zerstört, war das Programm gesichert. Die Außenpolitikredaktion hatte 50 Beiträge mit Hintergrundberichten vorbereitet, über Themen wie Menschenrechtsverletzungen unter Saddam Hussein, die wirtschaftlichen Aspekte des Konflikts oder die Völkerrechtslage.

Kriegsberichterstattung ist aber nicht nur eine Herausforderung an die Logistik, sondern vor allem ein Test für die Glaubwürdigkeit des Mediums Fernsehen. Unser wichtigstes Ziel musste die wahrheitsgemäße, vollständige und faire Berichterstattung sein. Zum Informationsmanagement gehörte daher zuallererst die gründliche Recherche. Redakteure haben sich mit Themen wie Islam, Geschichte und Geografie Arabiens befasst. Spezialisten waren in Fachgebieten wie Völkerrecht und Wehrtechnik stets auf dem neuesten Stand. In Monaten wurde eine Fülle von Wissen erarbeitet und in Dossiers abgespeichert, damit es im Ernstfall sofort abrufbar war. Bei allen Vorbereitungen immer im Mittelpunkt: die journalistische Sorgfalt. In zahlreichen Konferenzen wurden die Redaktionen für den kritischen, sachlichen und in der Sprache neutralen Umgang mit den Nachrichten und Bildern des Kriegs sensibilisiert.

Als am 20. März Bomben auf Bagdad fielen, war das ZDF präpariert. Bereits eine Stunde nach dem ersten Angriff ging die Mannschaft des »Morgenmagazins« um 3.47 Uhr mit einem »spezial« auf Sendung. Während des ganzen Tages gab es weitere Sondersendungen. Die Zuschauer wurden schnell, umfassend und hintergründig informiert. In den folgenden vier Wochen hat das ZDF in Nachrichtensendungen und Magazinen, in Breaking News, Spezials und Dokumentationen insgesamt 216 Stunden über den Irak-Krieg berichtet.

Dieser große Sende-Output war nur möglich durch eine enge Vernetzung aller Ressourcen. Im berühmten »Café Bagdad« liefen alle Fäden zusammen: Notfall-Leitungen, Anfragen der Redaktionen, Kontakte zu allen Korrespondenten, Agenturmeldungen und eine Flut von Fernsehbildern. Im »Café Bagdad« saß das Gehirn dieser journalistischen Großoperation: die Chefs vom Dienst – Matthias Fornoff, Elmar Theveßen und Claudia Ruete – sowie die Chefs der Produktion. Über Wochen ging hier nie das Licht aus.

Gleichzeitig liefen Bilder von CNN, EBU, NBC, CBS, BBC, Irak-TV, Al Jazeera und natürlich das Material unserer eigenen Korrespondenten ein. Alles wurde gesichtet, Quellen wurden verglichen. Militärverlautbarungen wurden mit dem Agenturmaterial gegenrecherchiert, amerikanische Berichte mit der Sicht der Araber abgeglichen. Ein großes Informationspuzzle. Die Kollegen mussten oft in Minuten abwägen und entscheiden: Wahr oder unwahr? Live auf Sender gehen? Zeigen oder nicht zeigen? Schwierige ethische und inhaltliche Fragen stellten sich.

Im Krieg geht es um strategische Ziele, heißt es. Tatsächlich geht es aber um den Tod von Menschen: Soldaten, unschuldige Frauen, Kinder und Männer. Als öffentlich-rechtlicher Sender sind wir verpflichtet, auch die grausame Fratze des Kriegs zu zeigen. Gleichzeitig ist es unsere moralische Aufgabe, die Würde der Menschen im Krieg zu achten. Nahaufnahmen von Toten und Verletzten gab es – bis auf eine Ausnahme – nicht im ZDF-Programm.

Nach vier Wochen Kriegsberichterstattung können wir feststellen: Unser System hat funktioniert. Das »Café Bagdad« hat sich als Schaltzentrale bewährt. Unserem Anspruch, das ganze Bild vom Krieg zu zeigen, sind wir – so gut wir konnten – gerecht geworden. Das ist kein Eigenlob, sondern die Meinung unserer Zuschauerinnen und Zuschauer. Umfragen attestieren dem ZDF die »beste und seriöseste Irakberichterstattung«.

Diesen Erfolg haben wir einer hervorragenden Teamleistung zu verdanken, den zahlreichen Technikern, Kameraleuten und Reportern, die in Mainz und in den Außenstationen im Einsatz waren. Die Korrespondenten, allen voran Ulrich Tilgner in Bagdad, haben mit Mut und Besonnenheit agiert. Militainment gab es nicht im ZDF. Stattdessen fundierte Informationen dank guter Vorbereitung.

Für einen Chefredakteur, der dies alles zu verantworten hat, ein gutes Ergebnis. Persönlich bin ich aber vor allem froh, dass alle Mitarbeiter gesund aus diesem gefährlichen Einsatz zurückgekehrt sind. Das ist nicht selbstverständlich. Insgesamt 14 Journalisten kamen im Irak um. Der Tod ist der ständige Begleiter der Kriegsberichterstatter. Auch daran müssen wir denken.

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2004
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika