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2002  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Joachim Holtz

Abenteuer Mongolei

 
Joachim Holtz
Joachim Holtz


Die ZDF-Karawane in der Gobi
Die ZDF-Karawane in der Gobi


Nomadenzelt im Westen der Mongolei
Nomadenzelt im Westen der Mongolei


In der heißen Wüste Gobi ist Wasser das wichtigste Lebenselement
In der heißen Wüste Gobi ist Wasser das wichtigste Lebenselement


Mongolischer Nomade mit Kühen im Schneesturm
Mongolischer Nomade mit Kühen im Schneesturm


Adlerjagd nach kasachischer Tradition
Adlerjagd nach kasachischer Tradition
              
 

Für alles gibt es einfache Erklärungen. Auch für die Wüste Gobi. Viele Mongolen sind sich da ganz sicher. Sie versichern, die Pferdehufe von Dschingis Khans Armee hätten die Fläche zu einem riesigen Sandkasten getrampelt. Der Augenschein könnte das bestätigen. Fossilienfunde deuten jedoch darauf hin, dass sich dort einst ein riesiger See befand.

Aber die Mongolen ziehen Geschichten vor, deren Held Dschingis ist, der große Khan. Er ist der Vater aller Mongolen, ihr Stolz, ihr Vorbild, er hat dem Volk und dem Land beachtlichen Ruhm gebracht, vor 800 Jahren. Heute wollen sie daher am liebsten seinen Familiennamen übernehmen; in 100 000 Pässen steht Borjigid. 1925 hatten die Kommunisten den Mongolen alle Stamm- und Familiennamen verboten. Sie trugen nur noch einen Rufnamen und verloren schon bald die Erinnerung an ihre Herkunft. Wir fuhren also mit Tseveen durch die Steppe, Oyunsuren war unsere Dolmetscherin. Als 1991 wieder ein vollständiger Name erlaubt wurde, nannten sich die meisten erst einmal nach dem blaugrauen Wolf, dem Totemzeichen der Borjigids, der Familie des Dschingis Khan. Die Neuschrift der Stammbücher ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Mongolen restaurieren erst langsam ihre Geschichte, suchen nach einer wirklichen Identität. Zentrale Figur ist dabei Dschingis Khan.

Erst eine Katastrophe brachte der Mongolei die Aufmerksamkeit aus aller Welt. Der Zud, die furchtbare Kälte nach einem Sommer der Dürre, alarmierte auch uns. Die Tiere starben massenhaft. Zuerst die Rinder und die zotteligen Yaks, dann die Schafe und Ziegen, schließlich sogar die Pferde, der Stolz der Mongolen. Und wenn die Tiere leiden, dann leiden auch die Menschen. Sterben die Tiere, dann wird die Welt der Mongolen leer, ihr Leben verliert seinen Sinn.

Die Mongolei ist ein riesiges Land, wenn auch winzig gegenüber seinen Nachbarn. Kein Zugang zum Meer, und dann auch noch eingeklemmt zwischen Russland und China, wie ein Batzen Fleisch zwischen zwei aufdringlichen Brotstücken, kein behagliches Gefühl. Kein Wunder, wenn die Mongolen am liebsten in den Himmel schauen, der für sie immer blau ist, 300 Tage im Jahr. Oder auf den Kopf ihres Pferdes beim Reiten. Oder in die Trinkschale voller Kumys, der gegorenen Stutenmilch. Lieber nicht auf die Welt da draußen. Viereinhalbmal so groß wie Deutschland ist das Land, und doch leben dort nur 2,5 Millionen Menschen; und 33 Millionen Tiere.

Für Journalisten war dies lange ein weißer Fleck gewesen, weiter weg als das Ende der Welt. Dann fiel im Winter 2001 der eiskalte Wind aus Sibirien über die Mongolei her, brachte Schnee und sechs Monate Frost, harsche Temperaturen bis minus 60º. Da brachen wir auf. Von Peking aus in anderthalb Stunden über endlose Berge und Wüsten in ein noch viel fremderes Land. Es war eine Zeitreise, nicht bloß über eine geographische Distanz. Ein Kultur-Weitsprung, der eine neuerliche Sprachverwirrung mit sich brachte. Und ein Kälteschock.

Die Romantik der Schneeweite verschwand unter den Spuren des eiskalten Todes. Der bissige Winter hatte die Herden rücksichtslos reduziert, Millionen Tiere waren verendet. Vielleicht war die Katastrophe in der Kälte bloß ein kühler Ausgleich der Natur. Denn der Boden litt unter den unzähligen Herden. Allzu viele Amateure hatten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem folgenden wirtschaftlichen Elend ihr Heil in der Steppe gesucht. Sie nannten sich Tierzüchter, schauten aber meist nur ihren Rindern und Schafen beim Fressen und Verdauen zu, planlos, ohne viel Kenntnis. Wer versagt und den Sommer verspielt hatte, dem nahm die eisige Faust den ganzen vierbeinigen Besitz. Nur die Aufmerksamkeit der Außenwelt brachte Trost und Hilfe für die Betroffenen.

Nach dem Härtetest im Eissturm lockte die Mongolei uns zu weiteren Reisen. Die fast weglose Landschaft wurde zu einem Schnittmusterbogen langer Reportagen. Von der tristen Hauptstadt Ulan Bator aus, in der ein Drittel der Bevölkerung wohnt, zog sich unser Weg in alle Himmelsrichtungen. Zum Huvskul Nur im Norden, über dessen gefrorene, glasklare Oberfläche wir im Winter mit einem Eis-Pfadfinder gefahren waren, und zu jenem mystischen Steinhaufen dicht an der sibirischen Grenze, der angeblich das Grab des 1227 gestorbenen Dschingis Khan markiert. Durch die wilde Gobi mit ihren Kieseln und Sanddünen, ihren Kaschmirziegen und zweihöckrigen Kamelen, ihren Schluchten und schroffen Felsen, ihrer Hitze und ihrem Wind. In die Berge des Altai, ganz weit im Westen, wo Khurmai, der Kasache, mit dem Adlerweibchen Pelztiere jagte.

Wir fanden nicht heraus, wie Tseveen dort Wege sah, wo keine waren. Ein Fahrer mit untrüglichem Orientierungssinn. Die Erinnerung an frühere Fahrten hilft ihm wohl kaum, wo nur Steine liegen. Abbiegen hinter dem 17. Grashalm? Kaum möglich. Oder nach der kamelbuckelförmigen Schneewehe nach rechts schlittern? Unwahrscheinlich. Nachts den Sternen folgen, gut, doch unter dem Großen Wagen nach links, oder 14 Kilometer hinter der Venus scharf rechts und 150 Meter später gleich wieder nach links, nein, nein, ausgeschlossen. »Intuition«, sagte Tseveen, »Ahnung, Gespür. Wir Mongolen sind eng mit der Natur verbunden. Diese Stärke hat Dschingis Khan genutzt.«

Sarchaas Enttäuschung brachte uns stille Freude. Zwei Tage lang waren wir schon auf der Jagd im Altai gewesen, immer Khurmai folgend, dem Kasachen, der mit seinem zähen kleinen Pferd die steilen Hänge hinaufritt, den schweren Adler auf dem ledernen Handschuh. Kein Hase, kein Murmeltier, kein Wolf tauchte auf, keine Beute für den abgerichteten Raubvogel. Fragwürdiger Beginn einer Reportage. Plötzlich schreit Khurmai. »Beute, Beute, ein Fuchs, los, los.« Er reißt die Lederkappe vom Adlerkopf, das Tier entdeckt blitzschnell das flitzende rötlichsilberne Pelzbündel zwischen dem Geröll und hebt ab. Er fliegt einen weiten Bogen, dann drängt der Killer-Instinkt den Vogel in den Sturzflug, die mörderischen Krallen schlagen sich in die Beute – fast. Der Fuchs entkommt, er schafft die Flucht in ein Erdloch, Sarchaa schlägt nur ein paar Steine. Die Kamera folgt der atemberaubenden Jagd in jeder Phase, wir haben keinen Augenblick verpasst.

Eine erfolglose Jagd. Enttäuschung. Nein. Später werten wir das Glück des Silberfuchses als eine gute Wendung im Sinne empfindlicher Zuschauer. Nicht wenige hätten sich vielleicht erschrocken und empört abgewandt von einer Szene des Tötens in der Natur. So aber gab es die Freude des Betrachters bei einem Wettkampf mit einem lebensrettenden Ausgang. Nervenkitzel ohne Blutvergießen, der Schlaue triumphiert über die Gewalt. Ein gelungener Beginn einer Reportage. Später hat Sarchaa doch noch einen Hasen gefangen. Dessen Ende zeigten wir nicht.

 
 
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