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2002  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Nikolaus Brender
Peter Frey
Thomas Bellut
Wolf von Lojewski/Claus Kleber
Bettina Schausten
Elmar Theveßen
Eberhard Piltz
Udo van Kampen
Uwe Kröger
Dirk Sager
Alexander von Sobeck
Maria von Welser
Joachim Holtz
Eberhard Figgemeier/Dieter Gruschwitz/Rainer Deike
Hans Janke
Heike Hempel/Claudia Tronnier
Hans Helmut Hillrichs
Werner von Bergen
Carola Wedel
Susanne Krummacher
Claus Beling
Birte Dronsek/Axel Laustroer
Anca-Monica Pandelea

Hans Helmut Hillrichs

Mondän, maritim, modern
Reisen und Fernsehen - eine produktive Allianz

 
Hans Helmut Hillrichs
Hans Helmut Hillrichs


Die Insel Cayo Levisa im Nordwesten Kubas
Die Insel Cayo Levisa im Nordwesten Kubas


Archäologen bei Grabungen am vermeintlichen Tempel Salomos
Archäologen bei Grabungen am vermeintlichen Tempel Salomos


Spanische Konquistadoren bei Cusco (nachgestellt)
Spanische Konquistadoren bei Cusco (nachgestellt)


Labyrinthe – Sinnbilder für den Kreislauf des ewigen Lebens
Labyrinthe – Sinnbilder für den Kreislauf des ewigen Lebens
              
 

»Es schienen so golden die Sterne, / am Fenster ich einsam stand / und hörte aus weiter Ferne / ein Posthorn im stillen Land.« Wer kennt sie nicht, die magischen Verse Eichendorffs, die die Lockungen der Ferne so suggestiv entfalten, dass das lyrische Ich alles preiszugeben gewillt ist, was auf Verweilen, Verharren, Verwurzeln hinausläuft, und nur noch zu einem bereit ist, zum Aufbruch: »Das Herz mir im Leibe entbrennte; / da hab ich mir heimlich gedacht: / Ach, wer da mitreisen könnte / in der prächtigen Sommernacht!«

Die Deutschen, heute Weltmeister im Reisen, wie die Statistiken der Tourismus-Branche belegen, haben an den großen Entdeckungs- und Eroberungszügen, die schließlich auch die letzten weißen Flecken auf der Weltkarte tilgten, wenig Anteil. Humboldt, Brehm oder Pückler waren die – freilich ausgesprochen wirkungsmächtigen – Ausnahmen von der Regel, dass es die deutlich seetüchtigeren Länder waren, die zu den epochemachenden Expeditionen aufbrachen.

Doch mögen sie auch an den geschichtsträchtigen Welterkundungs- und Weltveränderungsfahrten nur begrenzt Anteil haben und hinter den maritimen Giganten Spanien, Portugal, England und Holland zurückbleiben, so waren die Deutschen im kleineren Maßstab, in der Naherkundung gewissermaßen, sehr wohl Meister ihres Fachs. Und was sie in der Realität versäumten, das holten sie in der Fantasie und insbesondere in der literarischen Spiegelung, Verwertung und Variation des Reisemotivs nach.

Eichendorff ist nicht der Erste und schon gar nicht der Letzte, der seine Helden aus einem spießig-kleinkarierten Zuhause, »aus grauer Städte Mauern«, wie es im Volkslied heißt, hinaus in die Welt schickt. Vielmehr darf die These gewagt werden, dass die deutsche Literatur, um den Topos des Reisens reduziert, ein Stück ihrer Seele verloren hätte. Selbst in der eher resignativen Verabschiedung des Reisemotivs bei Gottfried Benn findet sich das eichendorffsche »Ach« als Sehnsuchtspartikel wieder: »Ach, vergeblich das Fahren! / Spät erst erfahren Sie sich: / Bleiben und Stille bewahren / das sich umgrenzende Ich.«

Und das Fernsehen? Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn jenes Medium, das die Ferne im Namen trägt, vom Modus des Reisens nicht mitgeprägt worden wäre und seinerseits nicht auch prägend darauf zurückgewirkt hätte. Und es wäre gleichfalls verwunderlich, wenn eine Hauptredaktion, in deren Organisation sich der klassische Kulturbegriff von der Religion bis zu den Naturwissenschaften und von der Literatur bis zur Kunst aufbewahrt findet, dem Reisen nicht ein besonders ergiebiges Spektrum von Spielarten abgewonnen hätte.

In der Tat hat der Modus des Reisens – jedenfalls im Kultur- und Wissenschaftsbereich des ZDF – so viele Programme generiert, imprägniert, gekennzeichnet, dass es sich lohnt, zumindest die wichtigsten dieser Entwicklungslinien noch einmal nachzuzeichnen. Alles begann in der Frühgeschichte des ZDF mit hemdsärmeligen Service-Empfehlungen, die auf die Schnappschüsse einschlägiger Ferienlandschaften getextet waren; »Urlaub nach Maß« hießen solche Sendungen, deren Spur sich über manche Metamorphosen hinweg immerhin bis zu der erfolgreichen Reihe »reiselust«, die derzeit am Freitagnachmittag im ZDF läuft, verfolgen lässt.

Es gibt aber auch eine ganz andere Traditionslinie des Reisens im ZDF-Programm. Nichts ist erfolgreicher als eine Idee, deren Sendezeit gekommen ist, und Gottfried Kirchner hatte Anfang der 80er Jahre eine solche Idee. »Terra X« hieß sie, und sie leitete so etwas wie eine dokumentarische Wende im Fernsehen ein. Der Zuschauer, der sich daran gewöhnt hatte, im eigenen Wohnzimmer zu verharren und demütig die Erkenntnisse weltgewandter Lichtgestalten, Reporter genannt, entgegenzunehmen, war urplötzlich promoviert worden – und das in des Wortes bester und ursprünglicher Bedeutung: Er wurde bewegt, durfte sich bewegen, denn er war eingeladen, selbst auf Reisen zu gehen – dorthin, wo die Wurzeln der alten Kulturen und die Ursprünge der Menschheitsgeschichte liegen.

Narrative Zeitreisen mit beachtlichen Erlebnis- und respektablen Informationswerten sind inzwischen – weit über den Nestor und Prototyp »Terra X« hinaus – zum Merkmal eines ganzen Sendeplatzes geworden. Es ist der populäre Kulturtermin am Sonntagabend um 19.30 Uhr, der mit kontinuierlich wiederkehrenden Formaten wie »Sphinx« oder »Schliemanns Erben« und gezielten monothematischen Schwerpunkten – etwa der im Frühjahr 2002 ausgestrahlten »Völkerwanderung« – eine Zuschauerattraktion ersten Ranges geworden ist. Hier lässt sich also der stärkste und wahrscheinlich auch tragfähigste Ast am Reise-Stammbaum des ZDF besichtigen, der im Programmjahr 2002 besonders üppige Früchte trug.

Reisen als Movens und Motiv hat über den veritablen Spross »reiselust« und die Expeditionsfilme am Sonntag um 19.30 Uhr hinaus aber noch weitere Formate beeinflusst und befördert. Nicht mehr die Erlebnis-, sondern (um es etwas hochtrabend zu formulieren) die Lebensreise und ihre existentielle Dimension sind es, die den Charakter solcher Sendungen ausmachen. Sie finden sich vorzugsweise auf dem Ende 1994 eingerichteten Programmplatz »37°«, etwa – um zwei besonders exponierte Beispiele der letzten Jahre zu nennen – in den preisgekrönten Dokumentationen von Rob Hof, der die Heimkehr deutschstämmiger Sibirien-Aussiedler mit der Kamera begleitet hat, oder in dem nicht minder häufig dekorierten Dokumentarfilm »Kopfleuchten«, den Mischka Popp und Thomas Bergmann als eine Reise durch die Landschaften des menschlichen Gehirns angelegt haben. Ein ambitioniertes Projekt in Fortführung dieser Zusammenarbeit ist die in den Jahren 2000 bis 2002 produzierte 90-Minuten-Dokumentation »Blindflug«, eine Reise durch das Reich der Dunkelheit, die Mischka Popp und Thomas Bergmann erneut im Auftrag des ZDF unternommen haben.

Auf wiederum andere Weise hatte einst der Dokumentarist Christoph Boekel in seinem Grimme-Preis-geadelten Film »Die Spur des Vaters« den Reise-Topos ausgelegt – als akribische Spurensuche eines jungen Mannes, der den Einsatzplänen seines Vaters im Russland des Zweiten Weltkriegs nachforscht und ihn als Opfer, aber auch als Täter auskundschaftet. In der Tradition dieses (immer wieder ins Programm gehobenen) Dokumentarfilms wird sich die Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft auch künftig um die existentielle Ergänzung der resonanzstarken zeitgeschichtlichen Dokumentationsreihen bemühen, die aus der Werkstatt Guido Knopps kommen.

Und die klassische Bildungsreise? Gottlob, auch sie hat es im ZDF-Programm gegeben, und es gibt sie noch immer, als integralen Faktor der Sendungen sonntags um 19.30 Uhr beispielsweise, aber in Reinkultur eben doch eher selten. »Reisebilder« haben wir solche Fernsehschmuckstücke genannt, Heinrich Heine eingedenk, der sie mit ebenso ironischen wie hellsichtigen Bemerkungen einst literarisch begründet hat. In dieser Tradition haben beispielsweise die »Reisebilder aus der DDR«, als die Mauer noch nicht gefallen war, gewissermaßen den kulturellen Blickkontakt zum anderen Deutschland aufrechterhalten. Auch der unvergessene Reise-Vierteiler »Im Gegenlicht«, den Gero von Boehm auf der Grundlage des Italien-Buchs von Joachim Fest für das ZDF produziert hat, knüpfte daran an. Und die Reihe »Mondän!«, Ende der 90er Jahre von dem Autorentrio Lutz Hachmeister/Petra Höfer/Freddie Röckenhaus erfunden, hat diese Linie nicht nur ins Populäre hinein verlängert, sondern im Jahr 2002 erneut eine fruchtbare Verzweigung im Reise-Stammbaum des ZDF ermöglicht.

Lutz Hachmeister fuhr »an das Gestade schlechthin« und sammelte maritime Momente für einen Vierteiler unter dem Titel-Dach »Riviera«; Petra Höfer und Freddie Röckenhaus erklommen Burgsöller, Zinnen und Zugbrücken, um »Schlossherren« und »Schlossgeister« für ein doppeltes »Mondän! Special« aufzuspüren. Das Festprogramm an der Jahreswende 2002/2003 profitierte davon und bot nun gleich zwei Les- und Spielarten der klassischen Bildungsreise: schauplatzorientiertes kulinarisches Kultur-Fernsehen, das eine Entdeckungs-, vor allem aber eine Erinnerungskomponente hat und raffiniert dosierte Reflexionsanreize bietet, auf der einen Seite; elegantes und buchstäblich geist-reiches feudales Feuilleton auf der anderen Seite, Fernsehen »an der Schlossallee« sozusagen, das neugierig macht auf die nächste »Mondän!«-Staffel von Freddie Röckenhaus und Petra Höfer, die bereits in Vorbereitung ist.

Was das Fernsehen kann und was dem Fernsehen abhanden zu kommen droht – auf beides haben die Hochglanz-Exkursionen an die Riviera und in die Schlossallee ein Licht geworfen. Und auf sehenswerte Weise dafür plädiert, die Anwendungen des Reise-Topos im ZDF möglichst reichhaltig zu machen und aus der guten alten Bildungsreise neuen Stoff für modernes Fernsehen zu schöpfen.

 
 
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