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2002  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Nikolaus Brender

Fernsehwahlkampf
Die Macht der Bilder, die Verantwortung der Medien

 
Nikolaus Brender
Nikolaus Brender
              
 

22. September 2002: Wahlabend, 18.01 Uhr. In der ZDF-Prognose liegen die beiden großen Parteien gleichauf. Wer macht das Rennen: Herausforderer Stoiber oder Medienkanzler Schröder? Stundenlang wogen die Zahlen hin und her. Anders als sonst weichen die Hochrechnungen der Sender deutlich voneinander ab. Arbeitslosigkeit, Sozialreform, Irak-Krieg – wer wird die Geschicke Deutschlands lenken? 18.41 Uhr. Eine Hochrechnung sieht Edmund Stoiber bei fast 40 Prozent. Die Union ruft sich zum Sieger aus. Doch dann kommt alles ganz anders.

Die Bundestagwahl war ein Krimi. Immer nah dran: das Fernsehen. Hochrechnungen beschreiben von Minute zu Minute die Veränderungen, Kameras und Reporter fangen Emotionen in Sieg und Niederlage ein. Wahlabend und Wahlkampf sind längst ein Medienereignis ersten Ranges. Die Sender konkurrieren um Interviews, Bilder und die schnellsten Hochrechnungen. Am 22. September hatte das ZDF eindeutig die Nase vorn. Gleich mit der ersten Prognose lagen SPD und Union im ZDF gleichauf – dieser Trend bestätigte sich im Endergebnis. Punktlandung für das Zweite.

Der Wahlkampf 2002 war der spannendste, den die Republik erlebt hat. Der Abstand zwischen den Parteien blieb, gemessen an den Umfragen, relativ eng und bis zum Schluss in Bewegung. Bei keiner Wahl gab es so viele unentschlossene Wähler und zum ersten Mal stellte sich ein Kanzler seinem Herausforderer in einem Fernsehduell. Gleichzeitig war es ein Wahlkampf fast ohne Themen. Zwar dominierte das Thema »Wirtschaft und Arbeitslosigkeit« alles, aber sowohl von Regierung als auch Opposition war dazu wenig Neues zu erfahren.

Wo zündende Ideen fehlen, setzen die Wahlkampfstrategen auf Wirkungen und Effekte. Nicht wenige befürchten daher eine Amerikanisierung unserer Wahlen: Wahlkampf als Show – mit Fähnchen, Pomp und Pathos? Tatsächlich ließen das Projekt »18« und der Spaßwahlkampf der FDP Schlimmes befürchten.

Ein Heer von PR-Beratern und Spin-Doctors sorgt für die richtige Inszenierung. Sie nutzen die Macht der Bilder: Helmut Kohl 1990 in einem Meer aus Fahnen oder Gerhard Schröder 2002 bei den Menschen im Hochwasser. Das sind starke Bilder. Sie sagen: »Seht her, ich trage die Verantwortung für euch und verdiene euer Vertrauen.« Der emotionale Eindruck solcher Bilder ist prägender als alle Programme. Inhalte schrumpfen zu einem Slogan zusammen. Damit ist das Medium Fernsehen Chance und Risiko zugleich. Mediengewandte Politiker versuchen, schwache Programme zu überspielen – der Wahlkampf wird zur Show. Gute Ideen haben kaum eine Chance, wenn der Kandidat die Präsentation verstottert – der Wahlkampf wird zum Albtraum. Für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ergibt sich daraus eine besonders große Verantwortung gegenüber dem Zuschauer und Wähler.

Die Pressefreiheit ist für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstitutiv, sagt das Bundesverfassungsgericht. Damit beschreiben die Richter die herausgehobene Stellung, die die Medien nach unserer Verfassung genießen. In Wahlzeiten erblüht dieser Satz erst zu seiner vollen Bedeutung.

Gerade weil Fernsehen auf plakative Bilder und griffige Formulierungen angewiesen ist, darf es der Inszenierung der Wahlkampfstrategen nicht auf den Leim gehen. Journalisten müssen sich um die Wahrheit hinter den Bildern bemühen. Damit das Medium Fernsehen in der Demokratie richtig funktioniert, muss es fair, aber kritisch zugehen, ausgewogen und sachbezogen. Im Einzelfall ist das eine Gratwanderung. Der Journalist sitzt zwischen allen Stühlen – und da gehört er auch hin.

Das ZDF konnte bei der letzten Wahl aufs Neue seine journalistische Kompetenz unter Beweis stellen. Die Zuschauerzahlen belegen, dass das ZDF beim Wähler hohe Glaubwürdigkeit und hohes Vertrauen genießt. Zu Recht, denn noch nie hat das ZDF so ausführlich und vielfältig über eine Wahl berichtet wie 2002. Allein in 40 Sondersendungen und in rund 40 Stunden Sendezeit ging es um Politiker, Parteien und Programme. Drängende Themen wie »Jugend und Politik« oder »Arbeitslosigkeit und Wirtschaft« wurden mit Publikum in Hearings diskutiert. Hauser und Kienzle fühlten den Politprofis im »Nachtduell« auf den Zahn und vor allem gab es diesmal als Premiere: das Duell der Kandidaten. Edmund Stoiber gegen Gerhard Schröder: Das TV-Duell war das Highlight des Wahlkampfs. Kein Kanzler hat sich bisher vor laufenden Kameras seinem Herausforderer gestellt. Für Helmut Schmidt war ein solches Ansinnen unter der Würde seines Amtes, und auch Helmut Kohl, ohnehin kein Freund der Medien, bürstete alle Anfragen ab. Anders die Wahlkämpfer 2002: Beide Kandidaten suchten den medialen Showdown. Das war neu. Das Duell versprach Spannung und Information. Kann der Bayer gegen den Medienkanzler bestehen? Wie windet der sich aus der Schlinge beim Thema Massenarbeitslosigkeit?

Hinter den Kulissen wurde vorher heftig um die Rahmenbedingungen gefeilscht: Termine, Redezeiten, Kamerapositionen. Es ist den beiden exzellenten Moderatorinnen Maybrit Illner und Sabine Christiansen zu verdanken, dass aus dem Medien-Hype kein Medienkrampf wurde. Sie haben das Frage-Antwort-Spiel aus seinem Korsett befreit, einen Schlagabtausch zugelassen und beharrlich nachgefragt. So war der verbale Nahkampf eine echte Bereicherung. 15 Millionen Zuschauer wollten sehen, wie sich Kanzler und Kandidat schlagen. Vor allem für junge Zuschauer war das Duell ein Event. Damit hatten die Wahlkämpfer mehr Aufmerksamkeit als in jeder anderen Wahlkampfsendung.

Dass die Diskussionen über Arbeitslosigkeit, Steuern und Irak-Krieg nicht in die Tiefe gehen konnten, war allen Beteiligten klar. Der Reiz lag in der Nahbetrachtung: die Kandidaten in freier Feldschlacht. Kein Pressesprecher, kein Medienberater war zur Stelle, um rhetorische Schwächen auszubügeln, um dünne Stellen im Programm zu kaschieren. Den Wählern bot sich ein ungefilterter Eindruck.

Viel ist über die Wirkung dieses Showdowns spekuliert worden. Heute ist klar: Das TV-Duell war nicht wahlentscheidend. Weder Edmund Stoiber noch Gerhard Schröder haben sich blamiert. Die Wähler haben bestehende politische Präferenzen zwar nicht über den Haufen geworfen, aber die Analyse zeigt, das Duell hat sowohl Anhänger als auch Unentschlossene mobilisiert. »Ich weiß nicht, wen ich wählen soll«, haben nach dem Duell zehn Prozent weniger Menschen gesagt als vorher. Allein das ist ein Erfolg.

Wie nie zuvor spielte das Fernsehen im Wahlkampf 2002 eine entscheidende Rolle. Mit dem TV-Duell hat es eine neue Form als Forum der Demokratie entwickelt. Von einer Amerikanisierung des Wahlkampfs kann keine Rede sein. Reine Show-Veranstaltungen verfangen beim Bürger nicht. Wer an die Macht will, muss mehr bieten als einen Spaßwahlkampf.

Es ist Aufgabe gerade der öffentlich-rechtlichen Programme, die Angebote der Parteien darzustellen und kritisch zu werten. Information und attraktive Wahlberichterstattung schließen sich dabei nicht aus. Trotzdem müssen Journalisten stets auf der Hut sein, um nicht Teil der Inszenierungen der Parteistrategen zu werden. Das sind wir uns und dem Wähler schuldig.

 
 
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