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2002  
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Thomas Bellut

Auf und ab der Stimmungen: Wahlkampf 2002

 
Thomas Bellut
Thomas Bellut
 

Die Bundestagswahl am 22. September war eine Entscheidung der Superlative: Das knappste Wahlergebnis seit der Wiedervereinigung. Noch nie hat es ein so heftiges Auf und ab in der Stimmung vor einer Wahl gegeben. Noch nie war eine Regierungsmehrheit so zufällig wie 2002. Der Wahlsieg Gerhard Schröders begründet sich in der Fähigkeit, neue Themen zu nutzen (»Agenda setting«), die die Arbeitslosigkeit in den Hintergrund gerückt haben. 2002 haben deshalb nicht politische Grundströmungen – verstärkt durch Meinungsumfragen –, sondern zwei zufällig in die finale Wahlkampfphase gerückte Themen (Hochwasser, Irak) die Schlacht entschieden.

Auf und ab der Stimmungen: Im Wahljahr 2002 wurde das »Politbarometer« nach der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten der Union alle zwei Wochen, in den letzten sechs Wochen jeden Freitag ausgestrahlt. Damit liegt eine Datenfülle vor, mit der sich die Entwicklung sehr gut nachvollziehen lässt.

Bei den Parteien führten Union und FDP bis zum Beginn der Hochwasser-Katastrophe im August, danach lag die Regierungskoalition klar vorne. Erst am Ende holte die Opposition aus CDU/CSU und FDP wieder rasant auf – in der letzten Woche vor der Wahl (vgl. Abbildung 1). Am Ende des Wahlkampfs trat etwas noch nie da Gewesenes auf: In den üblichen täglichen Umfragen vor den Wahlen (ZDF und ARD veröffentlichten in dieser Phase nicht mehr) drehte sich das Meinungsbild am Mittwoch, 18. September, wieder Richtung Opposition. Mit den Themen Mobilcom (drohende Pleite), Dax-Tiefstand und pessimistische Wirtschaftsprognosen war das Thema Arbeitslosigkeit wieder da. Wäre die Wahl nur eine Woche später gewesen – das Ergebnis hätte anders ausgesehen. Die Entwicklung belegt die Eröffnungsthese: Noch nie ist eine Wahlentscheidung so zufällig ausgefallen.

Im Vergleich Gerhard Schröder – Edmund Stoiber zeigt sich ein immer größerer Abstand zugunsten des Amtsinhabers (vgl. Abbildung 2). Dieser große Abstand erleichterte es Gerhard Schröder, sich in der Hochwasser- und Irak-Krise so wirkungsvoll in Szene zu setzen. Für den Herausforderer waren die schlechten Umfragewerte ohne Zweifel ein gravierendes Image-Problem, aber auch hier folgten die Umfragewerte den aktuellen Stimmungen, die Entscheidung fiel nicht durch Umfragen. Für Edmund Stoiber erwies sich vielmehr der Themen-Mix beim zweiten Fernsehduell (wieder Hochwasser und Irak) als verhängnisvoll. Bei einem hochstehenden Thema Arbeitslosigkeit wäre das zweite ähnlich wie das erste Duell abgelaufen, mit einem annähernden Remis.

Umfragen 2002: Die Entwicklung der letzten Wahlen wurde fortgeschrieben und verstärkt. Umfrageergebnisse werden immer mehr zum Thema der politischen Auseinandersetzung. Dies dürfte aber auch eine Verzweiflungstat der Wähler sein: Wenn die beiden Volksparteien eine scharfe inhaltliche Auseinandersetzung peinlich vermeiden, dann geraten grobe Images, »Sieger«- oder »Verlierer«-Etiketten, zu einer politischen Bedeutung, die sie nicht verdienen. Die Wiederholung der Zufälligkeit der Wahlentscheidung 2002 lässt sich nur dann vermeiden, wenn die Parteien mit klaren, auch Diskussionen auslösenden Plattformen in die Wahlschlacht ziehen. Die übertriebene Rolle der Meinungsumfragen in Wahlkämpfen kann nur so etwas reduziert werden. Aber eine völlige Umkehr ist auszuschließen: Bei einer immer oberflächlicher werdenden politischen Debatte (die Hälfte der Wähler erklärt sich immer wieder als kaum oder gar nicht politisch interessiert) werden weniger Fakten als vermutete Einstellungen der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten die Wahlen entscheiden.

Das Wahlsystem wird immer amerikanischer: Die Wahl 2002 war eine Fortentwicklung der Angleichung an US-amerikanische Verhältnisse. Immerhin ein Drittel der deutschen Wähler erklärt 2002, sich wegen Schröder oder Stoiber festgelegt zu haben – eine große Zahl. Die Fernsehduelle belegen ebenfalls den Trend zur Amerikanisierung. Der Grund ist klar: Die politische Debatte wird von der übergroßen Mehrheit der Wähler als Fernseh-Ereignis wahrgenommen. Selbstkritisch muss hier angemerkt werden, dass sich in der Fernsehberichterstattung Köpfe weitaus besser vermitteln lassen als tiefschürfende Debatten über – beispielsweise – Rente und Gesundheit. Die Wähler entscheiden sich mehr und mehr für eine Figur, die sie durch den komplizierten Alltag steuert. Das erspart eine eigene Orientierung in der Sachdebatte. Die Fernsehdemokratie funktioniert ohne Zweifel, aber die Nachteile liegen auf der Hand: Nur durch die Mobilisierung von Emotionen lassen sich größere Gruppen von Wählern in Bewegung setzen. Damit gleicht sich der politische Prozess den Kriterien der Unterhaltungsindustrie an: Es darf nicht langweilig werden, es darf nicht zu sehr anstrengen, erst recht nicht schmerzen. Damit wird sich die Fernsehdemokratie in der Tendenz stärker der Beschwichtigung hingeben und weniger den Reformeifer der Wähler fördern.

Lieber als Bundeskanzler … (oben)

Politische Stimmung in Deutschland Januar bis September 2002 (unten)

 
 
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